Kapitel 4

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Alejandro

Ich fuhr mit meiner Zunge über meinen nadelspitzen Eckzähne und zog erneut an dem stiftartigen Etwas, dessen Namen ich nicht kannte. Der matte Rauch quoll aus meinem halb geöffneten Mund und bildete kleine Wölkchen in der glitzernden Luft. Niemals hätte ich gedacht, das soetwas auf diese Art berauschend sein konnte. Es war ein Gefühl von Freiheit. Befreiung. Von Loslassen und Entspannen. Die Wärme drang in meine Lungen, umspülten wohlig mein Herz und mäßigte dessen Schlag.

Mein dunkler Blick streifte durch den Raum. Wild tanzten die Lichter in den buntesten Farben umher. Farben, die ich nur aus der Natur kannte: violett wie Kirschblüten im Frühling, gelb wie Löwenzahn, an welchem die Feldhasen so gern knabberten, blau wie Vergissmeinnicht oder grün wie die Tiefen des Weihers unweit von der Burg entfernt. Nicht zu vergessen das Orange, welches im Herbst das Blattwerk der Bäume zierte und die prallen Kürbisse auf den Feldern zum Leuchten brachte.

Das Licht, mit welchem ich bis jetzt gelebt hatte, war weitesgehend in einem warmen Gelb bis Orange gehalten, ausgehend von Feuer; Kerzen und Fackeln. Oder Mondlicht. Oder dem der Sonne. Einzig allein das Glimmen von Runen war farbigem Licht gleichgekommen. Doch selbst bei mir war nicht einmal das der Fall.

Ich zog erneut an dem Stiftchen. Wieder durchflutete mich diese berauschende Wärme und zog mich in ihren Bann. Die Musik vibrierte in meiner Brust und trieb meinen Puls wieder an. Ebenfalls hatte ich solche Töne in meinem Leben noch nicht gehört, wenngleich ich mir gerade das wünschte. Denn ich konnte die Musik spüren. Ihre Dominanz. Ihre Macht. Ihre Kraft. Es war ein ganz anderes Gefühl in meiner Brust, als wenn ich meinem Bruder beim Klavierspielen lauschte. Oder meinen Schwestern - ich selbst konnte zwar auch jene Saiten zum Klingen bringen, jedoch bestand diese Tätigkeit bei mir weniger aus dem Fühlen der Töne. Stattdessen las ich die Buchstaben der Musik, die mit Punkten, Strichen und Fähnchen aus die Notenlinien geschrieben waren und arbeitete sie stur ab. Tatsächlich konnte ich dieses Instrument nur spielen, weil Vater es so wollte.

Meine Vorlieben lagen in anderen Dingen.

Beispielweise in jenem Dolch, der zwischen meinen Fingern lag. Kühl schmiegte sich das tiefschwarze Heft in meine rechte Handfläche, während ich mit den Fingern der anderen Hand die Asche von dem Rauchstift schnippte. Messerscharf war die Klinge und schnitt selbst das zäheste Muskelfleisch wie Butter, hier und da hatte ich damit sogar schon den Knochen eines Ebers durchtrennt. Die Jagd lag mir im Blut. Noch nie hatte ich meine Beute verfehlt. Ich war der beste in unserem Reich, kein anderer Krieger vermochte es, mir das Wasser zu reichen. Ebenso hatte es noch keiner vollbracht, mich, Prinz des Reiches, in Schwertkampf zu schlagen. Die Klingen waren mein Element.

Der Rauch strömte ein letztes Mal zwischen meinen Lippen hervor. Anschließend drückte ich den qualmenden Zylinder in dem kleines Glasschälchen aus, wo schon andere dieser Reste weilten. Meine Finger glitten zu dem Glas, welches vor mir stand. Eigentlich hatte ich Wein gewollt, doch der Mann hinter der Bar hatte mir deutlich zu verstehen gegeben, dass dieser feine Tropfen hier nicht vorrätig wäre. Daher hatte ich mich mit dem herben Whisky begnügen müssen, der sich jetzt klar wie Kristall um die kantigen Eiswürfel schmiegte. Ich hob das kleine Glas zu meinen Lippen und nippte daran, die kühle Flüssigkeit rann brennend meine Kehle hinunter.

Genau, wie ich es liebte.

Eine kleine Mädchengruppe neben mir an der Bar unterhielten sich lautstark über einen Kerl, in welchen eines der Mädchen wohl vernarrt war. Ich vermutete, dass es die Kleine war, deren Gesicht sich in einem zarten Rot gefärbt hatte und welche scheu zu Boden blickte. Das Mitleid für den Typen, dem sie verfallen war, keimte in mir auf. Vermutlich war sie eines der Mädchen, die einen unterwürfig anblickten und alles für Einen machen würden. Dafür war ich nicht der Typ. Ich wollte eine Frau, die mir auf Augenhöhe war und ihre Meinung vertrat. Auch wenn sie den nötigen Respekt vor mir haben sollte. Besonders im Bett. Vor allem da, dort war ich definitiv dominant. Denn da war sie meins und ich hatte komplette Befehlsgewalt. Schließlich war ich der Mann.

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt