Eight

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~ 'Ich lass für dich das Licht an' - Revolverheld ~

JOHN

Ich zog die Handbremse meines Autos an und konnte mir nicht verkneifen, noch einmal über das weiche Leder des Lenkrades zu streichen. Ich war unheimlich stolz, dass der rote Toyota mir gehörte. Er war zwar schon etwas alt und etwas klapprig, doch er fuhr und er gehörte mir. Mir ganz allein. Und außerdem hatte ich ihn von meinem eigenen Geld bezahlt. Na gut, zumindest die Hälfte. Die andere hatte Dad beigesteuert.

Mein Blick fiel auf den Beifahrersitz und ich musste wieder daran denken, wie am Montag Louise dort gesessen hatte. Wie sie mir den Spitznamen 'Pinguin' gegeben hatte. Wenn ich daran dachte, musste ich wieder grinsen. Das Mädchen war mir immer noch ein Rätsel. Mit ihr zusammen war es irgendwie anders, als mit so vielen Mädchen. Auch anders als mit Naomi, meiner Freundin. Mit Louise konnte ich irgendwie so unbeschwert lachen, es fühlte sich so vertraut an. So als würden wir uns schon ein Leben lang kennen. Außerdem hatte ich das deutliche Gefühl, ihr Gesicht schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Bloß wo? Diese Frage hatte ich mir in den letzten Tagen schon öfters gestellt. Waren wir uns vor Jahren schon mal irgendwo begegnet? Oder hatte ich einmal ein Foto von ihr in der Hand gehabt? Doch was für ein Foto sollte ich von ihr haben?

Plötzlich stoppte meine Hand in ihrer gleichmäßigen Bewegung über das Lenkrad. Vor meinem inneren Auge war auf einmal ein Bild aufgetaucht. Eine Fotografie. Von einem Menschen, der nicht Louise war, doch... Mein Herz schlug schneller, meine Finger begannen zu zittern. Nein, das konnte doch nicht sein. Oder doch? War das tatsächlich möglich? Konnte Louise...

Ich musste unbedingt dieses Foto suchen. Schnell zog ich den Schlüssel ab, klickte den Gurt heraus, nahm meinen Rucksack und verließ das Auto.

Ich wusste nicht, ob meine Gedanken Unsinn waren, doch ich musste es genau wissen. Musste wissen, ob... Das würde natürlich alles erklären. Die Vertrautheit, die Ähnlichkeit. Doch so wirklich glauben konnte ich es noch nicht.

Mit aufgewühlten Gedanken stürmte ich ins Haus, alles andere war gerade unwichtig. Ich musste jetzt wissen, ob mein Verdacht wahr war.

Im Wohnzimmer wühlte ich mich durch eine Schublade, und noch eine, und noch eine. Auf der Suche nach diesem einen Foto. Dieser alten, zerknitterten Fotografie, auf die ich als kleiner Junge so oft gestarrt hatte, die mich so oft traurig gemacht hatte, die so viele Sehnsüchte in mir geweckt hatten, die mir aber auch so oft Hoffnung gegeben hatte und so viele glückliche Tagträume in mir entstehen lassen hatte. Die Dad mir immer wieder hatte wegnehmen müssen. Weil er das nicht mit ansehen hatte können.

Schließlich öffnete ich ein Regal, schob Zeitschriften und Bedienungsanleitungen für längst ersetzte Radios und Küchenmixer zu Seite und erblickte dahinter endlich, endlich die alte eingestaubte Kiste mit den verblichenen Streifen, über die meine Hände schon so oft gestrichen hatten. Ich hatte den Karton mit den alten Fotos bestimmt schon ein Jahr nicht mehr in der Hand gehalten, und das machte mich einfach traurig. Warum hatten Dad und ich diese Erinnerungen irgendwann einfach in die hinterste Ecke dieses Regals geschoben und vor uns verschlossen? Natürlich, sie hatten uns so viele traurige Gedanken entlockt, doch war das eine Entschuldigung dafür? Dafür, dass wir diesen Menschen irgendwann endgültig aus unserem Leben ausgeschlossen hatten? Dabei war sie doch so ein wichtiger Teil von uns, den wir eigentlich nie wirklich vergessen können. Egal, wie weit hinter wir ihr Foto in dieses Regal schieben. Plötzlich spürte ich wieder diese Sehnsucht, die immer in mir geschlummert hatte und die Dad nie allein befriedigen hatte können.

Ich atmete einmal tief durch, dann öffnete ich die alte Pappkiste. Sie war 18 Jahre alt. Genauso alt wie ich. Angst mischte sich in meine Gefühle. Angst, dem Ganzen nicht stand halten zu können. Angst, wieder die Tränen in den Augen zu haben, jene Tränen, die mir mit vier Jahren über die Wangen gerollt waren, die mit neun meine Augen feucht werden lassen hatten, die mit 16 irgendwann versiegt waren. Die jedoch immer noch in meinen Augen schlummerten.

Changes | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt