31. Kapitel

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Nachdem wir uns in einem kleinen Laden etwas zu Essen besorgt hatten, schlenderten wir entspannt zwischen den einzelnen Geschäften hin und her. Als wir an einem Kleidergeschäft vorbeikamen, packte Cole meinen Arm und zog mich ohne Vorwarnung hinein, sodass ich ihm hilflos hinterherstolperte.
“Was soll das?“, fragte ich ihn anklagend, als er meinen Arm losließ und schnurstracks auf eine der Verkäuferinnen zuging. Ich seufzte empört als er mich ignorierte und eine junge, blonde Frau stattdessen mit einem kurzen Blick auf ihr Namensschild fragte: “Ms Stevens?“
Diese stellte sich sofort aufrecht hin und grinste Cole anzüglich an: “Wie kann ich helfen?“
Ich hakte mich unauffällig bei ihm ein und warf ihr böse Blicke zu.
“Wir hätten gerne das Kleid aus Ihrem Schaufenster.“ Was, welches Kleid?
“Sehr gerne.“ Mit schnellen Schritten lief sie an uns vorbei und kam sogleich mit einem kurzen, enganliegenden Kleid zurück.
“Auf keinen Fall!“, protestierte ich lautstark, als mir klar wurde was er vorhatte.
“Es ist sogar violett“, grinste er schelmisch.
“Sehr witzig!“ Ich hasste solche Witze auf Kosten meines Namens.
“Anziehen!“, befahl er und schob mich zu den Umkleiden, ohne auf meinen Protest zu achten.
Stöhnend zog ich das Kleid an und betrachtete mich kritisch im Spiegel. Es war gar nicht so knapp, wie ich zuerst befürchtet hatte, jedoch besaß es einen etwas tieferen Ausschnitt, als ich normalerweise trug. Außerdem betonte es ausgerechnet die Pfunde, von denen ich etwas mehr auf den Hüften hatte, als mir lieb war. Ich zögerte unsicher, ob ich mich Cole so zeigen wollte, doch dann wurde mir klar, dass er schon alles von mir gesehen hatte und meine Zweifel verschwanden. Ich hatte zwar nicht die perfekte Figur, aber wenigstens sah ich nicht aus wie die Barbie von Verkäuferin.
Damit ich es mir nicht anders überlegen konnte, riss ich schnell den Vorhang zur Seite und wartete auf Coles Reaktion. Eine Zeit lang sah er mich einfach nur schweigend an, bis sich sein Mund zu einem zufriedenen Lächeln verzog und er meinte: “Das nehmen wir!“
“Ich habe nicht einmal Geld dabei“, entgegnete ich abwehrend, doch er schüttelte den Kopf und sagte: “Ich lasse dich das auch nicht bezahlen.“
“Du musst mir kein Kleid kaufen, Cole.“
“Ich weiß“, erwiderte er und küsste mich. Ehe ich meine Arme um ihn schlingen konnte, hatte er sich auch schon wieder von mir gelöst und flüsterte mir leise ins Ohr: “So ganz uneigennützig ist das gar nicht.“
Schön, dass er seinen Willen bekam! Ich drehte mich um und stolzierte zurück in die Kabine um mich wieder umzuziehen.
Sobald wir den Laden verlassen hatten, klingelte Coles Handy und er fischte es aus seiner Hosentasche ehe er in eine Seitengasse einbog um ranzugehen.
“Isaiah, was gibts?“
Er lehnte sich an eine Hauswand, nur um sich gleich darauf mit ernstem Gesicht wieder abzustoßen.
“Wo?“ Ich runzelte nachdenklich die Stirn. Cole sah nicht wirklich erfreut über den Anruf aus.
“Das ist nicht weit von hier, ich kümmere mich darum“, mit diesen Worten legte er auf und ich hörte, wie er damit dem Anrufer das Wort abschnitt.
“Mit wem hast du telefoniert?“, fragte ich ihn neugierig aber trotzdem besorgt, denn er blickte nicht sehr glücklich drein.
