63. Kapitel

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Auf einmal versuchten drei dunkelgraue bandähnliche Gestalten mich anzugreifen, weshalb ich mich hinter den Brunnen warf, um in Deckung zu gehen. Eldons Macht traf die Wand anstatt mich.
Erleichtert starrte ich auf das Loch, welches Eldon im Gestein hinterlassen hatte.
Ich eilte aus meinem Versteck hervor und ließ alles was ich hatte auf Eldon schießen. Dieser tat das Selbe und unsere Fähigkeiten trafen aufeinander. Gerade noch rechtzeitig stemmte ich meinen Fuß in den Boden, sonst hätte mich der Druck des Aufpralls vermutlich um einige Meter zurückgeschleudert.
Schwarze Magie kämpfte gegen weiße. Zwei vollkommene Gegensätze duellierten sich.
Es verlangte mir alles ab, mich gegen Eldon zu stellen und seine Macht zurückzuhalten. Ich merkte wie mir der Schweiß in Perlen von der Stirn lief und auf den Boden tropfte.
Ich verlor jegliches Zeitgefühl, sodass ich nicht sagen konnte wie lange ich so dastand und meine Hände ausgestreckt auf den Dryadogenkönig gerichtet waren.
Als meine Kräfte allmählich nachließen, ging ich schweißüberströmt in die Knie und biss die Zähne zusammen.
Ich merkte wie sich meine Kräfte dem Ende neigten und ich immer leerer wurde.
Auch Eldon bemerkte dies und setzte noch eins drauf, sodass die schwarzen Funken meine hellen zurückdrängten und immer näher kamen. Mist!
Wie hatten die sich das denn vorgestellt, dass ich einfach so im Handumdrehen einen hunderten von Jahren alten Dryadogenkönig umnietete?
Mit meinen 18 Jahren war ich ihm ganz und gar nicht ebenbürtig!
Ich schwächelte immer mehr. Ich spürte wie mir vor Anstrengung das Blut in den Kopf schoss und dort so laut rauschte, dass ich nichts anderes um mich herum mehr wahrnahm, als er mich fast erreicht hatte.
Lady Devones Kraft wütete in mir und wollte heraus, doch ich drängte sie zurück, da ich nicht wusste wann ihre Ressourcen ein Ende nahmen.
Ich blinzelte erstaunt, als Eldon auf einmal ein kleines, goldenes Amulett in der Hand hatte und auf mich hielt, als sollte dieses irgendetwas bei mir bewirken. Wie auf Kommando spürte ich, dass etwas meinen Geist angriff und versuchte in meinen Kopf zu gelangen. Mit letzter Widerstandskraft stemmte ich mich dagegen und wehrte mich, versuchte meine Gedanken zu verschließen, während etwas in mir die Macht des Amuletts angriff. Blaues Licht schoss heraus und fiel auf etwas oder besser gesagt jemanden am anderen Ende des Raums. Isaiahs Lippen verließ ein schmerzerfüllter Schrei, als das Amulett seinen Geist brach und von seinem Verstand Gebrauch machte. Es dauerte einen Moment, dann wurden seine Augen genauso ausdruckslos und kalt wie die von Mum damals. Ich schüttelte verzweifelt den Kopf. Dies war Isaiahs Todesurteil!
Eldon ballte frustiert die Fäuste, als er sah, dass er das Amulett nicht gegen mich sondern gegen den Freund seines Sohnes eingesetzt hatte.
Er ließ es in die Tasche seiner Hose gleiten und befahl Isaiah stumm, mich anzugreifen. Bevor dieser das jedoch tun konnte, nagelte ein Blitz Isaiah an die Wand, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte. Wie ein Wahnsinniger verzogen sich seine Gesichtszüge und er versuchte sich zu befreien, kam allerdings nicht besonders weit. Soweit ich das beurteilen konnte, stammte der Blitz von Niamh, welche sich allerdings sofort wieder den übrigen Dryadogen zuwandte.
Die Gegenwehr gegen das Amulett hatte mich vollkommen ausgenockt, sodass ich erschöpft auf dem Boden saß und mir die Augen rieb.
Plötzlich nahm ich neben mir eine Bewegung wahr und hob langsam den Kopf.
Celeste blickte mit feurigem Ausdruck in den Augen auf mich herunter und hielt mir entschlossen eine Hand hin. Ich ergriff sie überrascht über Celestes Anwesenheit und zog mich hoch, während ich merkte, dass Eldons Macht nicht mehr weit entfernt war.
"Weißt du, das hier kann alles sofort enden, du musst dich nur ergeben. Für das Leben deiner Freunde. Sie mussten schon genug leiden, findest du nicht? Sollen sie jetzt auch noch für dich sterben? Es bricht mir das Herz dich leiden zu sehen, der Tod deiner Mutter war nicht geplant, doch ich konnte ja nicht wissen, dass Jake die Fassung verlieren würde, das musst du mir glauben. Ich kann dir ein neues Leben bieten, Sicherheit für dich und deine Freunde und gemeinsam können wir die Welt erobern!" Ich erstarrte als ich irritiert von seiner verborgenen Drohung in Eldons Richtung sah. Sein Arm presste gegen Libbys Hals, sodass diese neben ihm gefangen war.
Wollte sie nicht die Rosehill Academy bewachen und dort einigermaßen in Sicherheit sein?!
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen wie Celeste sich angespannte und drohend ihren Unterkiefer nach vorne schob.
"Sie muss nicht sterben, Violet!"
Ich wollte nicht wissen was für ein Leben meine Freunde führen müssten, wenn ich mich jetzt ergab. Von wegen Sicherheit und Freiheit! Ich hatte Cole versprochen nicht aufzugeben.
Aber ich musste Libby da irgendwie wegbekommen, weshalb ich einen Schritt vortrat. "Du hast Recht, ich will so ein Leben nicht führen!" Ich senkte geknickt den Kopf und versetzte meiner Stimme einen extra Schuss Trauer.
Ich war nie ein besonderes Schauspieltalent gewesen, doch hierfür mussten meine Künste wohl ausreichen.
Eldons Augen weiteten sich, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich so schnell ergeben würde. Libby nutzte die Chance und trat gegen sein Schienbein, während sie gleichzeitig den Ellbogen in seine Brust schlug, sodass der König etwas schwerfällig zurücktaumelte und Libby unter seinem Arm hindurchschlüpfen konnte. Sie rannte von ihm weg und schmiss sich in letzter Sekunde zur Seite, als eine Welle schwarzer Magie auf sie zurollte und schrie auf, als diese die rothaarige Hexe am Arm traf.
"Nicht meine Schwester du Dreckskerl!"
Celestes von Ringen übersäten Finger rutschten aus meiner Hand, als sie selbstbewusst nach vorne trat.
Der Dryadogenkönig verzog zornig und verächtlich zugleich den Mund: "Blutrünstige Hexe..."
Die Königin der Hexen reckte das Kinn und entgegnete zynisch: "Du hast Königin vergessen!"
Eldon duckte sich reflexartig als Celestes Angriff kam und lauter rote Magie wie ein Kugelhagel auf ihn schoss. Sowohl die Bilder an der Wand hinter ihm als auch die Kerzenhalter krachten mit einem ohrenbetäubenden Poltern auf die gläsernen Fließen.
Kleine Staubwölkchen stiegen auf und hüllten die klare Atmosphäre in ein undurchsichtiges Gemisch aus grauem Schutt und roter als auch schwarzer Magie.
Meine Lippen verzogen sich trotz den unpassenden Umständen zu einem leichten Lächeln. Celeste Bloodthorn wusste wie man einen Auftritt hinlegte!
Eldon streckte die Hand aus und eine schwarze Wolke traf die Hexe neben mir in die Brust, sodass sie zischend aufstöhnte, doch sie hatte sich schnell wieder gefasst.
Mein Kopf zuckte auf die andere Seite, als Libby dort erschien und meine linke Hand ergriff.
Sie lächelte mir zu und flüsterte: "Zeigen wir dem Bastard mal was wir drauf haben!"
Celeste nickte zustimmend und ich schloss kurz die Augen, um meine Macht ein letztes Mal heraufzubeschwören. Aus Libby und Celeste schossen jeweils rote als auch grüne Flammen und Blitze hervor, die sich in der Mitte bündelten und Eldon gemeinsam angriffen.
Plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Cole war tot.
Tot.
Weg.
Für immer.
Ich würde ihn nie wieder sehen.
Ein unglaublicher Schmerz nahm mir fast die Luft weg, sodass ich nur noch sehr spärlich atmen konnte. Es fühlte sich an, als wäre etwas in mir selbst gestorben. Ich wollte nur noch schreien und alles rauslassen und hier weg.
Doch ich hatte ihm versprochen zu kämpfen und ich würde dieses Versprechen halten!
Ich ließ den Schmerz durch meinen Körper strömen und nutzte die dadurch aufkommende Kraft und Aggression.
Ich hatte noch nie so eine Höllenqual ausgestanden, es war schlimmer als alles was ich bisher erlebt hatte. Vielleicht weil es nach Mums Tod noch mal eine zusätzliche Steigerung war.
Ich hatte heute nicht nur eine Person zu rächen!
Ich ließ alles heraus was ich hatte. Mentale Kraft, Feuer und was sonst noch in meinem Innersten bisher verborgen gesteckt hatte.
Omas Macht war nicht mehr zu bändigen und verließ explosionsartig meinen Körper.
Der Raum explodierte in einem hellen, farbigen Licht, welches auf Eldon überging.
Dieser beschwor seine Dunkelheit, welche uns etwas zurückdrängte.
Ich sah aus dem Augenwinkel wie im Hintergrund Niamh in ihrer Monstergestalt ihr Unwesen trieb und dafür sorgte, dass uns niemand in die Quere kam. Als ich Coles Bild vor mir auftauchen sah, fing ich an zu schreien.
Immer mehr Feuer schoss aus mir heraus und griff nicht nur Eldon an, sondern auch die restlichen Dryadogen im Raum.
Eldon hielt zuerst gut dagegen und riss ein paar Mitglieder der Bruderschaft in den Tod, die ihm zu nahe kamen, doch es war kein fairer Kampf. Drei gegen einen.
Eldon war stark. Sehr stark. Doch er hatte seine haufenweisen Anhänger gehabt, die jeden seiner Befehle untertänigst ausgeführt hatten. Er hatte den Fehler gemacht, fast alle davon aufs Schlachtfeld zu schicken und wir hatten dies bewusst zu unserem Vorteil genutzt. Ich wusste nicht, wie es draußen stand, welches Volk mittlerweile die Oberhand hatte, doch ich hoffte wir.
Hätte der König vor uns nicht alles auf eine Karte gesetzt, hätten wir ihn niemals erreichen können und ihm nicht einmal einen Kratzer zufügen können. Ich alleine schaffte es vielleicht nicht etwas gegen ihn auszurichten, doch mit der Königin der Hexen, ihrer Schwester und der Macht der Kanzlerin waren wir ihm mehr als ebenbürtig.
Eldon versuchte es zwar zu verbergen, doch ich konnte seine wachsende Angst spüren, als ihm bewusst wurde dass er einen Fehler begangen hatte.
Wahrscheinlich den größten seines Lebens.
Noch immer schrie ich wie am Spieß und bekam gar nicht richtig mit was um mich herum geschah, da ich von tiefem Schmerz erfüllt die Augen zusammenkniff.
Meine Kräfte verstärkten Lady Devones Feuer zusätzlich, sodass der Raum immer heller und heißer wurde und ich langsam das Gefühl hatte, wir würden komplett in Flammen stehen. Hätte ich mich umgesehen, hätte ich erkannt, dass das Feuer wie ein Untier durch den ganzen Raum wirbelte und alles in Brand steckte, was es in die Finger bekam.
Die beiden Hexen neben mir zerquetschten mir fast die Finger, während auch sie ihre Fähigkeiten voll und ganz ausschöpften.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer flackerte vor meinem inneren Auge auf, als Eldons schwarze Magie immer geringer und schwächer wurde. Ich konnte es spüren, wie die schwarze Leere bockte und sich aufbäumte, um nicht zurückgedrängt zu werden.
Ein brennender Schmerz flackerte in meinem Innersten auf und ernährte sich von meine schwindenden Magie. Alles in mir verzehrte sich danach, aufzuhören und dem Verschwinden meiner Kräfte ein Ende zu setzen, doch ich konnte nicht loslassen. Egal wie sehr ich es auch gewollt hätte, es ging einfach nicht.
Zwar konnte ich langsam das Ende meiner Kräfte deutlich fühlen, doch ich ignorierte das warnende Signal und gab Eldon zusammen mit Libby und Celeste immer noch laut schreiend den Rest.
Die schwarzen Blitze zuckten, erloschen und Eldon knickte unter einem schmerzerfüllten Kreischen zusammen. Rote und Grüne Flammen trafen ihn ungehindert, sodass er in die Luft geschleudert wurde und dort für ein paar Sekunden brennend hing, bis er schließlich neben seinen Thron fiel und liegen blieb. Es war als würde er unter den Flammen nicht verbrennen. Er lag einfach nur bewegungslos da.
