Teil 10 - Istredd

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Das Haus des Magiers war einfach zu finden - es lag direkt am Marktplatz, eingebettet zwischen Warenlager und Zeughaus.
Thalia trat auf die Schwelle und atmete tief durch. Den Zauberer zu bewegen, Eskel zu helfen, würde bestimmt nicht einfach werden. Angehörigen seines Berufsstandes wurde nie nachgesagt, besonders umgänglich zu sein und sollte sein Zorn auf Eskels Bruder und Kollegen noch immer nicht verraucht sein... Aber sie musste es unbedingt versuchen. Sie klopfte an die Tür und hoffte inständig, dass der Zauberer zu Hause sei.
Wenigstens diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Ein gutaussehender Mann in mittleren Jahren öffnete die Tür.
Er musterte Thalia kritisch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich vielleicht doch die Zeit hätte nehmen sollen, den Staub der Reise abzuwaschen, ihr Haar zu richten und die Kleidung zu wechseln. Durch die Sorge um Eskel hatte sie überhaupt nicht daran gedacht, dass sie vermutlich einen etwas heruntergekommenen Eindruck machen musste. Vor Scham errötete sie leicht.
"Was wollt Ihr?" Die Stimme des Zauberers war schneidend, abweisend.
"Ich... Mein Name ist Thalia van de Windervoord. Ich bin Magister an der alchemistischen Fakultät der Akademie von Oxenfurt. Seid Ihr Meister Istredd, der bekannte Zauberer?" Thalia hatte zwar vor Eskels Erzählung noch nie von Istredd gehört, aber ein bisschen Schmeichelei konnte ja nicht schaden...
Der Zauberer hob eine Augenbraue. "Dem ist so. Welches Anliegen führt Euch her?"
"Ich bin sehr froh, Euch hier anzutreffen, Meister Istredd. Mehr als froh. Ihr seid meine letzte Hoffnung, einem Freund zu helfen, der eine starke Vergiftung erlitten hat. Bitte, Meister Istredd, bitte helft mir. Ich stehe in der Schuld dieses Mannes, ohne mich wäre er nie in diese Lage geraten. Ich selbst kann ihm nicht helfen, deshalb habe ich ihn in diese Stadt gebracht, weil ich hoffte, dass Ihr mit euren Fähigkeiten ihm werdet helfen können. Bitte, darf ich Euch zu meinem Freund führen? Es ist nicht weit und es zählt jede Minute..."
Istredd schien kurz nachzudenken, presste die Lippen zusammen und schien noch nicht überzeugt.
"Bitte entschuldigt mein Erscheinungsbild. Ich wollte keine Zeit verlieren und bin deshalb sofort nach unserer Ankunft zu Euch geeilt."
"Welchen Beweis habt Ihr, dass Ihr tatsächlich die seid, die Ihr vorgebt zu sein?"
Thalia zog den Geleitbrief der Akademie aus ihrer Tasche, den jeder Wissenschaftler zur Sicherheit erhielt, um über Grenzen hinaus reisen zu können. Er trug das Siegel der alchemistischen Fakultät - welches Istredd offenbar wohlbekannt war. Seine Mine wurde etwas weniger abweisend.
"Also gut. Ich werde Euch beziehungsweise eurem Freund helfen, Magister. Jedoch, Ihr versteht sicher, dass auch ein Zauberer sein Auskommen haben muss. Welche Summe gedenkt die Akademie denn, für die Gesundheit ihres Angestellten auszugeben?"
Dieser gierige, arrogante...
Thalia hatte sich, den Charakter des Zauberers richtig einschätzend, möglichst devot und ehrerbietig gegeben. Sie hatte zwar damit gerechnet, dass der Zauberer einer Bezahlung nicht abgeneigt sein würde, hatte ihm diese jedoch nicht direkt angeboten. Möglicherweise hätte er sich auch in seiner Ehre gekränkt gefühlt, wenn man ihm unterstellte, nur für eine Gegenleistung einem Menschen in Not zu helfen. Der Magier fand es aber anscheinend nicht ehrenrührig, seine Hilfe von einer angemessenen Bezahlung abhängig zu machen. Nun gut, sie wollte nicht feilschen, dafür war ihr das Wohlwollen des Mannes zu wichtig.
