38. Kapitel

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Ein eisiger Luftzug streifte durch das offene Fenster in den Raum, sodass Cole Feyler aus einem seiner häufigeren Albträume hochschreckte, da es langsam eine sehr niedrige Temperatur im Zimmer hatte. Er setzte sich senkrecht im Bett auf und strich sich die schweißnassen Haare aus der Stirn. Es war jedes Mal der selbe Traum. Er befand sich im riesigen Thronsaal und stand neben seinem Vater, welcher mit hartem Blick auf die kniende Gestalt zu ihren Füßen blickte. Cole wollte zu seiner Mutter eilen und ihr aufhelfen, doch sein Vater ließ es nicht zu, sondern zwang ihn stattdessen seine eigene Mutter zu ermorden. Da er sich jedes Mal weigerte dem Willen des Dryadogenkönigs Folge zu leisten, setzte sein Vater seine Macht ein, welche Cole zwang sein Schwert zu heben und auf seine Mutter zuzuschreiten. Immer wenn er in ihre traurigen Augen sah und nicht mehr gegen die Macht seines Vaters ankam, erwachte er schweißgebadet.
Er träumte diesen Albtraum seit seiner Kindheit, obwohl er seine Mutter kaum gekannt und nur Bilder von ihr gesehen hatte. Wahrscheinlich stammte es aus den wenigen glücklichen Erinnerungen die er an sie hatte.
Er wusste nicht wie sein Unterbewusstsein darauf kam, dass Eldon seiner Frau derartiges antun und für deren Tod verantwortlich sein könnte.
Wenn dieser jedoch sämtliche grausame Dinge Anderen antun konnte, was hinderte ihn dann daran diese seiner eigenen Familie anzutun?
Er verdrängte den Traum wie jede Nacht und stand auf um das Fenster zu schließen. Er zuckte etwas zusammen als seine Füße den kalten Flur berührten, weshalb er mit schnellen Schritten ans andere Ende des Zimmers eilte und das Fenster schließen wollte. Bevor er es verschloss, hielt er einen Moment inne. Er dachte, er hätte etwas gehört. Er kniff seine Augen zusammen und spitzte die Ohren.
Er meinte aus einem der unzähligen Fenster am Anbau gegenüber seines Zimmers Laute zu vernehmen. Es hörte sich an wie ein Schluchzen. Cole runzelte die Stirn, es war eigentlich gar nicht möglich bei dem lauten Pfeifen des starken Sturms draußen etwas anderes zu hören. Dennoch trieb ihn etwas an dorthin zu gehen, weshalb er leise die Tür hinter sich schloss und lautlos durch das Gebäude schlich. Er kam an vielen Türen vorbei und hoffte jedes Mal inständig, dass niemand aufwachen würde und ihn sehen würde. Auf der anderen Seite, wer würde den Erben des Königs aufhalten? Abgesehen von seinem Vater natürlich.
Cole begab sich so leise es ihm möglich war in den Anbau und lauschte. Das Geräusch kam aus einer Tür am Ende des Flurs, auf die er nun zuhielt.
Es war eine ältere, mit Gravuren verzierte Eisentür, die mit einem schweren Riegel verschlossen war.
Cole stemmte sich dagegen und entriegelte sie.
Es führten Stufen nach unten und er fragte sich warum er niemals hier gewesen war.
Eigentlich war er ein sehr abenteuerlustiges Kind gewesen, doch diese sonderbare Tür war ihm noch nie aufgefallen.
Vollkommene Dunkelheit schlug ihm ins Gesicht und ein eigenartiger Geruch stieg ihm in die Nase.
Es roch stickig, so als wäre schon eine ganze Zeit lang keine Menschenseele mehr hier unten gewesen.
Das leise Schluchzen hatte sich in ein unverständliches Flüstern verwandelt, was er unter anderen Umständen gruselig gefunden hätte, würde ihn auf dieser Welt noch etwas überraschen.
Cole Feyler war froh um seine Fähigkeit bei Nacht sehen zu können, sodass er die wackligen Stufen wenigstens nicht hinunterfiel und sich etwas orientieren konnte.
Unten angekommen ging er den einzigen Weg entlang, der ihn immer tiefer in das Gewölbe hineinführte.
Was war das hier für ein Ort?
Er zuckte zusammen, als ein paar Fledermäuse laut kreischend an ihm vorbeiflogen und hätte sich für seine Schreckhaftigkeit schlagen können.
Überall hingen große Spinnweben und an den Wänden befanden sich Halterungen für Fackeln, welche allerdings sehr unbenutzt aussahen. Er hinterließ einen Fingerabdruck in der dicken Staubschicht, als er die Wand berührte. Wie lange war es her, dass hier unten gelüftet und geputzt worden war?
Kopfschüttelnd lief er immer weiter der Dunkelheit entgegen.
Auf einmal endete der Flur und er musste um die Ecke laufen.
Cole verzog erschrocken das Gesicht als er sah was sich vor ihm befand.
Massenweise Zellen mit dicken Gitterstäben davor, in welchen vereinzelt Knochen lagen. Waren das Menschenknochen? Wenn hier drin jemand gestorben wäre, würde es auf jeden Fall den Gestank erklären.
Er konnte gar nicht sagen wie froh er war, dass diese Zellen frei von Lebenden waren. Er traute seinem Vater wirklich viel zu.
Eldons Sohn sah sich um und folgte dem Weg weiter, er wollte wissen was der Ursprung des Flüsterns gewesen war. Er strich sich das Spinnweben aus dem Gesicht, in das er gerade hineingelaufen war und wischte es naserümpfend an seiner Hose ab.
Plötzlich endete der Raum abrupt mit einer sehr kleinen Zelle, in der die Dunkelheit allerdings selbst für die Augen eines Dryadogen zu tief war.
Gerade als er sich umdrehen und den Keller verlassen wollte hörte er es.
Ein leiser Atem drang aus eben diesem kleinen Verließ an sein Ohr, sodass er herumfuhr.
“Wer ist da?“, fragte er laut, da er nichts erkennen konnte.
Er vernahm leise, kaum hörbare Schritte die auf ihn zukamen, weshalb er wiederum ein paar Schritte zurückmachte.
Er kniff die Augen zusammen, als eine hagere, schmale Gestalt in den Lichtstrahl trat, der durch eine der Ritzen in der Wand ins Verließ fiel.
Die Person hatte lange, dunkle, verfiltzte Haare und trug ein komplett von Schmutz bedecktes Kleid, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war. Ihm fiel auf, dass die Person weder Schuhe noch sonst irgendetwas trug, das sie vor der Kälte hier unten schützte.
Sie wischte sich langsam etwas Dreck und Staub aus dem Gesicht, woraufhin Cole der Atem stockte und er einen leisen Schrei ausstieß.
Er kannte das Gesicht der sich vor ihm befindenden Frau in und auswendig.
“Mutter?!“
Er fragte sich verzweifelt ob ihm sein Gehirn einen üblen Streich spielte, denn das hier konnte nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Sie machte einen völlig verwahrlosten Eindruck und stand so wacklig da, als könne sie sich kaum auf den Beinen halten.
Sie hatte blasse, schmale Lippen und dunkle Augen, die denen ihres Sohnes sehr ähnlich waren.
Sie hatte sich so gut wie nicht verändert, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, obwohl mindestens fünfzehn lange Jahre vergangen sein mussten.
“Cole?“, die Frau zog ihre Augenbrauen hoch und schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund.
“Was tust du hier? Du darfst nicht hier sein!“ Sie schüttelte voller Furcht unaufhörlich den Kopf.
“Ich bin einem Geräusch gefolgt. Was machst du hier, was ist hier los?“
Cole trat etwas näher an die Gitterstäbe heran, welche ihn von der Frau trennten.
“Du musst gehen! Wenn Eldon dich hier sieht...“ Cole konnte die Panik in ihrer Stimme hören.
