Kapitel 19

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Logan

Nervöser als ich sollte, stand ich vor Lucindas Spind. Das Mädchen war mit seit heute morgen peinlichst genau aus dem Weg gegangen. Nicht einmal in der Mittagspause hatte ich sie zu Gesicht bekommen. Von den letzten beiden Tagen mal ganz zu schweigen; weder Samstag noch Sonntag hatte ich sie erreichen können. Ein typischer Fall von Nachrichten alle gelesen, aber nicht antworten.

Leider wusste ich noch nicht einmal, ob ich deswegen sauer auf das Mädchen sein sollte. Schließlich hatten meine Lippen die ihren gekostet - nicht andersherum. Zwar hatte Luz den Kuss erwidert, doch sie war es auch gewesen, die anschließend weggelaufen war. Und mir mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass das nicht noch einmal passieren würde.

Ich Trottel hatte doch tatsächlich Hoffnung gehabt.

Verzweifelt versuchte ich die schmerzlichen Gedanken an unseren Kuss zu verdrängen, welche ebenso brennend hervorstiegen wie die Tränen, und packte das Blumentöpfchen fester. Ich würde nicht heulen wie ein Kleinkind, nein, die Blöße würde ich meinen Mitschülern nicht geben.

Oder gar den Vampirbrüdern. In der Tat war mir nicht eingegangen, wie beide heute morgen mit meiner besten Freundin gesprochen hatten. Der jüngere mehr als der ältere. Das Gespräch mit Álvaro hatte Lucinda recht schnell beendet, ansehen konnte sie ihn auch nicht wirklich. Dennoch war sie erbittlicher als letzte Woche.

Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir nichts ausmachte.

»Arschloch«, murmelte ein Mädchen mit komischen Akzent, als es an mir vorbei lief und musterte mich mit wütenden Blick durch ihre Brille. Im ersten Moment schimmerten ihre Augen blaugrau, doch als das Licht der Leuchtstoffröhrenlampe sich in ihnen spiegelte, war es, als blitzte ein Smaragd diebisch auf. Ihr Haar fiel glatt über ihre Schultern und Lichtreflexe tanzten auf den dunkelbraunen Strähnen. Der zierliche Körper steckte in einem weinroten Pulli, auf dessen Vorderseite ein niedlicher Katzenkopf aufgenäht war; - vereinzelt klebten Tierhaare an dem weichen Stoff - und unter dem Tier war mit großen Buchstaben das Wort BÜSI gestickt. Was auch immer das heißen mochte. Auf irgendeine Art kam das Mädchen mir bekannt vor, doch ich brauchte einen Moment, bis mir einfiel, woher.

Der Name Mascha drängte sich dumpf in meine Gedankenwelt wie Nebel, aber ich wusste nicht, wer ihn mir zu der Person genannt hatte. Sie war mit verstörtem Blick an unserem Tisch vorbeigelaufen, letztens irgendwann in der Mittagspause, als Claire sich wie eine läufige Jungfer auf Alejandros Schoß gesuhlt und meiner besten Freundin Anti-Aging-Creme empfohlen hatte. Noch entsetzter allerdings war der Ausdruck in ihrem hübschen Gesicht geworden, als der jüngere Vampir der Schlampe mit seelenruhigen Worten einen Maulkorb an Herz gelegt hatte, da man Zitat: ›solch minderbemittelte Gedanken, die aus fehlender Intelligenz und auf Neid beruhenden Rachsüchten keimten, und man nicht beschämt in die hinterste Ecke seines Denkapparates zwängen konnte, nicht äußern sollte; vor allem, wenn sie nicht ansatzweise der Wahrheit entsprachen‹. Wie bei uns allen alle am Tisch, waren ihre wundersamen aber dennoch schönen Augen riesig wie Untertassen geworden, denn selten gab jemand der Oberzicke so direkt Kontra und stellte sich auf die andere Seite. Besonders, wenn sich besagt Person an einen schmiegte. Ja, Alejandro war schon wunderlich.

»Was ist dein Problem?«, giftete ich, da meine Nerven im Moment sowieso blank lagen und ich weiß Gott andere Sorgen hatte. Da konnte ich eine scheinbar grundlos beleidigte Unterstuflerin nicht wirklich gebrauchen.

Doch sie lief einfach weiter.

Verwirrt senkte ich den Blick auf den kleinen Kaktus in meinen Händen. Er war das Ebenbild dessen, was man sich unter einem Kaktus vorstellte: etwa zehn Zentimeter hoch mit einem süßen Ärmchen. Eine winzige Blüte zierte in einem zarten Pink das Köpfchen des kleinen Stachelwesens. Und zu guter Letzt steckte ein kleines Schild in der braunen Erde.

Seelenschreiberin (Doppelband)Where stories live. Discover now