"Mir stehen 300 Kronen zur Verfügung. Reicht diese Summe aus, um eure Hilfe zu entlohnen?"
"Hm... gewiss, gewiss. Eine Vergiftung sagtet Ihr. Um welches Gift handelt es sich denn?"
"Mein Freund wurde von einer Krabbspinne verwundet. Ich weiß, das Gift wirkt tödlich und es gibt keine wirksame Therapie. Jedoch ist mein Freund sehr... widerstandsfähig. Vielleicht könnt Ihr mit einem Zauber seinen Metabolismus soweit verlangsamen, dass uns etwas mehr Zeit bleibt?"
"Etwas mehr Zeit? Wieso wollt Ihr das Unvermeidliche weiter hinauszögern, meine Liebe? Je länger er durchhält, um so heftiger werden seine Qualen sein. Verzeiht mir meine Offenheit, aber ich möchte Euch vor trügerischen Illusionen bewahren."
Nun gut. Anscheinend war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem sie dem Zauberer die Wahrheit sagen musste.
"Es gibt einen Ort, an dem meinem Freund geholfen werden kann. Jedoch ist er zu schwach, um die Reise dorthin durchzustehen. Wenn Ihr uns etwas mehr Zeit verschaffen könntet, dann könnte ich ihn zu diesem Ort bringen und es bestünde noch Hoffnung, sein Leben zu retten."
Der Zauberer blickte sie skeptisch an. Als die Erkenntnis zu ihm durchdrang, um wen es sich bei dem Patienten handeln musste, verfinsterte sich seine Miene. "Eure Ausführungen, meine Dame, geben mir Rätsel auf. Sagt mir, kann es sein dass euer "Freund" in Hexer ist? Ein Mutant, der in seiner ganzen Unnatürlichkeit wesentlich länger als ein Mensch mit dieser Vergiftung überlebt hat?"
Thalia seufzte. "Eure Annahme ist korrekt, Meister Istredd. Er ist ein Hexer. Sein Name ist Eskel. Er ist ein enger Freund der Zauberin Triss Merigold, die Euch sicherlich ebenfalls bekannt ist. Falls Ihr ihm nicht um seinet- oder meinetwillen helfen wollt und auch nicht für die 300 Kronen, die ich Euch anbiete - so tut es bitte für Frau Merigold."
Oh, bitte, lass ihn ebenfalls ein Freund der Zauberin sein.
Thalia hatte nicht die leiseste Ahnung, in welchem Verhältnis Triss Merigold und Istredd zueinander standen. Sie hoffte einfach, dass der Zauberer es nicht riskieren wolle, eine Angehörige seiner Zunft zu verärgern. Und sie schien damit Recht zu haben.
Istredd seufzte. "Also gut. Ich werde sehen, was ich für euren Hexer tun kann. Aber ich kann nicht versprechen, dass es in meiner Macht steht, ihm zu helfen."
"Das verlange ich auch nicht von Euch, Meister Istredd."
"Ihr Alchemisten versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Mit euren Tinkturen, Essenzen und Destillaten meint Ihr, uns Zauberern Konkurrenz machen zu können. Sowohl in der Heilkunst als auch in vielen anderen Bereichen. Dann jedoch, wenn Ihr mit eurem beschränkten Wissen eure Grenzen erreicht habt, seid Ihr euch nicht zu schade, immer wieder um die Hilfe von uns Zauberern ersuchen. Ihr denkt, Ihr könntet alles auf der Welt mit euren lächerlichen Naturgesetzen erklären. Dabei habt Ihr noch nicht einmal einen Bruchteil dessen verstanden, womit wir Magier täglich arbeiten."
Thalia biss sich auf die Zunge. Sie konnte es sich nicht leisten, den großspurigen Zauberer zu verärgern, also spielte sie lieber weiterhin die devote Bittstellerin. "Gewiss habt Ihr Recht, Meister Istredd. Nun, vor Euch steht eine solche Alchemistin, die demütigst eure Hilfe erbittet. Bitte folgt mir, ich bringe Euch zu dem Patienten."

Das Herz der Alchemie (The Witcher FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt