Bonuskapitel 1

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Ash

Genüsslich schleckte sie über ihr Himbeereis, während wir die kleine Gasse in Richtung Park entlang schlenderten. Das Eis passte farblich ausgezeichnet zu den großen, pfingstrosenartigen Blumen auf ihrem dünnen Kleid; der sonst weiße Stoff warf weitläufigen Falten, reichte jedoch nur bis knapp zur Mitte ihrer schmalen Oberschenkel. Aufwendig zierten feine Muster aus Spitze das Kleid und betonten Shiras schmale Taille. Das Kleidungsstück kombinierte sie mit schneeweißen, flachen Sneakern.

Hoffentlich kleckerte Shira nicht. Der Fleck würde vermutlich schwer aus dem hellen Stoff herausgehen.

Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn das Mädchen statt ihrem dunkelpinken Himmbereis mein weißes Zirtoneneis gegessen hätte. Denn erstens würde es nicht so sehr auffallen, sollte die Kleine wirklich kleckern, und zweitens würde das Zirtoneneis dann nicht über meine Hand laufen und auf den Boden tropfen, weil ich schlichtweg damit überfordert war, es zu essen, da meine Beschäftigung daraus bestand, Shira anzuglotzen. Hastig löste ich meinen Blick von ihr und bemühte mich, das flüssige Eis so gut es ging wegzuschlecken.

Das war ja mal wieder typisch für mich. Innerlich ärgerte ich mich über mein Verhalten. Kaum keimte in mir Gefühle für ein Mädchen, mutierten meine Gehirnzellen zurück auf das Niveau eines Fünfjährigen. Ich konnte nicht mehr klar denken und wurde unglaublich tollpatschig.

Was leider das komplette Gegenteil von meinem sonstigen Verhalten war.

Schon bei Lucinda war mir das deftig auf die Füße gefallen. Denn gerade wenn man auf ein Mädchen stand, wollte man es beeindrucken. Das, was ich fabriziere, war meilenweit davon entfernt.

Meine beste Freundin war damals das so ziemlich erste Mädchen gewesen, für das ich so empfunden hatte. Natürlich hatte ich anfangs die Angst gehabt, dass es eine einseitige Sache war und ich unsere ganze Clique damit kaputt machte. Glücklicherweise hatte es sich dann anders herausgestellt.

Doch nach einer Weile hatte Lucinda mir dann gesagt, dass sie der Meinung wäre, dass wir nicht passen würden. Ich, ohne Eier in der Hose, hatte ihr natürlich mehr oder weniger zugestimmt, was dann leider zu dem Ende unserer Beziehung geführt hatte.

Sehr zu meinem Leidwesen.

Allerdings ich hatte keinem gezeigt, wie sehr es mich verletzt hatte. Das war einfach nicht mein Stil. Erstaunlicherweise hatte ich es nach der Aktion auch geschafft, meine Gefühle nicht mehr zu zeigen. Wenn möglich, war ich in meinem Auftreten noch kälter geworden, aber hatte gute Miene zu bösem Spiel gemacht.

War ja nicht das erste Mal.

Das Blatt hatte sich letzte Woche jedoch schlagartig gewendet. Eigentlich sollte ich Claire für ihre bescheidenen Aktion danken, denn ohne sie wäre ich vermutlich niemals auf Shira aufmerksam geworden. Die letzte Woche war die erste seit einer gefühlten Ewigkeit gewesen, wo ich Lucinda öfter und öfter ansehen konnte, ohne diesen brennende Schmerz in meinem Herzen zu spüren.

Dafür war da dieses golden prickelnde Gefühl in mir, wenn ich Shira anblickte.

»Dein Eis tropft schon wieder«, riss die Kleine mich auf meinen Gedanken.

Schlagartig passte mein Gesicht sich farblich ihrem Eis an und ich bemühte mich hastig, das flüssige Zitroneneis von meiner Hand zu lecken. »Ups«, entfuhr es mir.

Doch sie lachte nur. »Bist du so abgelenkt?«

»Nein, gar nicht«, log ich halbherzig und war froh, als ich anfangen konnte, die Waffel zu essen. Denn umso weniger konnte das Eis laufen.

»Wenn du meinst«, kicherte Shira, inzwischen war sie ebenfalls bei ihrer Waffel angekommen und knusperte genüsslich den gebackenen Teig. »Was machst du denn eigentlich so in deiner Freizeit?«

Seelenschreiberin (Doppelband)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt