Prolog

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Das Läuten der Türklingel riss mich aus dem Schlaf und ich zuckte hoch, sodass ich mir den Kopf an der Dachschräge über mir anschlug. Schmerzerfüllt versuchte ich die Tränen zurückzuhalten. Mum sagte immer, mit sieben Jahren war man ein großes Mädchen und große Mädchen weinten nicht. Ich schlug die Decke zurück und schlüpfte in meine Hausschuhe. Leise tapste ich aus meinem Zimmer und blieb stehen, als ich zwei aufgebrachte Stimmen vernahm. Schnell setzte ich mich auf die oberste Stufe der Treppe, welche neben der Haustür angebracht war und versteckte mich hinter dem Geländer. Da es im ersten Stockwerk dunkel war, hatte ich große Hoffnung, dass ich nicht gesehen wurde. Ich lugte zwischen den Holzbrettern hindurch und sah, dass die Haustür sperrangelweit offenstand. Das war unnormal, denn es war inzwischen weit nach Mitternacht. Ich erkannte meine Mutter, die mit verschränkten Armen und wütendem Blick dastand und ihr Gesicht einer fremden Gestalt zugewandt hatte. Bei näherem Hinsehen sah ich, dass es sich dabei um eine Frau, die etwas älter als meine Mom sein musste, handelte. Verblüfft rückte ich näher an das Geländer. Die Frau war wunderschön. Sie sah genauso aus wie ich mir die Königin der Feen aus der Geschichte, die Mum mir immer vor dem Einschlafen vorlas, vorgestellt hatte. Sie hatte hellbraunes, lockiges Haar, das ihr elegant auf die Schultern fiel. Sie trug ein enganliegendes, dunkelblaues Kleid, welches ihr bis kurz über die Knie ging und einen langen, schwarzen Mantel, mit dem sie noch elfenhafter wirkte. Ich war fasziniert vom Anblick dieser fremden Frau, welche soeben das Wort ergriff: "Du musst zurück an die Academy kommen, Leah!"
Leah war der Vorname meiner Mum, sie mussten sich also gut kennen, ansonsten sprachen die Menschen sie immer mit Ms Chase an.
"Ich muss gar nichts!", antwortete meine Mutter und kniff bockig die Augen zusammen.
"Was willst du machen wenn sie älter wird, wie soll sie unter den anderen Menschen klarkommen, wenn es anfängt? Willst du wirklich die Art von Mutter sein, die ihrer Tochter so etwas antut?"
Ich konnte mir zusammenreimen, dass sie über mich sprachen, weshalb ich plötzlich ganz aufgeregt war. Vielleicht war das wirklich die Königin aus den Geschichten und sie war gekommen um mir zu sagen, dass ich auch eine Fee war.
"Es wird nicht passieren!" Warum war Mum nur so sauer?
"Was macht dich da so sicher?"
"Ich weiß es einfach."
"Ziemlich dünn wenn du mich fragst, in ihrer Blutlinie bist du die Erste, die keiner von uns ist."
"Keiner von uns", wiederholte Mum sah sogar etwas traurig aus. Ich wollte schon runtergehen und sie trösten, als die Frau sagte: "Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe."
"Tue ich das?"
"Du solltest deine Entscheidung noch einmal überdenken, Leah!", sie wandte sich wieder dem ursprünglichen Thema zu.
"Hör auf damit, ich will nichts mehr hören!", schrie Mum nun schon fast und es entstand eine Totenstille.
"Wo ist sie?"
"Du wirst niemals auch nur einen Schritt in ihre Richtung setzen!"
Die Frau zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Mum sie so anzischte.
"Ist das dein letztes Wort?"
"Und wie das mein letztes Wort ist! Jetzt verlasse bitte auf der Stelle mein Haus!"
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ihr schwarzer Umhang wehte anmutig hinter ihr her, während sie in die Nacht hinauseilte.
Mum schloss leise die Tür und ließ sich mit dem Rücken dagegenfallen. Sie lehnte ihren Kopf gegen das Holz, schloss die Augen und fuhr sich verzweifelt durch die blonden, langen Haare.
Ich stand auf und rannte die Treppe hinunter, sodass meine Mutter erschrocken zusammenzuckte.
"Wer war das Mum?", fragte ich neugierig, als ich vor ihr zum Stehen kam.
"Niemand, über den du dir Gedanken machen solltest."
"War das die Königin der Feen?"
Sie sah mich zuerst völlig verwirrt an, bis sie schließlich lachen musste und amüsiert meinte: "Nein, mein Schatz. Du solltest wieder ins Bett gehen, es ist schon spät."

