Kapitel 33

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Álvaro

Luft.

Ich bekam keine Luft.

Ich konnte einfach nicht atmen. Viel zu sehr schnürte mir das Heulen und der Schmerz die Kehle zu. Der Schmerz pulsierte wie tödlich brennende Säure in meinen Adern. Es tat so sehr weh. Die Wunden, die ich mir vorhin mit meinen Fängen in die Unterarme gerissen hatte, waren gar nichts dagegen. Nicht einmal ansatzweise. Sie waren sogar zu nichtig, um die seelische Qual in mir zumindest teilweise abzulösen.

Wieder schlug ich mit beiden Fäusten auf den Stein vor mir. Dass meine Haut dabei aufplatzte, kümmerte mich herzlich wenig. Ich würde alles tun, um dieses Brennen in mir zu dämpfen. Doch leider war ich mir auch darüber im Klaren, dass es dafür kein Heilmittel gab. Auch nicht die Zeit, wie alle immer sagten. Man lernte nur Tag für Tag besser, mit dem Leid umzugehen.

Schluchzend rang ich nach Luft. Allerdings machte der plötzliche Sauerstoff die Situation auch nicht gerade besser. Der Boden vor mir begann sich zu drehen. Nur schwer konnte ich mich aufrecht halten.

Würde ich wirklich so sterben? Der Tod sollte anders sein. Man sollte bei denen sein, die Einem wichtig waren. Lorenzos Silhouette verblasste vollends und die blutigen Runen verliefen mit den Regentropfen. Mir wurde wieder klar, dass es nur Schein war. Mein Freund würde nie wieder tanzen, nie wieder lachen und nie wieder vor mir her rennen und mich dabei necken. Nie wieder würden wir uns balgen, was anschließend in wilder Knutscherei und Sex endete. Nie wieder würde ich seinen wunderschönen Körper an meinem spüren. Und das nur, weil dieses Miststück ihn hatte sterben lassen.

Das Hemd klebte mir kalt auf der Haut, meine Wunden heilten nicht mehr. Heulend kauerte ich hier im prasseln den Regen, alleine, zitternd, sterbend.

Denn lange hatte ich definitiv nicht mehr. Mein Körper brauchte heute noch Blut; morgen könnte es schon zu spät sein. Und die einzige Person, deren Blut ich trinken konnte, wollte ich im Moment nicht sehen. Lieber würde ich sterben. Die kleine Blutshure war an Lorenzos Tod Schuld. Und an allem, was mir in meinem Leben widerfahren war.

Nie hatte ich eine Wahl gehabt. Jedes Fünkchen Hoffnung war sinnlos gewesen und jede Situation hatte sich nach der Laune eines kleinen Mädchens gerichtet, das gerne Wörter aneinander reihte. Es war geradezu lachhaft. Ich hatte immer gedacht, dass ich eines der mächtigsten Wesen auf Erden war. Alleine meine Runen waren Grund genug für diese Vermutung. Doch stattdessen war ich nicht mehr als ein Hirngespinst eines Miststückes.

Einer Blutschlampe.

Für die ich obendrein auch noch etwas empfand.

Wieder rammte ich meine Fäuste gegen den Steinboden. Das Wasser spritzte in alle Richtungen. Wieso hörte dieser Schmerz nicht auf?

Von hinten legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich reagierte nicht, sondern kauerte einfach weiter in dem kühlen Nass. Es war mir egal, dass ich fror, heftig prasselte der Regen über mir. Tatsächlich kam mir plötzlich der Gedanke, dass ich auch selbst beenden könnte. Vermutlich ging es da vorn steil nach unten. Und es wäre weniger qualvoll als zu warten, bis der Blutmangel seinen Rest tat. Der Freitod hatte da vermutlich mehr Würde.

Die Klippe verschwamm erneut vor meinen Augen. Ich sollte nicht weinen wie ein Kleinkind. Soetwas gehörte sich nicht für einen Erben. Wieder schlug ich zu.

Eine verschwommene Gestalt hockte sich vor mich und strich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht. Ich musste einige Male blinzeln, bis sich mein Blick klärte.

»Es tut mir leid.« Lucindas große, grasgrüne Augen starrten mich schmerzerfüllt an.

Zuerst war da ein Kribbeln in mir. Eine wohlige Wärme, die das Leid erstaunlich gut dämpfte. Die Tränen versiegten und ich beruhte mich.

Seelenschreiberin (Doppelband)Where stories live. Discover now