Kapitel 18

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Lucinda

Der nächste Schlag traf mich völlig unvorbereitet in den Bauch. Dumpf breiteten sich die Schmerzen in meinem Oberkörper aus und ich sank leise stöhnend auf den Boden. Was Aquila jedoch nicht davon abhielt, noch einmal zuzutreten. Das zweite Mal tat fast noch mehr weh, als das erste.

Tränen schossen mir in die Augen, ohne dass ich es wollte. Normalerweise hätten seine Schläge schon wehgetan, aber durch den glitzernden Schnee draußen war er um einiges stärker als sonst.

»Du bist kein Mann!« Aggressiv packte der König mich am Oberarm, als er meine Tränen sah, zerrte er mich hoch und schleifte mich wenige Meter von der Wand in Richtung Fenster.

Allerdings nur, um mich kurz darauf mit voller Kraft brutal gegen das Fenster zu schubsen. Mein Kopf knallte hart gegen die Kante des Fensterbrettes und ich fiel zu Boden. Einen Moment war alles schwarz, dann setzten die Schmerzen in meinem Kopf ein und etwas Warmes rann über mein Gesicht. Ich tippe stark auf Blut. Allerdings versuchte ich erst gar nicht, mich aufzurappeln. Inzwischen hatte ich gelernt, dass es schneller vorbei war, wenn ich mich nicht wehrte.

»Ich schäme mich dafür, dich als Sohn zu haben«, zischte er mir ins Ohr.

Damit schlug er mir noch einmal ins Gesicht. Mein Kopf konnte gar nicht zurückgeschleudert werden, weil er schon an der Wand lehnte. Es tat nicht weniger weh.

Eine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel und tropfte auf meinen Hefter. Das Wort Sohn aus dem letzten Absatz verschwamm. Hastig drückte ich meinen Ärmel auf das salzige Nass, in der Hoffnung, dass nichts verschmiert wurde, vor allem nicht meine Korrekturen in dem Text.

Schon als ich damals die Zeilen geschrieben hatte, hatte Álvaro mir leid getan. Allerdings wollte ich aus seiner Figur einen Mann machen, der litt; leidende Charaktere hatte für mich immer irgendwie den besonderen Touch - vor allem, wenn sie trotzdem fair waren und niemanden verurteilten. Wenn gerade der Schmerz sie zu besonderen Wesen machte.

Soweit ich das beurteilen konnte, hatte ich das auch geschafft. Der Vampir war mir ausgezeichnet gelungen, sein Charakter war so unglaublich rein und strahlend. Er war eine wundervolle Person. Nie hatte er anderen unnötig oder brutal Leid zugefügt, anders als Alejandro achtete er jeden Einzelnen und hatte keine Vorurteile.

Und wahrscheinlich gerade weil Álvaro beispielsweise schwul war, hegte er besondere Empathie gegenüber anderen Wesen. Weil er wusste, wie es ist anders zu sein.

Wie es war, Leid zu erfahren.

Er war so ein besonderer Mensch. Beziehungsweise Vampir.

Allerdings wünschte ich, dass Álvaro dafür nicht so viel hätte durchmachen müssen.

Wütend sprang ich von meinem Bett auf. Mit wenigen Schritten war ich bei meinem Schreibtisch und riss ruckartig die Schublade unter der Tischplatte auf. Geräuschvoll klatschte ich den Hefter hinein und knallte die Schublade zu. Dann sank ich auf den Boden, und begann zu weinen.

Wie hatte ich ihm das alles antun können?

Mit einem Mal wurde mir bewusst, welche Macht Wörter hatten. Es hätte nicht viel gebraucht, hier und da ein anderes Verb, und Álvaro wäre nie so geworden, wie er jetzt ist. Ein anderer Satz und er hätte ein besseres Leben mit weniger Leid gehabt.

Gott, ich war so ein Monster.

Ich atmete tief durch und fuhr mit dem dem Ärmel meines Kuschelpullis über's Gesicht. Okay, ersteinmal beruhigen, dann sehen wir weiter.

Seelenschreiberin (Doppelband)Where stories live. Discover now