Erschöpft schnappte ich nach Luft und ließ die Hände der beiden Hexen los. Ich fiel ausgelaugt auf die Knie und meine Hände knallten kraftlos auf den kalten, marmorfarbenen Boden. Es war kein Fünkchen Magie mehr in meinem Körper. Ich hatte alles aufgebraucht.
Bitte lass sie nicht für immer weg sein! Ängstlich hörte ich in mich hinein, doch meine Magie gab keine Antwort.
Ich biss mir zähneklappernd auf die Lippe und schmeckte ziemlich rasch Blut.
Urplötzlich hörte ich wie jemand geräuschvoll einatmete und mein Kopf zuckte hoch. Wie in Trance beobachtete ich, wie sich Cole langsam aufsetzte und sich gegen die schmerzende Brust schlug.
"Wie ist das möglich?", flüsterte ich und konnte meinen Augen kaum trauen. Was passierte hier?
"Ich lasse doch nicht zu, dass dieser Bastard meinen besten Freund tötet", verkündete Niamh und spazierte in Menschenform auf Cole zu.
Sie hatte ihn gerettet!
Wie auch immer sie es hinbekommen hatte, ihn von den Toten zurückzuholen, ich würde ihr auf ewig dankbar sein!
Mit dieser Erkenntnis sprang ich auf und schmiss mich wortwörtlich auf Cole.
"Du lebst!"
"Sieht so aus", gab er grinsend zurück und ich küsste ihn innig.
Tausend Gefühle des Glücks und der puren Erleichterung tanzten in mir um die Wette. Es fühlte sich an, als sei ein großer Teil der dunklen, ausgebrannten Finsternis in mir wieder erhellt worden.
Er setzte sich auf und legte einen Arm um mich, während er sich orientierungslos umsah und sein Blick am Körper seines Vaters hängen blieb.
"Du hast es geschafft, ich wusste es!", freute er sich und sah mich stolz an.
"Eldon ist noch nicht tot", stellte Celeste plötzlich fest und warf einen beunruhigten Blick in seine Richtung.
Cole wollte sich schon aufrichten und dies ändern, doch jemand hielt ihn zurück.
"Du wirst ihn nicht töten können, nicht so. Dieser Palast, das alles hier, muss mit ihm untergehen! Ich werde das erledigen", erklärte Frey Redwood, der soeben durch die Tür in den verunstalteten Raum getreten war.
"Nein das wirst du nicht!", widersprach Celeste ihm, doch Frey hob die Hand und eine Machtwelle durchquerte das Zimmer.
Anders konnte ich es nicht beschreiben.
Ich blickte mich um. Alles sah aus wie eingefroren, bis auf Frey, Cole, Niamh, Libby und mich.
Verwundert starrte ich Frey an, doch der zuckte nur die Achseln, als wäre nichts passiert. Hatte er gerade die Zeit angehalten?!
"Ich werde hier bleiben und den Palast zum Einsturz bringen, damit Eldon stirbt. Libby, es tut mir alles so wahnsinnig leid und ich wünsche dir so sehr, dass du glücklich wirst! Ich möchte diese eine letzte Sache endlich einmal richtig machen und meine ganzen Fehler ausgleichen. Bitte nimm Celeste mit raus hier und lass sie mich nicht an meinem Vorhaben hindern", sagte er zu seiner Schwester, welche unter Tränen nickte und sich in seine Arme warf.
"Ihr drei...holt Jayde hier heraus, ich werde solange warten und die Zeit angehalten lassen, bis ihr draußen seid!"
Cole dankte ihm traurig, ging zu seinem Vater hinüber und riss ihm eine kleine Kette mit einem Schlüssel daran vom Hals.
Dieser musste zu Jaydes Zelle gehören, soweit mir Cole das erzählt hatte. Niamh und ich folgten ihm, nachdem wir Frey einen letzten, traurigen aber dankbaren Blick zugeworfen hatten und liefen aus dem Raum.
Frey würde den Palast nicht mehr lebend verlassen. Er würde sich für das Wohl der Allgemeinheit opfern. Mich überkam eine Welle des schlechten Gewissens, doch ich schluckte es hinunter. Es war seine Entscheidung und ich selbst hatte keine Kraft mehr das Gebäude zum Einsturz zu bringen.
