Sixteen

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~ 'Did you hear the rain' - George Ezra ~

LOUISE

Es war, als wäre ich in dichten Nebel gehüllt. Es gab nur mich und diesen einen Gedanken, der ohne Zusammenhang in jeder Faser meines Körpers brannte: Mom, Autounfall, Lebensgefahr. Die Sonne, die durch die getönten Scheiben des Polizeiautos schwach zu erkennen war, erschien mir auf einmal viel zu grell und unpassend. In mir herrschte Leere und Dunkelheit. War das der Schock? Die Angst? Ich hatte Angst, so viel Angst, wie noch nie. Lebensgefahr, das hatte die Polizistin gesagt, deren Namen ich nicht mehr wusste. Das bedeutete, es war möglich, dass... Nein! Soweit durfte ich nicht denken! Sie würde es schaffen! Meine Mom war eine starke Frau, nach der Geschichte aus ihrer Vergangenheit, wohl die stärkste, ich je getroffen hatte. Sie würde es schaffen. Sie würde es schaffen. Sie musste einfach.

Ich warf einen kurzen Blick zur Seite und bereute es sofort. Was mochte John, der neben mir saß meinem Gesicht ansehen? Erwartete er, dass ich weinte? Schließlich erwartete ich das ja auch selbst, doch die Tränen wollten nicht fließen. Ich fragte mich, was besser war. Zu weinen, wie ein Kind oder so stumm und frierend dazusitzen wie ich? Wahrscheinlich Ersteres. Zumindest war diese Leere, die ich spürte, kein schönes Gefühl. Der Blick zur Seite hatte bewirkt, dass John seine Hand nach drüben zu meiner schob, doch bevor er überhaupt meine Finger berühren konnte, hob ich sie und kratzte mich an der Nase. Ich konnte nicht sagen, warum ich es tat. Weil er genauso getröstet werden musste wie ich, ich aber einfach nicht die Kraft aufbringen konnte? Weil es sich so falsch anfühlte, zu leben und Wärme zu empfinden, während sie...?

Ich wusste es nicht. Ich tat es nur. Ich wollte allein sein. Vielleicht würden dann die Tränen kommen. Vielleicht würden sie mir irgendein Gefühl zurückgeben.

Ich fragte mich, wie es passiert war. Mom war eine vernünftige Fahrerin. Die sich an Geschwindigkeitsvorgaben hielt. Die zum Telefonieren an den Straßenrand fuhr. Die sich nicht betrunken hinters Steuer setzte. Ich fragte mich, was passiert war. Waren andere beteiligt?Hatte das Auto Probleme gemacht? Es gab so viele Möglichkeiten, aber ich wollte nicht fragen. Ich war mir sicher, dass die Polizisten wussten, was vorgefallen war, zumindest die äußerlichen Umstände, doch mir fehlte die Kraft zu sprechen. Die Bilder in meinem Kopf, das Schimmern von Blut, das Geräusch von quietschenden Bremsen und das Krachen und Knirschen von Metall auf Metall, von Lastwagen auf den grünen Golf, schnürte mir die Kehle zu. Die Fantasien krochen an mir hoch wie scheußliche, züngelnde Flammen. Die Zungen der Panik. Angst.

Denk an etwas anderes, befahl ich mir.

Doch es gab nichts anderes. Die Gedanken hingen an mir, wie Aasgeier an einem toten Stück Tier in der Savanne von Afrika, die immer wieder einen Fetzen von mir abrissen und in ihren übel riechenden Mäulern verschlangen. Sie kratzen mit ihren scharfen Krallen an meiner Seele und meinem Herzen. Sie verzehrten jede Hoffnung und jedes Licht.

"Liese? Wir sind da." Johns Stimme klang so sanft, dass ich es sofort bereute, vorhin so getan zu haben, die Bewegung seiner Hand nicht zu bemerken. Vielleicht hätte die Berührung mich vor den Aasfressern bewahrt? Wie mochte er sich jetzt fühlen? Er verlor vielleicht gerade einen Menschen, den er immer geliebt und vermisst hatte, den er jetzt hätte kennenlernen können, was ihm vielleicht nun für immer verwährt worden war. Oh Gott, das war noch viel schlimmer! Dabei sah er so stark aus. Nur die blasse Farbe seines Gesichts und die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen verrieten, dass etwas nicht stimmte. Doch - Es gab noch etwas, dass den Schmerz offenbarte. Seine Augen leuchteten nicht mehr, wie gestern Abend oder noch heute Morgen. Das Braun war kalt und dunkel. Ob er wegen mir versuchte, stark auszusehen? Weil er mir nicht noch mehr Angst machen wollte? Weil ich mir nicht auch noch Sorgen um ihn machen sollte? Das sah ihm ähnlich. Ich wollte die Arme heben und ihn umarmen, doch ich war so unglaublich kraftlos. Schon das Aussteigen war zu viel gewesen. Und eh ich es doch noch schaffte, war der Moment verstrichen und die Polizistin sagte: "Bitte folgt mir, ich werde fragen, was der derzeitige Stand der Dinge ist."

Changes | AbgebrochenWhere stories live. Discover now