Mein Zimmer sieht aus, als hätte mein Kleiderschrank genießt

2K 82 9
                                    


"Wirst du mich jetzt die ganze Zeit nur anschweigen?", fragte Mason, sichtlich nervös. Nachdem er fast drei Stunden zu spät ankam, hatte meine Wut ihren Höhepunkt erreicht und ich hatte beschlossen, einfach gar nicht mehr mit ihm zu reden. Ich wusste, dass wenn ich den Mund aufmachen würde, dass eine Explosion sondergleichen nicht ausgeschlossen war. "Das ist fast noch schlimmer, als wenn du mir die Ohren kaputt brüllen würdest. Im Ernst, das ist gruselig"

Langsam drehte ich meinen Kopf zum ihm und funkelte ihn so finster an, dass vermutlich selbst Sam die Flucht ergreifen würde. Doch vor lauter Wut brachte ich keinen Ton hervor. Mason blickte von da an nur noch starr auf die Straße. Zufrieden bemerkte ich, wie er das Lenkrad so fest mit seinen Händen umklammerte, dass es beinahe abbrach. Er hatte panische Angst, dass ich einen Überraschungsangriff plante. Als erwartete er, dass ich jeden Moment platzen könnte.

Doch das tat ich nicht. Noch nicht zumindest. Ich wusste nicht, wie lange ich mich noch beherrschen und das Brodeln in mir unterdrücken konnte.

"Komm schon, ich hab doch gesagt, dass es mir leid tut. Ich kann doch nichts für den Stau. Hör mal, ich mach das wieder gut, okay?" Zur Antwort hielt ich ihm meinen Mittelfinger direkt vor die Nase. Da musste er sich aber was einfallen lassen, wenn er diese Schandtat wieder ausgleichen wollte. So leicht würde ich mich nicht abspeisen lassen. Und das wusste er. Hoffentlich. "Schwesterherz?" Der zweite Mittelfinger folgte. "Willst du nicht einmal über meinen Fahrstil meckern? Du bist doch sonst so eine anstrengende Beifahrerin" Also so würde ich mich jetzt nicht bezeichnen. Ich bringe nur gerne Bremswünsche, Überholvorschläge, Schaltempfehlungen und Einparkhilfen ein...

Doch ich behielt mein eisernes Schweigen bei und schaute aus dem Fenster.

So ging es die nächsten vier Stunden weiter. Zwischendurch versuchte er, das Radio lauter zu stellen und unser Spiel fortzuführen, doch ich stieg garantiert nicht ein. Stattdessen schaltete ich es aus. Nur das Brummen des Motors, Reifen auf Asphalt und der donnernde Regen auf der Windschutzscheibe waren zu hören. Ich hasste Stille normalerweise. Es musste immer Musik, ein Film oder eine Serie laufen bei allem, was ich tat. Aber jetzt diente mir die Stille als Provokation. Als Angstmacher. Und solange es funktionierte, würde ich sie ertragen. Auch wenn es mich selbst beinahe wahnsinnig machte.

Mason hatte ein paar Müsliriegel und ein labriges, belegtes Brötchen für mich bereit gelegt. Vermutlich auf dem Weg zu mir mal eben bei einer Tankstelle besorgt. Anstatt was von Mecces zu holen. Dieser Junge war durch und durch unfähig. Dafür hatte ich einfach kein Verständnis.

Ich kaute nun seit fünf Minuten meinen ersten Bissen vom zu Gummi gewordenen Brötchen und fragte mich, ob ich jemals etwas gegessen hatte, das beschissener schmeckte. Traurigerweise war die Antwort ja. Der Spinateintopf mit fleischähnlichen Kugeln aus der Cafeteria. Das war der Moment, in dem ich begonnen habe, es mir zweimal zu überlegen, ob ich bei einer Wette mitmachte oder nicht. So gesehen war mir dies eine Lehre gewesen. Vier Tage später aber habe ich darum gewettet, dass ich es schaffte, länger als eine Stunde auf dem Jungenklo auszuhalten. Ganz blöde Idee. Bis heute rieb mir Mason seinen weniger genialen Einfall unter die Nase- wenn er sich denn mal daran erinnerte.

Beinahe musste ich lachen, als wir an einem Autobahnplakat vorbei fuhren, auf dem stand "Lass dich nicht ablenken". War vom Prinzip her das selbe wie "Wer das liest, ist doof" und somit genau mein Humor. Da könnte genauso gut stehen "Schau auf die Straße" oder "Während der Fahrt liest man nicht".

Als wir unsere Einfahrt entlang fuhren, wurde mir schlagartig bewusst, dass mein geliebtes, ruhiges Leben nun endgültig vorbei war. Nie wieder einfach nur gemütlich nach der Schule im Wohnzimmer sitzen und beim zeichnen eine Serie nach der anderen zu schauen. Nie wieder Reste des Nachtisches im Kühlschrank finden, um sie heimlich in der Nacht zu essen- und wegen dessen Verbleibes am nächsten Morgen zu lügen. Ich könnte heulen. Und war auch kurz davor.

Der alltägliche Wahnsinn- jetzt neu: Auch mit WerwölfenWhere stories live. Discover now