Ich schluckte die Erkenntnis, dass ich den frohsinnigen und aufopferungsbereiten Magier nie wieder sehen würde, hinunter.
Wir verfielen in einen leichten Sprint und kamen in einen Anbau, dessen Flur wir bis zur letzten Tür folgten.
Cole entriegelte diese und eine unangenehme Kälte sprang uns entgegen, so wie ein ekliger Geruch.
Wir stiegen die wackligen Stufen hinab, wobei ich bei der letzten umknickte und noch gerade so von Cole aufgefangen wurde, bevor ich hinfallen konnte.
Immer noch überglücklich und fassungslos starrte ich ihn an, um sicherzugehen dass ich mir seine Auferstehung nicht nur eingebildet hatte.
Hier unten war es stockdunkel und nur meine Vampiraugen ermöglichten es mir überhaupt etwas zu erkennen. Alles war staubig und verdreckt und ich achtete sehr darauf mit keiner großen Spinne Bekanntschaft zu machen.
Wir eilten die kalten Gemäuer entlang, bis wir vor einer kleinen, noch finstereren Zelle Halt machten.
"Mum?", fragte Cole in die Schwärze hinein und ich vernahm einen leisen Atem, als ich mich konzentrierte.
Eine schwarzhaarige, dunkeläugige Frau trat ans Gitter heran und ich wusste sofort dass sie Coles Mutter war. Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Auch wenn Jayde Feylers Gesicht voller Schmutz und Staub war, erkannte ich dennoch die ähnlichen weichen Gesichtszüge.
"Ich sehe du hast Freunde mitgebracht?"
Sie sah so unendlich müde und erschöpft aus, als hätte sie seit einer halben Ewigkeit keinen ruhigen Schlaf mehr genossen. Mein Herz verkrampfte sich schmerzhaft bei ihrem Anblick.
"Das sind Violet und Niamh", erklärte er seiner Mutter nebenbei, während er den Schlüssel in das alte verrostete Schloss steckt und umdrehte. Mit einem lauten Ächzen entsperrte sich das Gitter und Cole öffnete die Zelle und fiel sofort seiner Mutter um den Hals.
Bei dem Anblick musste ich lächeln. Wie lange hatte Cole geglaubt sie sei tot und jetzt konnte er sie in den Armen halten?
Jayde liefen einzelne Tränen über das Gesicht, die jeweils eine dicke Staubschicht mit wegwischten.
"Dieser Moment war es, der das Warten in dieser Zelle um einiges erträglicher gemacht hat", flüsterte sie und ich musste mich sehr beherrschen um nicht auch anzufangen zu weinen.
Als Cole seine Mutter nach einer halben Ewigkeit wieder losließ, nahm diese auch Niamh und mich in eine Umarmung und mir fiel auf wie kraftlos ihre Arme auf unseren Schultern lagen.
Ich glaube ich hatte noch nie eine Frau so bewundert und respektiert wie jene die vor mir stand und dreinsah als wäre das hier der schönste Moment ihres Lebens. Sie hatte über fünfzehn Jahre in dieser Zelle, diesem Drecksloch, verbracht ohne wahnsinnig zu werden und das Ganze auch noch überlebt. Sie hatte sogar über die Jahre hinweg Cole versucht in seinen Träumen Zeichen zu schicken und sich gegen ihren Ehemann gestellt, auch wenn es für sie bedeutet hatte, vielleicht nie wieder Tageslicht sehen zu können.
Ich freute mich so unglaublich für Cole und konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln.
"Wir müssen langsam gehen, ich weiß nicht wie lange Frey noch warten wird", meinte Niamh und befreite sich aus Jaydes Umarmung.
"Frey Redwood?", fragte Coles Mutter verwundert und erntete ein zustimmendes Nicken.
Sie schien kurz nachzudenken und ihr Blick richtete sich ins Leere, bevor sie ihre Gedanken abschüttelte und wir wieder aus der alten schmutzigen Gruft heraustraten.
"Wartet!", hielt uns Jayde plötzlich auf, sodass wir irritiert stehenblieben.
"Eldon hat noch einen weiteren Kerker, wo er meistens irgendwelche Vampire eingesperrt hat, wir sollten die auch freilassen!"
Noch ein Kerker? Wie krank war der Typ?!
"Wo?"