“Eldon weiß, dass du hier bist? Ich dachte du seist tot!“
Cole war völlig durch den Wind, er wusste nicht was er glauben sollte, aber es gab keinen Zweifel, die Frau vor ihm war seine Mutter!
Diese stieß ein höhnisches Lachen aus, auf welches ein längerer Hustenanfall folgte.
“Natürlich weiß er das, er hat mich schließlich hier hereingesteckt.“
Sie lächelte matt und trotz ihrer dünnen, kraftlosen Stimme war deutlich eine Mischung aus Hass und Angst darin zu erkennen.
“Was?“ Cole blinzelte perplex und wiederholte ihren Satz in seinem Kopf noch einmal.
“Ich habe dir versucht Zeichen zu schicken, um dir die Augen zu öffnen und dir zu zeigen was für ein Monster dein Vater ist.“
Cole überlegte kurz, als es ihm schließlich wie Schuppen von den Augen fiel.
“Die Träume!“
“Ich habe nicht den blassesten Schimmer was du geträumt hast, ich habe nur dafür gesorgt, dass ich darin vorkomme.“
“Mum, wie bist du hier reingekommen? Was geht hier vor?“
“Ich werde dir alles erzählen, aber zuvor muss ich mich setzen!“ Jayde Feyler stützte sich mit größter Anstrengung an der Felswand ab, um nicht hinzufallen und ließ sich erschöpft auf den Boden gleiten. Sie stöhnte, als ihre Hand abrutschte und sie die letzten paar Zentimeter auf den staubbedeckten Boden knallte. Es war ein grauenvoller Laut.
Cole eilte zu ihr, soweit es das Gitter zuließ und setzte sich vor sie in den Dreck.
Es schnürte ihm die Kehle zu seine Mutter so zu sehen. Sie war vollkommen abgemagert, schmutzig und kraftlos. In ihren Augen war kein sprühender Lebensfunke mehr zu sehen, nur noch pure Erschöpfung und ein endloses Verlangen nach ewiger Ruhe das nicht gestillt werden konnte.
“Zuallererst machte mich dein Vater zur glücklichsten Frau dieser Welt, doch ich war blind vor Liebe, dass ich nicht erkannte was sich hinter der attraktiven Maske und den ganzen Schmeicheleien verbarg. Als ich herausfand, was er hinter meinem Rücken trieb und was für einen Krieg er den Vampiren angekündigt hatte, wollte ich fort von ihm. Hauptsächlich aber wollte ich dich vor ihm beschützen, jedoch konnte ich hochschwanger nicht vor ihm fliehen, weshalb ich plante bis nach deiner Geburt zu warten. Leider hatte ich nicht bedacht, dass ich danach zu schwach war um mich gegen ihn zu stellen und da ihm seine Wachen sofort von meinem Vorhaben berichteten, konnte ich nichts gegen seine Wut tun. Ich konnte ihn nicht beruhigen, doch ich versuchte alles abzustreiten, damit er dir nichts antat. So lebte ich etwas mehr als ein Jahr bei ihm, um meine Kräfte für eine Flucht zu sammeln. Ich wollte nur heimlich mit dir verschwinden, doch als ich aus dem Fenster meines Zimmers kletterte, konnte ich ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterdrücken, da mir dies jegliche Kraft abverlangte, sodass ich entdeckt wurde. Ich hatte nicht gemerkt, dass Eldon meine Kräfte Tag für Tag zurückgedrängt hatte, sodass ich irgendwann nur noch einen unüberwindbare Barriere spürte, als ich sie nutzen wollte.
Eldon nahm dich mir weg und ließ mich in diese Zelle hier werfen.
Ich weiß nicht warum er mich am Leben ließ, doch ein Leben hier unten in diesem Loch, wo ich jeden Tag gerade so viel Nahrung bekomme, dass ich nicht verhungere, ist schlimmer als der Tod.“ Sie hielt einen Moment inne, bevor sie erschrocken den Kopf hob und mit weit aufgerissenen Augen fragte: “Er hat dir doch nichts getan oder? Du bist doch nicht etwa auf seiner Seite?“
Cole wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schüttelte energisch den Kopf. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt geweint hatte, doch es musste schon eine ganze Weile hergewesen sein.