* zehn Jahre später *

"Mum ich gehe mit Sarah ins Kino, ok?", rief ich während ich die Treppe hinunterlief und mir meinen grauen Rucksack schnappte.
"Klar, lass es nicht zu spät werden", mahnte sie mich mit einem Augenzwinkern, nachdem sie aus der Küche gekommen war.
Ich wusste, dass ich unheimlich Glück mit meiner Mutter hatte, denn die Eltern meiner Klassenkameraden waren nicht immer so entspannt und erlaubten ihren Kindern vieles nicht.
"Keine Sorge."
Sie gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange und ich machte mich auf den Weg zu meiner besten Freundin.
Sarah und ich kannten uns schon, seit wir in der ersten Klasse gezwungen waren nebeneinander zu sitzen.
Sie war auch diejenige, die mich nun zwang einen Horrorfilm anzusehen und ich war froh, diesen nicht alleine schauen zu müssen, denn ich hasste solche Filme. Ich nahm das immer zu ernst und musste mich danach jedes Mal daran erinnern, dass sie nicht der Realität entsprachen. Ich war schon immer diese Art von Kind gewesen, die von klein auf Albträume von allen möglichen Monstern hatte und deshalb oft versucht hatte gar nicht erst einzuschlafen, sondern die Nacht über wach zu liegen. Allerdings hatte dies nicht so funktioniert, wie ich gehofft hatte, sodass ich am Ende doch eingeschlafen war.
"Du Viola, macht es dir etwas aus alleine heinzulaufen? Ich würde noch einen Abstecher zu Adam machen", fragte mich Sarah nach dem Film und ich stöhnte innerlich auf. Ich hasste es, wenn sie ihren Freund über ihre beste Freundin stellte, denn sie wusste ganz genau wie ungern ich alleine herumlief.
Jedoch gab ich gutmütig nach und ging auf den Eingang zu.
"Oh nein", maulte ich, nachdem ich mit einem Blick durchs Fenster feststellen musste, dass es draußen in Strömen regnete. Ich hatte keinen Schirm dabei, weshalb ich beschloss, meine Mutter anzurufen, welche sich überraschenderweise sogar dazu bereiterklärte mich abzuholen.
Ich wartete, bis ihr Wagen auf dem Parkplatz hielt und sie mit einem Regenschirm auf mich zueilte.
Ich stieß die Tür auf und rannte in ihre Richtung und kam natürlich völlig durchnässt bei ihr an.
Plötzlich blieb sie wie erstarrt stehen und riss vor Schreck die Augen auf. "Viola, dreh dich nicht um, geh zum Auto und verriegel die Türen!"
"Was?", fragte ich irritiert.
"Tu was ich dir sage und steig auf keinen Fall wieder aus, egal was passiert!", wies sie mich mit panischer Stimme an. Ich hatte keine Ahnung was los war, weshalb ich auch keine Anstalten machte ihrem Befehl Folge zu leisten.
"Mum du machst mir Angst!"
"Geh!", brüllte sie mich aus vollem Hals an, sodass ich etwas zusammenzuckte und mit dem Schirm, welchen sie mir in die Hand drückte, aufs Auto zuging. Ich konnte gerade noch sehen, wie sie auf eine kleine Baumgruppe hinter mir zurannte, bis ich sie schließlich aus den Augen verlor. Ich schloss mich wie geheißen ins Auto ein und zitterte unaufhörlich. Ich konnte nicht sagen, ob das von der Kälte oder der Angst, nicht zu wissen was los war, kam.
Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sie wieder auftauchte und sich klitschnass auf den Fahrersitz fallen ließ.
"Mum ist das Blut?", fragte ich sie nach einem Blick auf ihre Klamotten entsetzt.
"Nicht meines."
"Was ist hier los?"
"Wir müssen weg, sofort!"

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