Jayde Feyler ging voraus und führte uns zu einer sehr harmlos und normal aussehenden Tür am anderen Ende des Anbaus. Sie öffnete diese und wir gelangen in einen fensterlosen Raum, dessen einziger Inhalt eine weitere, diesmal sehr viel ältere und größere Tür war.
Cole schob diese mit einem Ruck auf und ein noch schlimmerer stickiger Geruch stieg mir in die Nase. Es war jedoch nicht mal ansatzweise so kalt wie im anderen Kerker.
Wir sahen uns neugierig um, nachdem wir die schmale Treppe hinter uns gelassen hatten.
Es war etwas heller, da an der Wand, knapp unter der Steindecke, kleine rechteckige Löcher eingeschlagen waren, die wohl als Fenster dienen sollten.
Der Boden war zwar extrem dreckig, doch weniger staubig als erwartet. Hier musste des Öfteren jemand raus und reingegangen sein.
Schon nachdem wir ein paar Schritte gegangen waren, erschienen auf beiden Seiten die ersten Zellen. Ich spitzte die Ohren und hörte vereinzelte schwere Atemzüge aber auch ein gruseliges Flüstern.
Jayde ging zur ersten Zelle und blieb mit einem Meter Sicherheitsabstand davor stehen.
Sogleich sprang etwas gegen die Gitterstäbe und fauchte.
Als dieses Etwas Jayde erkannte, blieb es verwundert stehen und legte den Kopf schief. Es war ein Vampir, dessen Haut mehr als bleich war. Er sah eigentlich mehr aus wie eine wandelnde Leiche.
"Wer bist du?", fragte Jayde den Mann vor ihr, woraufhin dieser einen Schritt näher an das Gitter herantrat.
"Leon Wilson. Vielleicht kennst du meine Schwester, Claire Mason, wenn du an die Rosehill Academy gehst", sagte er und sah dabei mich an.
Der Bastard hatte Mrs Masons Bruder nicht freigelassen! Ich hatte es geahnt. Cole nahm einen Stein aus der Ecke und schlug das Schloss auf, genauso wie bei jeder anderen Zelle in diesem Kerker auch, nachdem er einen kurzen Blick hineingeworfen hatte.
Zahlreiche Vampire, aber auch Dryadogen schlichen ungläubig aus ihren Zellen und starrten einander an. Ein paar fielen sich um den Hals, wahrscheinlich waren sie zusammen gefangen genommen worden.
Ich war so vertieft darin die Gefangenen zu beobachten, dass ich herumwirbelte als mich plötzlich eine Frau, die ungefähr im gleichen Alter zu sein schien wie meine Mum gewesen war, flehend und panisch ansprach: "Geht es meiner Tochter gut? Bitte sag mir, dass sie noch lebt!"
"Wer ist Ihre Tochter?"
"Liz Havering."
Mir blieb vor lauter Unglauben und Erstaunen der Mund offen stehen.
Liz dachte, ihre Mutter sei tot!
"Sie ist meine Freundin und kämpft gerade auf dem Schlachtfeld!"
Ich betete, dass sie noch lebte, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie zulassen würde, dass sie jemand umbrachte.
Die Frau umarmte mich stürmisch und rannte dann wie vom Blitz getroffen aus dem Kerker hinaus. Bevor sie diesen jedoch verließ erhaschte ich einen Blick auf ihren unteren Rücken, als ihr schmutziges Oberteil ein Stück hochrutschte und erstarrte. Ihr Körper war über und über mit Narben übersäht, die sehr nach verheilten Peitschenschlägen aussahen. Was hatte Eldon nur getan!?
"Wir müssen hier raus, der Palast wird jeden Moment einstürzen!", rief Cole den Freigelassenen zu, worauf hunderte Vampire und Dryadogen an uns vorbeizischten und ins Freie eilten.
Bevor Niamh, Cole, Jayde und ich den Letzten folgen konnten, gab uns Cole ein Zeichen, dass wir nicht alleine waren. Ich hielt den Atem an und da hörte ich es auch. Es klang wie ein Röcheln, das verzweifelt zu unterdrücken versucht wurde. Der Urheber des Geräuschs bemerkte offenbar, dass er aufgeflogen war, denn er näherte sich uns bis er die Treppe heruntergelaufen kam und wir sein Gesicht erkennen konnten. Ich wusste nicht wer er war, doch ich sah, dass Cole erkennend das Gesicht verzog.
"Wo wollt ihr hin?", fragte der Dryadoge forschend und funkelte uns wütend an.