“Ein Freund von mir hat mitbekommen, wie mein Vater eine Truppe Dryadogen losgeschickt hat um eine Gruppe von Menschen mit dem Amulett von Akabrashi zu bearbeiten“, berichtete er und ich konnte deutlich die Panik in seinen Augen sehen, die er verzweifelt versuchte zu unterdrücken.
“Wie bitte? Das können wir nicht zulassen!“
“Es ist nur ein paar Straßen weiter, wenn ich mich beeile schaffe ich es vielleicht noch rechtzeitig sie aufzuhalten.“
“Wir!“
“Was?“
“Ich komme selbstverständlich mit!“
“Ganz sicher nicht!“
“Ich lasse dich da nicht allein hingehen!“
“Das ist zu gefährlich, du musst zurück zur Academy!“
“Nein.“
Egal was er auch sagte, ich würde nicht von seiner Seite weichen!
“Violet bitte, du kannst nicht mitkommen!“
“Und du kannst mich nicht daran hindern“, entgegnete ich und stellte mich ihm herausfordernd in den Weg. Er schloss kurz die Augen bevor er sagte: “Dann versprich mir, dass du auf dich aufpasst!“ Eilig nickte ich, woraufhin er sich auch schon in Bewegung setzte und ich ihm hinterherrannte.
Ich versuchte möglichst wenige Menschen zu schubsen, als ich hinter Cole hereilte.
“Da vorne ist es!“, rief er mir über die Schulter hinweg zu und deutete auf ein großes Gebäude, das sich vor uns emporstreckte. Eine Oper? Ich hoffte inständig, dass wir es schaffen würden, bevor sich die Dryadogen um die Besucher dort kümmern würden, denn ich wusste wie gut solche Opern normalerweise besucht waren.
“Cole ich rieche Blut!“, schrie ich ihm unruhig gegen den Wind zu und er beschleunigte daraufhin seine Schritte.
Cole riss die Eingangstür auf und wir rannten atemlos durch den Eingangsbereich, bis wir an der Tür zum Saal angekommen waren und Cole diese leise öffnete. Wahrscheinlich um die Dryadogen unauffällig angreifen zu können, falls diese schon da waren.
Er eilte durch die Tür und blieb wie angewurzelt stehen, sodass ich hilflos in ihn hineinkrachte. Ich konnte nur hoffen, dass meine Nase noch ganz war. Verwirrt trat ich hinter ihm hervor und riss voller Schock die Augen auf, als ich erkannte warum Cole so abrupt stehen geblieben war. Im Saal war kein einziger Dryadoge zu sehen, doch überall, auf den Sitzen und in den Gängen lagen Menschen. So sehr sich mein Körper auch wünschte, dass sie nur schliefen, wusste ich trotzdem dass dem nicht so war. Es war alles voller Blut. Die Wände, der Boden, sogar die Bühne. Viele von ihnen zeigten Blasen auf der Haut und waren bläulich angelaufen.
“Wir kommen zu spät“, stellte Cole schockiert fest und starrte auf die unzähligen Leichen vor uns.
“Was ist hier passiert?“, fragte ich mit brüchiger Stimme und musste mich zusammenreißen, um mich nicht zu übergeben. Ich hatte noch nie so viele tote Menschen auf einem Haufen gesehen. Und dieser Gestank brachte mich, dank meines ausgeprägten Geruchssinnes, fast um.
“Anscheinend hat das Experiment meines Vaters nicht bei so vielen Menschen auf einmal gewirkt. Sie müssen grauenvolle Tode gestorben sein, wenn die Macht des Amuletts in ihren Geist eingedrungen ist, diesen aber nicht vollständig kontrollieren konnte.“
Ich fuhr mir panisch durch die Haare. Wie konnte eine Person nur so grausam sein!?
Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, wie viele Kinder an diesem Abend ihre Eltern verloren hatten und wie viele unangekündigt ihre geliebten Menschen gehen lassen mussten, ohne noch davon zu wissen.
Cole ballte seine Hände zu Fäusten und sagte wütend: “Wie konnte er nur?“
Ich hatte keine Antwort auf seine Frage, weshalb ich seine Hand in meine nahm und ihm so signalisierte, dass er nicht allein war.
