Kapitel 10

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Lucinda

»Ich wollte mich noch einmal bei euch bedanken, wegen gestern, wo ihr mir geholfen habt.« Shira blickte uns mit ihren zweifarbigen Augen an. »Das war echt mega nett.«

Logan lächelte. »Ist doch keine große Sache. Das war mehr als nur asozial von Claire. Das hast du echt nicht verdient, niemand hat das.«

»Ja, das stimmt«, pflichtete Ash ihm hastig bei. Wir anderen nickten nur - bis auf Álvaro, der wusste nicht einmal, wovon die Rede war, aber keiner hielt es für nötig, ihn aufzuklären.

Ich blickte von meinen Fischstäbchen auf, das Grinsen stand immer noch in meinem Gesicht. Oje, da hatte es aber jemanden erwischt. So richtig. Als er das letzte Mal so schräg drauf gewesen war, hatte er auf mich gestanden.

Irgendwie war es süß. Ash konnte jede Emotion verstecken. Man wusste fast nie, was er gerade fühlte. Dazu kam, dass er Einem bis in die Seele schauen konnte und man für ihn wie ein offenes Buch war. Besonders gut war er darin, Dinge auf zwischenmenschlicher Basis zu erkennen, in einem Schweigen sah er oftmals viel mehr als andere Jungs und sogar mehr als so manches Mädchen.

Aber wehe, er verliebte sich. Da führte Ash sich plötzlich auf wie ein kleiner Junge. Dann war er nicht bei der Sache, wurde sogar schusselig und verhielt sich komplett anders als sonst. Irgendwie tat mein Ex mir in solchen Situationen ziemlich leid, weil er das Verliebtsein noch nicht einmal leugnen konnte.

Ich hatte gestern erst daran gedacht.

Als er merkte, dass ich ihm mit diesem wissenden Grinsen musterte, senkte Ash schnell den Blick auf seinen Teller, seine Wangen färbten sich zart rosa. Doch dann fiel ihm auf, dass sein Teller schon leer war und er immer noch Hunger hatte. Daraufhin begann mein Ex wieder, mein Kartoffelmus zu klauen.

Ich war ja auch nur froh, dass ich es los war und widmete mich wieder meinen Fischstäbchen. Die waren wenigstens halbwegs essbar.

»Bist du nicht neu?«, wandte Shira sich an Álvaro.

»Ja.« Damit steckte der Vampir sich eine weitere Gabel mit Kartoffelbrei und Fischstäbchen in den Mund. Es war erstaunlich, wie er es dabei fertigbrachte, nicht einmal die Miene zu verziehen.

»Dafür, dass du neu bist, scheinst du aber gut mit Claire klarzukommen.«

Er zuckte nur mit den Schultern. »Ich sage ihr einfach klipp und klar, was ich will.« Sorglos steckte der Vampir sich eine weitere Ladung Kartoffelbrei mit Fischstäbchen in den Mund.

»Und was willst du?«, rutschte es mir heraus. Ich biss mir auf die Zunge. Mist.

Doch Álvaro schien die Frage nicht im Geringsten zu stören. »Ich glaube, Claire ist falsch. Sie wirkt, als würde sie viel vorspielen und andere missbrauchen, um ihre Vorstellungen umzusetzen. Aber ich bin nicht sicher, ob sie wirklich so ist. Und bis ich das rausgefunden habe, möchte ich sie nicht in meiner Nähe haben.«

Wow, das war gerade glaube das erste Mal, dass er so viel an einem Stück gesagt hatte.

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie nah ich ihm war, nur wenige Zentimeter waren zwischen unseren Beinen, unsere Ellenbogen berührten sich fast. Ich konnte sogar seine zarten Duft nach kalter verregneter Winternacht und einem Hauch Thymian vernehmen.

Augenblicklich beschleunigte mein Herzschlag und mir wurde warm. Urplötzlich hatte ich das Verlangen, über eine der Adern auf seinem Unterarm zu streichen, die sich sanft unter seiner hellen Haut abzeichnete. Verdammt, es sollte verboten werden, das Hemd so verführerisch bis zu den Ellenbogen hochzukrempeln und dann auch noch solche perfekten Arme zu haben. Woher wusste er eigentlich, wie man ein Hemd so trug? Von mir sicher nicht, ich hatte weder ihn noch Lorenzo die Hemden so tragen lassen. Oder warum hatte er nur solch schönen Hände, relativ groß, die Finger schlank und gepflegt?

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt