Twenty

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~ ‚Fast Car' – Tracy Chapman ~

LOUISE

Es war gegen zwei Uhr Nachmittag, als sich Moms Finger bewegten. John und Dad waren nicht hier, da mein Vater auf die Arbeit musste und John mit ihm nach Hause gefahren war, um sein Auto zu holen, damit wir später hier auch wieder wegkamen.

Heute Morgen war meine Grandma gekommen. Ich hatte sie gestern früh, am Morgen nach dem Unfall, angerufen und ihr erzählt, was alles passiert war, und sie hatte sich direkt in den nächsten Flieger gesetzt.

Ich hatte meine Großmutter seit vier Wochen nicht mehr gesehen, genauer gesagt seitdem wir von Atlanta nach Princeton gezogen waren. Und ich hatte sie schrecklich vermisst. Bis ich vier gewesen war hatten Mom und ich mit in ihrem schönen Haus in einem Dörfchen außerhalb von Atlanta gewohnt. Als wir dann ausgezogen waren, hatte ich meine Grandma trotzdem noch mindestens einmal die Woche gesehen – sie war einfach ein sehr wichtiger Teil von Moms und auch von meinem Leben. Am Anfang war sie sozusagen meine zweite Mutter gewesen und genauso liebte ich sie auch.

Ich hatte mich wahnsinnig gefreut, als sie mich mit den Worten „Na, mi gatita!" in die Arme geschlossen hatte. Meine Granny, die eigentlich Josephine hieß, war gebürtige Mexikanerin und Mi gatita bedeutete so viel wie Mein Kätzchen. Sie war mit Anfang zwanzig in die Staaten gekommen, weil sie sich in einen Amerikaner verliebt hatte – meinen Großvater, der aber schon gestorben war, als meine Mom noch klein war. Die Geschichte war sehr romantisch, aber auch schrecklich traurig. Ich wusste, dass meine Grandma eine schwere Zeit hinter sich hatte, auch wenn man es ihr nicht anmerkte. Sie war einer der gutherzigsten Menschen, die ich kannte. In meinem Gesicht waren die Spuren des Mexikanischen nicht mehr zusehen, aber meine Mom hatte Grannys dunkles Haar und den leicht olivfarbenen Teint. Dafür waren aber vermutlich die Emotionalität, das Temperament und die Sturheit geblieben, von der auch meine Mutter genug hatte.

Und Stärke.

„Evelyn!", hauchte Granny. „Lou, sieh nur!", doch ich hatte es schon längst bemerkt.

Jetzt schlug sie die Augen auf.

„Mom... Oh, Mommy, ich hab dich so vermisst!" Meine Augen begannen schon wieder, feucht zu werden. Oje, ich war wirklich die geborene Heulsuse.

„Liese", ihre Stimme klang sehr trocken und kratzig. „Was... Wo bin ich?"

„Du bist im Krankenhaus." Jetzt war auch meine Stimme irgendwie belegt. „Du hattest einen Autounfall. Das war am Dienstag. Heute ist Freitag."

„Ich war zwei Tage weg?" Ihre Augen weiteten sich.

„Es ist so schön, dass du wieder da bist", sagte nun meine Grandma. „Wir haben dich alle so, so sehr vermisst, Evy." Ich brauchte gar nicht zu ihr zu sehen, um zu wissen, dass auch in ihren Augen Freudentränen standen.

„Wie fühlst du dich?", fragte ich.

„Alles tut weh. Es ist schwer, zu atmen. Und mir ist ziemlich übel. Was... was ist denn mit mir?"

„Am besten hole ich den Arzt und er erzählt es dir selber", schlug Granny vor und war schon bald aus dem Zimmer verschwunden.

Ich konnte es noch gar nicht richtig fassen, dass Mom jetzt wieder hier war. Aber ich war unglaublich glücklich und hoffte, dass jetzt alles gut werden würde.

„Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde, Mom. Ich hatte wirklich Angst. Es war schrecklich." Bevor ich mehr sagen konnte, ging schon wieder die Tür auf und Granny und Dr. Thompson kamen herein. Anscheinend war der Arzt ganz in der Nähe gewesen. Er war erfreut, dass Mom wieder wach war und meinte wieder, dass sie wirklich sehr stark war. Mittlerweile mochte ich ihn wirklich sehr. Er fragte Mom, was das letzte sei, an das sie sich erinnere.

Sie stöhnte und schloss die Augen. „Ich hab gefrühstückt. Und eine Nachricht von Lou gelesen." Ich hatte ihr an dem Morgen ein Foto vom Strand geschickt und geschrieben, dass alles gut sei. „Und dann hat es geklingelt... Mehr ist da nicht."

„Das ist okay, Mrs Edwards. Die Erinnerungen werden mit der Zeit zurückkommen. Sie hatten einen Autounfall, wie es dazu kam, wissen wir noch nicht." Und dann erklärte er ihr die ganze Verletzen-und-Zusammenflicken-Geschichte, die ich ja schon kannte.

„...Sie werden höchstwahrscheinlich keine Folgeschäden davontragen."

Mom schien ziemlich überfordert von den ganzen Informationen zu sein, doch sie seufzte bei den letzten Sätzen des Doktors erleichtert.

Er wünschte Mom noch eine gute Besserung und verabschiedete sich dann wieder. Vermutlich war sein Terminkalender ziemlich ausgefüllt.

„Wisst ihr, was passiert ist?", fragte Mom vorsichtig. Anscheinend war sie sich nicht ganz sicher, ob sie es wissen wollte.

„Du... Du hast dich mit Ryan gestritten. Er war wohl der, der an der Tür geklingelt hat", antwortete ich. „Ich weiß nicht warum oder was er gesagt hat, ich hab ihn nicht gefragt, aber das hat dich wohl so aufgewühlt und verletzt, dass du viel zu schnell Auto gefahren bist. Du hast den Gegenverkehr zu spät gesehen und wolltest ausweichen. Dabei bist du mit voller Wucht gegen einen Baum geprallt und das Auto hat sich überschlagen... Mehr weiß ich auch nicht."

Wieder schloss Mom die Augen und atmete kurz durch. Plötzlich weiteten sich ihre Pupillen wieder.

„Habe ich noch jemand anderen verletzt?"

„Nein, nein, mach dir keine Sorgen, Eve", sagte meine Großmutter. „Am besten, du ruhst dich noch ein bisschen aus. Sollen wir dich alleine lassen, damit du noch etwas schlafen kannst?" Sie wollte schon aufstehen, da schüttelte Mom den Kopf: „Bitte, bleibt hier."

Wenig später war sie wieder fest eingeschlafen.

***

„Mom war wach?", fragte John überrascht.

„Ja, vor einer Stunde etwa. Aber nur kurz. Der Arzt hat ihr erzählt was passiert ist, sie kann sich nicht mehr an den Unfall erinnern. Ich bin so froh!", flüsterte ich zurück.

„Aber das... Ich werde gleich meine Mom kennenlernen. Krass. Ohwowowow!" Ich musste grinsen, weil seine Reaktion schon ziemlich süß ist.

Die nächste viertel Stunde konnte er nicht stillsitzen. Auch meine Grandma schien seine Nervosität irgendwie... entzückend zu finden - um es mit ihren Worten auszudrücken. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihn schon in ihr Herz geschlossen hatte, bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hatte. Bei dem, was ich ihr alles am Telefon erzählt hatte, war das auch kein Wunder. Und wenn ich alles sage, dann meine ich auch ALLES. Verschwiegenheit war wirklich nicht so meine Stärke. In einem Geheimorden wäre ich glatt verloren. Zum Glück stand Agent beim MI6 nicht ganz oben auf meiner Zukunfts-Liste. Am besten, ich blieb sowieso in der realen Welt, denn Mom war gerade ein zweites Mal aufgewacht.

„Mom..." Johns Stimme war leise und voller Emotionen.

„Du..." Moms Augen weiteten sich, als sie John fanden. Gerührt beobachtete ich die Situation. Nur am Rande nahm ich wahr, dass das Herzschlagmessgerät langsam schneller piepste.

„Du bist John, oder?"

„Und du bist meine Mom." Es war eine Feststellung. Eine Feststellung, die John mit Tränen in den Augen flüsterte.

„Es tut mir leid. Es tut mir so unglaublich leid." Auch meine Mom schniefte. „Es ist so schön dich zu sehen. Du bist so ein toller, starker Mensch. Ich hätte schon viel früher für dich da sein sollen. Es tut mir so leid."

„Es ist alles gut, Mom. Jetzt bist du hier. Und das ist alles, was zählt. Scheiß auf die Vergangenheit."



Ja, scheiß auf die Vergangenheit! Schaut nach vorne, Leute. Es ist egal, was passiert ist, die Vergangenheit könnt ihr sowieso nicht ändern, aber die Zukunft könnt ihr in den buntesten Farben anmalen.

Das ist eigentlich ein gutes Stichwort (wenn man gaaanz viel reininterpretiert haha), deeeeennn wir haben die 1K geknackt! Wow, ihr Menschen, die es gewagt haben, diese Story zu lesen! Einfach nur wow! Ich bin euch so unglaublich dankbar. Auch wenn ihr nur ein kleiner, stiller Leser seid, DANKE. Diese Zahl bedeutet mir so viel, denn ich hätte nie gedacht so weit zu kommen. Danke, an alle die mich unterstützen, ihr seid so tolle Menschen! Danke, danke, danke!

PS: Ich würd mich an dieser Stelle wirklich gerne mal über ein paar kleine Kommentare freuen :D...

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