Kapitel 6

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Lucinda

Normalerweise machte ich sowas nicht. Wenn Luca irgendwo schnupperte, wartete ich immer ganz brav, bis er fertig war. Aber heute war ich hundemüde. Dementsprechend genervt zog ich den Golden Retriever weiter. »Komm.«

»Da ist aber jemand schlecht gelaunt«, grinste Logan neben mir. »Das ist Luca ja gar nicht gewohnt.«

Ich verdrehte die Augen. Ja, genauso schaute mich der Hund auch mit treuen Hundeblick an. Richtig vorwurfsvoll. »Ich bin müde.«

»Jap, deshalb habe ich auch vorgeschlagen, dass wir nach Hause gehen, als du auf meinem Schoß eingeschlafen bist«, erklärte er. »Naja und weil es langsam schon unangenehm wurde, wie Jean mit Álvaro geflirtet hat. Ich meine, ich mag Jean genauso, wie er ist, aber das war schon fast ein bisschen too much.«

Ich musste auch lachen. »Ja, das stimmt. Sind die beiden jetzt eigentlich zusammen nach Hause?«

Logan nickte, er trug meine Tasche, weil ich Luca an der Leine hatte. »Ich denke schon, wenn Jean was will, bekommt er es auch, ich sage nur: Käse.«

»Käse, genau. Manchmal frage ich mich wirklich, ob er ohne Käse überhaupt überleben könnte. Ich meine Käse ist toll, besonders auf Pizza, aber soo viel wie er täglich isst, mir würde es irgendwann zu Hals raushängen.«

»Ja, uns schon, aber nicht bei Jean.«

Ich seufzte und hielt an der nächsten Ecke an. Es war schon dunkel, nur die Straßenlaternen spendeten etwas Licht. Manchmal wünschte ich mir, sie würden aus sein; man könnte den Himmel in seiner vollen Schönheit sehen, Milliarden von Sternen und Planeten, die komplette Milchstraße. Aber durch die Lichtverschmutzung in den Städten war das nahezu unmöglich. Irgendwann würde ich mal ganz tief in die Pampa fahren und mir dann die ganze Nacht die Sterne ansehen.

Vorzugsweise natürlich mit meinem Freund.

Den ich nicht hatte.

Obwohl mein Traummann genau vor meiner Nase war. Leider nur stockschwul. Wie konnte ich auch nur auf die blöde Idee kommen, Álvaro homosexuell zu machen? Was zum Teufel hatte mich in dem Moment geritten?

Vielleicht ja die Tatsache, dass ich dachte, ich könnte ihn niemals haben, deshalb sollte auch kein anderes Mädchen ihn bekommen. Und Lorenzo hatte ich ihm am Ende auch noch weggenommen.

Lorenzo.

Mir wurde wieder schlecht vor Schuldgefühlen. Wieso hatte ich Lorenzo nur sterben lassen? Wie hatte ich ihm das antun können?

Ich meine, klar, es war ein verdammt unerwartetes Ende gewesen, und ich hatte die Idee gemocht, doch als ich ihm heute das erste Mal gegenüber gestanden hatte, hätte ich mir eigenhändig den Hals umdrehen können. Wie jede Hauptfigur liebte ich auch Lorenzo, selbst wenn er schwul wie Jean war. Ich selbst hatte ihn geschaffen und es hatte mir das Herz gebrochen, als ich ihn hatte sterben lassen. Ja, ich hatte sogar beim Schreiben geweint.

Ich war eine Mörderin.

Wahrscheinlich würde Álvaro mich sogar hassen, wenn er hetero wäre. An seiner Stelle würde ich mich ja auch anwidern. Irgendwie war es  gerechte Strafe für mich. Zwar war dem Vampir nicht klar, wer dafür verantwortlich war, dass er seine große Liebe verloren hatte, aber irgendwann würde es rauskommen.

Und ehrlich gesagt, ich wollte nicht wissen, wie Álvaro reagieren würde, wenn er herausfand, dass ich seinen Freund umgebracht hatte, obwohl ich ihn hätte retten können. Ein einfacher Satz wäre ausreichend gewesen.

Logan blieb neben mir stehen. »Ist deine Mom heute da?« Seine leuchtend himmelblauen, schmalen Augen schimmerten im gelblichen Licht der Straßenlaternen leicht grünlich. Schon wieder war ihn eine seiner dunklen Strähnen auf die Stirn gefallen und wieder juckte es mir in den Fingern, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen.

Seelenschreiberin (Doppelband)Where stories live. Discover now