Kapitel 7

95 8 32
                                    

Alejandro

Der Dolch fuhr hart in das Holzbrett vor mir und blieb stecken. Natürlich, als ob ich nicht die Kraft dazu hätte. Jahrelang hatte ich meine Messerwurftechniken perfektioniert und schon den ein oder anderen Feldhasen im Sprung mit einem gezielten Wurf erlegt. Inzwischen war es Routine. Zwar konnte mein Bruder auch ziemlich geschickt mit Waffen umgehen, dennoch übertraf ich ihn problemlos. Álvaro war einfach zu weich.

Ich zog das dunkle Metall aus dem Brett, die Klinge flackerte im Licht der untergehenden Sonne, welche durch das Fenster in die Küche fiel, und warf ich wieder auf das Brett. Langsam verflüchtigte sich der Tag wie aufgewirbelter Staub und die Nacht legte sich wie ein dunkles Gewand über die Stadt. Ich liebte dieses Zeit. Von Schatten zu Schatten zu schleichen, verborgen und umhüllt von Dunkelheit und Nacht. Es war ein berauschende Gefühl. Ein Gefühl, als wäre man eins mit der Nacht und ihren weit ausgestreckten Fingern. Ich fürchtete die Schatten nicht, ich war selbst einer der vielen.

Nicht grundlos prangte die Rune für Schatten genau über meinem Herzen.
Schon immer war ich lieber in der Nacht draußen als am Tage. Die Helligkeit der Sonne langweilte mich, alles und jeden konnte man sehen, Menschen hetzten durch die Gassen. Alles war laut und belebt. Erst, wenn die Dunkelheit ihre feinen Wurzeln nach der leuchtenden Dämmerung ausstreckte und sich wie ein Nebenschleier über die Welt legte, verstummen die Stimmen der Stadt und die Stille war lauter denn je. Die Nacht schärfte meine Sinne, inzwischen konnte ich jedes Geräusch des Waldes zuordnen und mich selbst dann orientieren, wenn man kaum die Hand vor Augen wahrnehmen konnte.

Die Kunst bestand darin, mit allen Sinnen zu sehen.

Ich wusste nicht, wie oft in in der Nacht mit meinem Hengst ausgeritten war. Vermutlich stellte sich eher die Frage, wann ich überhaupt geschlafen hatte. Oftmals verbrachte ich kaum mehr als ein paar Stunden im Bett.

Doch es reichte mir. Während meine kleinen Geschwister ruhig schliefen, schlich mich mich aus dem Schloss. Bei jedem Wetter. Wobei der prasselnde Regen doch ein wenig meine Sinne beeinträchtigte. Es war wie dicker Nebel am Tage, man konnte schlecht sehen.

Meinen Dolch hatte ich immer bei mir, wie jeder Adlige. Es wäre schlichtweg töricht, ohne Waffen durch die Schatten zu huschen. Besonders nachts. Gauner und Halunken lauerten in den dunklen Gassen - nur darauf wartend, dass ein reicher Bürger ihren Weg kreuzte und sie sich an seinen Habseligkeiten gelangen bereichern konnten.

Doch noch nicht ein einziges Mal war ich ihnen je zwischen die Finger gekommen. Ich hatte sie gesehen, oft, öfter, als es gut für sie war, aber nie als hatten ihre faltigen, wachsamen Augen mich zwischen den Schatten ausfindig machen können. Eben gerade weil ich mit der Dunkelheit verschwamm und eins mit ihr war.

Sie war ich, ich war sie.

Man sagte, dass Vampire zu ihren Vampirzeiten selten schliefen - wieso auch, wenn wir zu diesen Zeiten unsere Gaben nutzen konnten? Bei mir traf dies zu. Dunkle Sonne. Das bedeutet mein Name. Sprich, die Nacht war mein Element. Und selbst wenn ich meine Gaben nur bei sternenlose Nächten nutzen konnte, präferierte ich die Tageszeit, wo die anderen schliefen.

Álvaro, meinem Bruder, schien es ähnlich zu gehen. Während ich durch den Wald ritt und nach dem ein oder anderen Tier Ausschau hielt, welchem ich meinen Dolch zwischen die Rippen bohren konnte, streifte er durch die Wälder und schien eins mit der Natur zu werden. Das ein oder andere Mal hatte ich ihn aus dem Dickicht beobachtete, wie er bei nahezu vollem Mond an einem See saß, die Beine überkreuzt mit einem Blatt Pergament auf dem Schoß, und stumm zeichnete.

Vater verachtete ihn für diese Fähigkeit. Allerdings musste ich zugeben, dass seine Zeichnungen schön waren. Er verstand etwas von seinem Handwerk.

Seelenschreiberin (Doppelband)Where stories live. Discover now