“Was machen wir jetzt?“
“Ruf deine Oma an, sie soll eure Mediziner hierher schicken, damit sie sich ein Bild von dem Massaker hier machen und Pläne zum weiteren Umgang mit meinem Volk schmieden“, schlug er vor und rieb sich erschöpft die Stirn.
Mit zittrigen Fingern nahm ich sein Handy entgegen und wählte die Nummer des Büros meiner Oma. Es dauerte nicht lange, da meldete sich auch schon ihre Stimme zu Wort: “Alice Devone?“
Beim Klang ihrer Stimme musste ich mich zusammenreißen um nicht anzufangen zu weinen.
“Oma, ich bins, Violet.“
“Was ist los?“, fragte sie misstrauisch, denn ich hatte sie noch nie angerufen, weshalb ihr bewusst sein musste, dass ich mich nicht in der Nähe der Schule befand.
“Du musst kommen, es ist etwas Schreckliches passiert“, schluchzte ich los, woraufhin mich Cole an sich zog, sodass ich meinen Kopf an seine Brust legen konnte.
“Violet, sag mir sofort was passiert ist oder ich schwöre dir, dass das Konsequenzen haben wird!“
“Eldon hat seine Leute hergeschickt um eine Oper voller Menschen mit dem Akabrashi-Amulett gefügig zu machen. Es hat nicht funktioniert...“
Ich brauchte nicht zu erwähnen, dass sie alle tot waren, denn ich konnte an der eintretenden Stille an der anderen Leitung erkennen, dass sie das ganz genau wusste.
“Wo bist du?“
Ich gab ihr die Adresse durch und sie versprach, sofort zu kommen. Nachdem ich aufgelegt hatte, gingen wir nach draußen um dem Anblick und dem fürchterlichen Geruch zu entkommen.
“Er wird nicht aufhören bis er es geschafft hat, das Amulett bei so vielen Menschen zu benutzen“, meinte Cole und blickte flehend in den Himmel, der inzwischen sternenübersäht war.
“Ich will nicht wissen was passiert wenn er es schafft.“
Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
“Wie viele Unschuldige müssen noch ihr Leben verlieren, bis dieses Monster bezwungen wird?“
“Es tut mir so leid, dass du so aufwachsen musstest“, sagte ich ehrlich und sah ich mitfühlend an.
“Man gewöhnt sich dran.“ Er sagte das so kalt und ungerührt, dass es mir das Herz zerriss.
“Kein Kind sollte sich an so etwas gewöhnen müssen!“
“Ich habe sein wahres Wesen erst richtig zu spüren bekommen, als meine Mutter starb.“
“Er hat dich doch nicht etwa geschlagen?!“
Er öffnete seine Augen und warf mir einen gequälten Blick zu.
“Ich bin nicht unbedingt der gehorsamste Sohn gewesen.“
Ich schlug mir die Hand vor den Mund und ging ohne ein weiteres Wort auf ihn zu, um ihn so fest ich konnte zu umarmen. Dafür würde ich Eldon zusätzlich leiden lassen!
Am Anfang stand er nur völlig angespannt da, bis er mich schließlich auch umarmte und wir uns einfach nur festhielten.
“Feyler“, erklang hinter uns plötzlich eine unzufriedene Stimme, sodass wir auseinanderfuhren. Ursprung der Stimme war Alice Devone, die in knielangem, schwarzen Kleid und rotem Mantel in geringem Abstand zu uns dastand. Sie hatte die Hände in die Taschen ihres Mantels geschoben und sah Cole feindselig an.
“Was für eine Ehre Sie endlich persönlich kennenzulernen, Lady Devone“, sprach Cole ehrfürchtig und machte einen Schritt in ihre Richtung. Meine Oma zog hingegen nur ihre linke Augenbraue hoch und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Sie glaubte ihm offensichtlich kein Wort und selbst ich bezweifelte, dass es ihn so sehr interessierte sie kennenzulernen. Ich hatte keine Ahnung was er von der Erzfeindin seines Vaters hielt. Lady Devone offenbar auch nicht, denn sie ließ ihn den Rest des späteren Abends keine Sekunde aus den Augen.

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