Aller Anfang ist...- ach, lassen wir den Mist

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"Tori, Engelchen? Wir wollen in einer halben Stunde los. Ich hoffe, du bist schon fertig! Ich habe keine Lust, schon wieder wegen dir zu spät zu kommen!", rief meine Mom von unten.
"Jaja, ich habe alles schon längst fertig gepackt", brüllte ich ohrenbetäubend zurück, während ich in meinem übergroßen rosa Koffer saß, umgeben von Wäschebergen. Ich musste zugeben, dass der Klotz nicht nur groß und rosa war -nein, zu allem Überfluss glitzerte er wie 'ne mit Einhornkotze besprühte Diskokugel auf Koks. Kurz gesagt: Ich hasste ihn. Mom hat ihn mir zu meiner ersten Klassenfahrt gekauft, weil sie damals verzweifelt versucht hat, aus mir ein kleines Prinzesschen zu machen -ihr Erfolg damit war in etwa so groß wie meine Begeisterung für diesen verfluchten Koffer. Also gleich null.
Aber sie weigerte sich strikt, mir einen neuen zu kaufen und weil ich zu geizig war, mir selber einen zu besorgen, musste ich halt mit dem Glitzerklotz auskommen. Er war von Victorias Secret -Ironie lässt grüßen!- und demnach standen meine Initialen drauf "VS", Victoria Stevens. Fand meine Mutter mörderwitzig. Meine Mitschüler auch. Nur an mir war der Witz vorbeigehüpft wie einer dieser behinderten Flummis, die man gerade zu Boden warf, aber plötzlich 30 Meter weiter rechts landeten.
Und dass ich meine Mutter so schamlos anlog war weder für mich noch für sie etwas Neues. Aber solange sie nicht hoch kam und nachsah, würde sie meinen kleinen Schwindel nicht bemerken.
Aber natürlich hatte ich die Rechnung nicht mit meinem Dad gemacht. Er stand grinsend im Türrahmen und besah sich mein Chaos, welches ich liebevoll mein Zimmer nannte.
"Woher habe ich nur gewusst, dass du wieder einmal nicht die Wahrheit gesagt hast?", lachte er und strich sich mit einer Hand sein etwas längeres, schokobraunes Haar aus dem Gesicht. Das Aussehen in unserer Familie war eh eine Sache für sich. Nicht, dass ich etwas gegen längere Haare bei Männern hatte -ich war ihm unendlich dankbar, dass er nicht mit dem Justin-Bieber-Trend ging!- aber ich passte absolut nicht zu meinen Eltern. Dad hatte meerblaue Augen und sah aus, wie ein typisches Männermodel mit brasilianischen Wurzeln und Dreitagebart. Mom war mit Indianergenen gesegnet und hatte diese Mokkafarbene Haut und das lange seidig glatte schwarze Haar, wofür ich sie beneidete. Zusammen gaben die beide das wohl schönste Paar der Welt ab. Schöner als Angelina und Brad. Atemberaubender als George mit seiner Amal.
Und ich? Tja. Bei mir ist so einiges schief gelaufen. Ich war weder so unglaublich groß wie sie -ich brachte mickrige 1,68 zustande- noch sah ich so exotisch-aufregend aus.
Nein, für mich hat der liebe Gott andere Pläne gehabt und hat mir alles gegeben, was meine Eltern nicht hatte. Dunkelblondes, leicht gelocktes Haar, blau-grüne Augen mit einem braunen Fleck im rechten -immerhin!- und ein Stupsnäschen. Dad behauptete stets, ich würde seiner Uroma ähneln -als sie in meinem Alter war natürlich. Anscheinend habe ich nur die ganzen rezessiven Gene abbekommen, die scheinbar hochgradig allergisch auf gutes Aussehen waren.
Ich würde mich zwar jetzt auch nicht als hässlich oder so bezeichnen -meine Mom versicherte mir immer, wie hübsch ich doch sei, aber sie war meine Mom, sie musste das sagen- aber ich war nichts besonderes. Totaler Durchschnitt. Das einzig Außergewöhnliche an mir war mein brauner Fleck  und ein Muttermal unterm linken Fuß.
Keine langen Modelbeine wie Mom, keine perfekt gebräunte Haut wie Dad. Stattdessen ein Busen mit B-Körbchen, seit zwei Jahren mit einer lästigen Tendenz zu C, was mich im übrigen echt fertig machte. Mein Körper konnte sich irgendwie nicht entscheiden. Auf den ersten Blick sah ich total niedlich aus, wie ein kleiner Engel -daher auch mein Kosename- aber wenn ich sterbe und in die Hölle komme, wird der Teufel von seinem Thron steigen und mich mit den Worten "Hab dir deinen Platz warm gehalten, Meister" empfangen.
Doch nun musste ich erstmal meinen Vater beleidigt ansehen.  "Was heißt hier wieder einmal? So oft lüge ich doch nicht", log ich und sah ihn herausfordernd an. Ich stand auf und kippte gleich vorn über und landete äußerst unsanft auf den Fliesen. "Aua", fluchte ich und hörte Dad laut lachen. Er musste sich am Türrahmen festklammern, um nicht selber vorn über zu kippen. "Ha ha ha, super witzig. Aber steh du mal auf, wenn deine Beine eingeschlafen sind", murrte ich und krabbelte aus dem Koffer.
"Los, Engelchen. Pack endlich, bevor dir deine Mutter den Kopf abreißt. Es gibt noch viel zu tun", keuchte er vor lachen. Super. Jetzt hatte er wieder wochenlang was zu erzählen! Und immer wenn ich hörte, "es gibt noch viel zu tun" packte meine Motivation sich seinen Teddy und ging daumenlutschend ins Bett und verkroch sich dort, bis es zu spät war, um noch etwas anzufangen.
Aber er hatte Recht. Wenn Mom mitbekam, dass ich in Wahrheit noch nichts gepackt hatte, würde sie die Hölle hier auf Erden bringen -und ich wollte meine Regentschaft noch nicht so früh antreten.
Also rappelte ich mich seufzend auf und Dad verschwand nach unten, um das Auto fertig zu machen. Ich schmiss in der Zeit wahllos einige Klamotten in den rosa Mädchenalptraum und hätte beinahe das wichtigste vergessen.
Ich tänzelte zu meinem Kleiderschrank und holte mein Brautjungfernkleid heraus. Es war ein fliederfarbenes, trägerloses  Tüllkleid, welches man hinten zuschnüren musste und vorne saß ein kleines Blümchen. Ich hätte mir ein weniger Prinzessinnen-mäßiges ausgesucht mit weniger Tüll und so, aber eigentlich war es wunderschön und Emily hat es extra hergeschickt.
Sie war nämlich der Grund, weshalb wir in Moms Heimat La Push fuhren. Sie und mein Cousin Sam hatten vor, dieses Wochenende zu heiraten.
Nachdem Onkel Joshua -Sams Vater und somit Moms Bruder-  starb und fest stand, dass Mom nicht dieses Werwolfsgen geerbt hatte und sich nicht regelmäßig in einen übergroßen Flohfänger verwandelte, zog sie nach New York, wo sie sich durch ihre Frauenzeitschrift "The NY Style" nicht nur einen Namen sondern auch ein kleines Vermögen gemacht hat (Auch wenn ich es mir irgendwie witzig vorstellte, wie ein Wolf durch New York lief und die Gegend unsicher machte!). Wir konnten noch lange nicht mit den Upper East Siders mithalten, gehörten aber laut Mom zu der gehobenen Mittelschicht. Aber Dad bestand darauf, nicht mitten im Stadtzentrum zu wohnen, sondern ein wenig Abseits, um sich ein wenig Ruhe und Bodenständigkeit zu bewahren.
Zwei Jahre nach ihrer leicht überstürzten Flucht aus Arizona traf sie den jungen Anwalt Andrew und weitere zwei Jahre später wurde aus Tessa Uley eine Stevens. Weitere zwei Jahre vergingen, als mein Bruder Mason geboren wurde. Er hatte bei der Sache mit dem Werwolfgenen den kürzeren gezogen.
Er hat es vor ein paar Jahren viel zu ernst genommen, als ich sagte: "Ich bin schreiend und blutig zur Welt gekommen und ich habe kein Problem sie auch so zu verlassen, also gib mir die scheiß Fernbedingung, Mason", denn wenige Sekunden später wäre ich beinahe zu Werwolffutter geworden, hätte Mom die Anzeichen nicht rechtzeitig erkannt und mich von dem wandelndem Flohtaxi weggezogen. Sie fand, dass er nach La Push ziehen sollte, damit er Bezug zu einem Rudel fand und besser damit klar kommen konnte. Insgeheim vermuteten wir, dass sie sich nur davor fürchtete, dass ich es eines Tages übertreibe und ihn zur Weißglut trieb. Und zu meinem Bedauern war diese Annahme mehr als berechtigt.
