Eighteen

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~ ‚Mercy' – Duffy ~

LOUISE

John atmete tief ein und pustete die Luft durch die Nasenlöcher wieder heraus, als wöllte er sich beruhigen. Es gelang ihm nicht. So wie er wütend an mir vorbei auf meinen Vater stierte und dabei die Hände zu Fäusten ballte, machte er mir Angst. Er war aufgestanden und mir fiel zum ersten Mal so richtig auf, dass er ja einen ganzen Kopf größer war als ich.

„Hey!" Er reagierte nicht. „John! Was ist los?" Wieder beachtete er mich nicht.
„Du bist schuld, dass sie jetzt hier liegt, hab ich recht?", schrie er Dad an. So wie er jetzt war, hatte ich ihn noch nie erlebt. Und er erinnerte mich an mich selbst. Als ich vor ein paar Tagen herausgefunden hatte, dass er mein Bruder war, hatte ich Mom genauso in blinder Wut angeschrien. Ich hatte mir noch heute nicht verziehen, was ich da für Sachen gesagt hatte. Ich hatte nicht gewusst, was ich tat. Die Wut hatte die Kontrolle über meinen Körper, über meine Seele gewonnen. In diesem Punkt ähnelten John und ich uns wie ein Ei dem anderem. Wir ließen uns zu schnell von der Wut und der Trauer, diesem zynischem und vernichtendem Geschlecht, besiegen und anketten. Und es war schwer, sich von den Fesseln zu befreien.

„John! Hör auf!"
„Geh weg, Louise." Als er zu mir sprach, war seine Stimme leiser und beherrschter, nur um dann noch lauter und bebender zu klingen, als er das Wort an Dad richtete.
„Du! Ihr habt euch gestritten, stimmt's?" Ich wusste nicht, worauf John hinauswollte, aber es war auch nicht wichtig, denn das einzige, was zählte, war, dass die Wut in seinen Adern nicht an ihr Ziel kam.

„Du weißt nicht, was du tust, John!" Ich griff nach seinem Arm, als er an mir vorbei noch einen Schritt auf unseren Vater zu machte. Als ich merkte, dass das wenig Wirkung hatte, stellte ich mich direkt vor ihn, zwischen die beiden. Ich hatte keine Ahnung, was Dad hinter mir tat, aber anscheinend schien er völlig überfordert mit der Situation. Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Da lag seine Frau, schwerverletzt, die er jahrelang nicht gesehen hatte, er hatte sich gerade das erste Mal richtig mit seiner Tochter unterhalten und nun kam sein Sohn, völlig aufgelöst, und beschuldigte ihn mit irgendwelchen wirren, unsinnigen Sachen.

„Geh zur Seite, Louise! Er ist dafür verantwortlich, dass Mom-„

Ich schnitt ihm das Wort ab: „Er ist dein Vater!" Meine Stimme klang hoch und schrill, und viel verängstigter als ich beabsichtigt hatte.

„Und weil Blut dicker als Wasser ist, soll ich nicht..." Es schienen ihm die Worte zu fehlen, doch die Wut war zu stark. Ich kannte das Gefühl.
„Dieser Mann hat DICH im Stich gelassen! Er hat einer Frau den Mann, einem Sohn die Mutter und einer Tochter den Vater genommen! Und jetzt hat er dafür gesorgt, dass Mom... Dass Mom fast gestorben wäre!" Die Verzweiflung, die er nicht mehr versteckt bekam, beherrschte seine Stimme.
„Aber er bereut es!" War ich zu gutgläubig? Sah ich nur, was ich sehen wollte? Weil ich mir so sehr einen Vater, eine heile Familie, wünschte? Was meinte John damit, dass Dad an Moms Unfall schuld sei?

Ich wollte gerade zu einem weiteren Satz ansetzen, als Dad mir den Wind aus den Segeln nahm.

„Dein Bruder hat recht, Louise. Ich bin schuld."

„Was? Nein, das kann nicht sein", stammelte ich verwirrt und ungläubig.

„Du kannst ihm ruhig glauben!" John war immer noch wütend. „Er hat sich mit ihr gestritten! Ich habe keine Ahnung, was er gesagt hat, aber es hat dafür gesorgt, dass Mom völlig aufgelöst Auto gefahren ist. Dass sie den Gegenverkehr nicht gesehen hat! Es war genauso, wie es die Polizistin gesagt hat. Er ist schuld."

„Woher... Woher willst du das wissen?" Ich wusste immer noch nicht so recht, was ich glauben sollte.

John zog sein Handy hervor und erklärte bitter: „Die hat er mir hinterlassen, als wir auf der Heimfahrt waren. Ich hab sie gerade erst gesehen. Und dann erklang Dads Stimme. Es war eine Mailboxnachricht: „John, Hallo. Ich weiß, dass du wütend auf mich bist, und ich kann das auch vollkommen verstehen. Ich hoffe, dass du das hier abhörst, denn es geht hier nicht um mich, sondern um deine Mom. Ich wollte mit ihr reden. Aber sie... Sie hat meine guten Absichten nicht verstanden, was ich ihr nicht verübeln kann. Als ich weg bin, war sie ziemlich aufgelöst und ich mache mir wirklich Sorgen. Aber ich... Ich denke, es ist keine gute Idee, wenn ich selbst nach ihr sehe. Vielleicht könntest du ja... Oder Louise. Sie versteht ihre Mutter bestimmt am besten. Wenn sie bei dir ist, dann sag ihr das am besten. Auch wenn ich euch völlig verstehen kann, hoffe ich, dass ihr mir irgendwann verzeiht."

Changes | AbgebrochenWhere stories live. Discover now