"Eldon ist gefallen, du solltest uns nicht im Weg stehen!", zischte ihn Niamh zu.
"Und ich werde neuer König werden", offenbarte er seine Pläne und trat gefährlich grinsend auf uns zu, bis er nur noch ein paar Schritte vor Cole und Jayde entfernt war. Cole verspannte sich sichtlich, als er dem Dryadogen ins Gesicht starrte.
"Nur über meine Leiche", prophezeite Jayde plötzlich, holte aus und schlug dem Mann mit der Faust direkt ins Gesicht, sodass er wie ein Sack rückwärts auf den Boden fiel, als wäre er gegen einen Hammer gelaufen. Ich stutzte. Wie konnte Jayde so viel Kraft haben, nachdem sie seit Jahren jeden Tag kraftloser wurde?
"Da habe ich mich wohl etwas unterschätzt", murmelte sie ebenso überrascht von den Auswirkungen ihres Schlags. Cole zuckte mit den Schultern, nahm meine Hand und wir ließen den Anbau hinter uns. Als wir wieder in den Thronsaal kamen, entfuhr Coles Mutter ein schmerzerfüllter Schrei und sie kniff hastig die Augen zusammen. Sofort war Cole bei ihr und fragte sie was los sei, woraufhin sie nur stöhnte: "Das Licht, zu hell!"
Nachdem sie sich wieder gefangen hatte und sich ihre Augen etwas an das Licht gewöhnt hatten, blickte ich mich um. Frey stand wartend in der Mitte, Eldon lag vor seinem Thron, Libby und Celeste waren verschwunden und Isaiah hing noch immer bewegungslos an der Wand.
"Was macht er da?", fragte Cole misstrauisch, als er seinen Freund entdeckte und ich senkte traurig den Kopf.
"Eldon hat das Akabrashi Amulett gegen ihn eingesetzt", erklärte Niamh leise und Coles Gesicht wurde bleich.
"Wir nehmen ihn mit!"
Frey blinzelte und ein heftiger Windstoß fegte durch den Raum und Isaiah fiel von der Wand hinunter. Er knurrte gefährlich, doch bevor er etwas anstellen konnte, legten sich unsichtbare Fesseln um seine Hände und Füße und er schwebte fluchend hinter Niamh nach draußen.
"Ihr solltet auch gehen", meinte Frey lächelnd und wir verabschiedeten uns traurig und gingen in Richtung Tür.
Frey hob die Hände und die Scheiben fingen an zu zerspringen, genauso wie alles andere durch den Raum flog, was nicht niet und nagelfest war.
Ein blauer Blitz ließ das Glasdach zersplittern und die Scherben bedeckten den ganzen Boden.
Bevor wir den Palast verlassen konnten, blieb Jayde stehen, sodass wir uns fragend zu ihr umdrehten.
"Ich werde ihm helfen!"
Coles Gesicht wurde starr vor Schreck und er rief laut: "Nein! Ich werde dich nicht sterben lassen!"
Ich konnte sehen wie sehr Cole mit sich kämpfte, seine Mutter nicht einfach gegen ihren Willen zu packen und hier rauszuschleifen.
"Ich werde nicht sterben. Vertrau mir einfach", versprach sie ihrem Sohn und lächelte.
"Ich habe noch mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen!"
Damit meinte sie wohl Eldon.
Ihr Blick wanderte zu mir und ich wusste, dass sie es ernst meinte und lebend wieder herauskommen würde. Ich wusste zwar nicht wie sie dies anstellen sollte, doch ich vertraute ihr.
Sanft ergriff ich Coles Schulter und zog ihn von ihr weg.
Jayde nickte mir dankbar zu und stellte sich zu Frey, bevor beide von den umhertanzenden Blitzen und Magieschwallen ganz und gar verschluckt wurden.
Cole und ich tauschten einen Blick aus und rannten Hand in Hand aus dem Palast.
Ich hörte wie im ganzen Gebäude die Leitungen platzten und Ströme aus Wasser ihr Unwesen trieben.
Gerade als wir die Treppe zum Eingang ein paar Meter hinter uns gelassen hatten, tat es einen ohrenbetäubenden Knall und der komplette Palast explodierte. Hinter uns sah ich einen Hagel aus Splittern, Gesteinsbrocken und lauter Einzelteilen auf uns zu kommen, während Cole und ich rannten was das Zeug hielt.

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