Mason lebte nun seit etwa drei Jahren dort, unter strenger Aufsicht des Obergurus -Pardon, Alphatiers- Sam und dieser ließ sich nicht davon beirren, dass die beiden Cousins waren, sondern nahm ihn genauso hart ran, wie die anderen. Wenn nicht sogar härter.
Wir telefonierten beinahe täglich, doch er fehlte mir trotzdem. Unser Verhältnis war schon immer äußergewöhnlich gut für Geschwister gewesen und bis er weggezogen war, waren wir so was wie beste Freunde. Die vier Jahre Altersunterschied spielten dabei für uns nie eine Rolle. Natürlich stritten wir auch öfter, was zum einen an Masons werwolfsbedingtem überhitzem Gemüht und zum anderen meiner impusliven Art liegen könnte. Beides zusammen war eine hochexplosive Mischung.
Unsere Eltern hatten uns aber versprochen, dass wir alle nach La Push ziehen würden, sobald sie alles hier in New York geklärt hätten und ich die Schule beendet hatte.
Ich selbst war nur wenige Mal in La Push gewesen. Einmal zu Sams 18. Geburtstag, dann natürlich zu Masons Geburtstagen und zur Beerdigung von Harry Clearwater vor zwei Jahren. Dort hatten wir Emily kennengelernt und meine Mom war auf Anhieb begeistert von ihr. Sie verstanden sich gut und auch ich hatte nichts gegen sie einzuwenden. Und nun heirateten sie. Ich hatte gehofft, sie würden sich noch ein wenig Zeit lassen, denn nun waren alle Augen auf mich gerichtet.
Ich war nach Sam und Mason die nächst Älteste mit meinen 17 Jahren in den Reihen der Quileute, von einer Beziehung jedoch weit entfernt. Jegliche Verkupplungsversuche von Mom scheiterten kläglich und endeten oft mit einem Jungen der entweder heulend vor mir wegrannte oder einen Psychiater nötig hatte.
Einmal hat sie einen aufgetrieben, der sich als Grabscher herausgestellt hatte. Und diese Sorte Jungs konnte ich ja auf den Tod nicht ab. Unser "Date" war spätestens dann gelaufen, als er versucht hatte, seine Hand unter mein Shirt zu kriegen und ich sie ihm irgendwie brach. Bis heute wusste ich nicht, wie ich das gemacht hatte, aber ich habe ihm geschworen, dass es beim nächsten mal nicht nur bei der Hand bleiben würde. Aber mal ehrlich, wer mochte schon Grabscher?!
Irgendwann fiel meiner Mom dann auf, dass es an mir liegen musste -worauf ich natürlich nie gekommen wäre. Aber die männlichen Wesen in meinem Alter waren mir entweder zu kindisch oder machten einen auf dicke Hose - da wäre mir wahrscheinlich jeder Rentner lieber. Der würde wenigstens die Klappe halten. Die älteren Jungs fühlten sich zu cool und wollten nichts von kleinen Mädchen wie mir wissen und die Jüngeren ... selbst ich hatte meinen Stolz.
Und das Ende der Geschicht, Tori verliebt sich nicht!
Ich ging zurück und blickte in den halb leeren Koffer und packte weiter. Es herrschte das reinste Chaos.
Das Brautjungfernkleid war wahrscheinlich das einzige Kleidungsstück, das nicht lieblos und zerknittert im Koffer lag. Glaubte ich jedenfalls. Mom würde vermutlich die Krise kriegen, wenn sie diese Ordnung sah.
Denn um den Koffer überhaupt zu zubekommen, musste ich auf ihm rumhüpfen. Auch das hat mein Vater zu Gesicht bekommen, als er "zufällig" an meinem Zimmer vorbei gekommen ist und lachte sich seit fünf Minuten einen Ast ab, weil ich anscheinend nicht sonderlich elegant aussah, sondern eher so grazil wie eine Gazelle. Eine Babygazelle, kurz nach der Geburt, bei einem Erdbeben auf Glatteis. Aber immerhin hatte ich meinen Koffer zu!

Der alltägliche Wahnsinn- jetzt neu: Auch mit WerwölfenWhere stories live. Discover now