“Ich teile den Hass dieses Bastards auf die Vampire nicht! Wenn ich könnte hätte ich ihn schon längst erledigt.“
“Was hat dafür gesorgt, dass er dich nicht überzeugt hat?“
“Ich habe noch nie verstanden, was an den Vampiren so schlimm sein soll, dass man sie erbarmungslos abschlachten sollte. Aber ich glaube so wirklich von ihm abgewendet habe ich mich, als jemand aus unseren Reihen Lynne Devone auf brutalste Weise gefoltert und ermordet hat und das Gerücht entstand, dass ich dies gewesen sei. Die Dryadogen haben mich gelobt und gefeiert, als hätte ich etwas Wunderbares getan, aber ich konnte einfach nicht verstehen was an so einer grausigen Tat ehrenhaft gewesen sein sollte. An diesem Tag fing ich an mich wirklich von ihnen abzuwenden“, erklärte Cole verächtlich.
Seine Mutter sah ihn voller Mitgefühl an und sagte: “Ich kann mir vorstellen, dass die Vampire dich seit dem mehr als tot sehen wollen!“
“Es hat lange gebraucht, aber ich denke selbst Alice Devone hat Zweifel an meiner Schuld, immerhin hat sie mich nicht sofort ausgeweidet als ich ihr begegnet bin“, grinste Cole und rutschte etwas näher ans kalte Gitter.
“Arme Alice, ich bin hier unten nur nicht völlig durchgedreht, weil ich wusste, dass du am Leben bist.“
Sie streckte ihre Hand aus und nahm seine Hand in beide Hände. Sie waren eiskalt, sodass es Cole einen Schauer über den Rücken jagte.
“Mum, wir müssen dich hier rausholen!“
Wie hatte es seine Mutter all die Jahre hier unten in diesem kalten, schmutzigen Loch nur ausgehalten?
“Dieses Schloss bekommst du nur mit einem einzigen Schlüssel auf, und der befindet sich um Eldons Hals.“
“Ich habe mich schon immer gefragt wofür der wohl ist...Ich muss ihn also nur stehlen wenn er schläft.“
“Nein Cole! Wenn er dich erwischt bist du tot und selbst wenn es dir gelingen sollte, wird der Wächter der mir jeden Tag Essen und Wasser bringt sofort merken, dass ich nicht mehr da bin und Eldons Verdacht wird sofort auf dich fallen!“
Cole öffnete den Mund um seiner Mutter zu widersprechen, doch diese unterbrach ihn hektisch: “Ich werde nicht zulassen, dass du dein Leben für mich aufs Spiel setzt!“
“Aber ich kann dich nicht hier in diesem Drecksloch lassen!“
“Du kannst und du wirst! Versprich mir, dass du nichts unternehmen wirst, was dein Leben in Gefahr bringt!“
Cole schüttelte panikartig den Kopf. Er konnte seine Mutter nicht noch länger hierlassen, sie hatte schon lange genug hier eingesperrt leben müssen.
“Mum, ich kann nicht!“
“Versprich es mir!“
Es entstand eine lange Pause in der Cole angestrengt überlegte was er tun sollte, bis er schließlich leise sagte: “Wenn ich es verspreche, dann werde ich dich jede Nacht hier besuchen und dir etwas gescheites zum Essen und anständige Kleidung mitbringen!“
“Cole du musst nicht...“
“Wenn du es nicht zulässt, reist du mir damit das Herz raus!“
Jayde legte den Kopf schief und ihre Augen glitzerten traurig.
“In Ordnung.“
Cole spürte wie die aufsteigende Angst wieder nachließ, sodass er aufatmen konnte.
“Ich würde alles tun um dich jetzt in meinen Armen halten zu können, mein kleiner Engel“, meinte sie traurig und eine Träne tropfte auf den staubbedeckten Boden.
“Ich auch Mum, ich auch.“

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