Eleven

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~ 'Dear Mr. President' - Pink ~

LOUISE

Die kalten Regentropfen brannten dunkle Flecken in meine hellblaue Jeans und fielen wie Eiskristalle in meinen Nacken. Es wurden immer mehr, doch ich realisierte nicht, dass das nach Hause gehen bedeutete, so gefangen war ich in meinen Gedanken. Mit geschlossenen Augen streckte ich meinen Kopf in den aufgefrischten Wind und versuchte einfach loszulassen. Für einen kurzen Moment nichts zu denken.

Dann wurden die einzelnen Tropfen zu einem prasselndem Dauerregen und ich begann zu zittern. Die Kälte riss mich aus meiner Starre, aus meinem kurzen Dasein im Nichts.

Johns Auto stand nicht mehr vor unserem Haus, als ich wieder in den Garten kam, dafür aber das meiner Mom. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihr gegenüber treten sollte. Und ob ich das überhaupt wollte. Für einen kurzen Moment überlegte ich, umzukehren, doch die Tatsachen, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich sonst tun sollte, und dass Aufschieben ja doch nichts brachte, ließen mich doch die Türklinke herunterdrücken. Ich musste mit meiner Mutter reden. Ja, reden. Ich wollte mit ihr reden, wollte die Gründe für ihr Handeln erfahren.

Sie stand im Flur. Mir war sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Dass sie es schon wusste. Dass sie schon wusste, dass ich es wusste. Als das Geräusch der zufallenden Tür hinter mir im leeren Haus verklang, blechern und kalt, drehte sie sich zu mir um. Sie sah mir nicht die Augen.

Und da überkam mich wieder die Wut. Dieses Mal war sie viel stärker und kam viel plötzlicher. Sie war wie ein Tsunami, im einen Moment noch lachende Menschen, im nächsten alles unter Wasser.
Sie hinterließ viel zu großen Schaden.

"Wie konntest du das tun, Mom?", blaffte ich sie an. Ich dachte nicht nach. "Du hast mir ins Gesicht8 gelogen! Mein ganzes Leben hast du mir ins Gesicht gelogen!"

"Hat er das geschrieben?" Dass sie nicht auf meine Worte einging brachten mich genauso noch mehr in Rasche wie sie mich auch verwirrten.

"Was?" Meine Stimme war so kalt wie der Regen draußen - und spöttisch. Wortlos hielt meine Mutter mir einen Zettel entgegen. Erhitzt riss ich ihr in aus der Hand.

Ich dachte, du würdest jetzt lieber allein sein.
Ruf mich an, wenn du mich brauchst.

Darunter hatte er eine Telefonnummer gekritzelt.

John

Und diese vier Buchstaben, dieser Name auf Papier, waren es, die etwas in mir auslösten. Es war wie, als wäre eine Sperre in meinem Inneren gelöst worden, die mich zuvor noch zurückgehalten hatte.

"Ja, das hat er geschrieben! Mein Bruder, Mom! Ein Bruder, den ich nicht kenne! Den du mir siebzehn Jahre lang verschwiegen hast. Ich habe mir immer Geschwister gewünscht und das wusstest du! 'Das hat nicht funktioniert', hast du immer gesagt. Weil mein Vater ein Arsch ist! Weil er seine Frau und seine neugeborene Tochter kurz nach der Hochzeit sitzen lassen hat! Weißt du, was ich mich jetzt frage, Mom? Ich frage mich, ob nicht meine Mutter schlimmer ist!"

Ich achtete nicht darauf, was ich mit meinen Worten in der ohnehin schon gebrochenen Frau vor mir alles zerbrach. Ich machte einfach weiter.

"Du bist schwach, Mom. Du versteckst dich hier in deinem Schneckenhaus und tust so, als wäre alles in Ordnung. Wahrscheinlich glaubst du es mittlerweile sogar selber. Aber es ist nichts in Ordnung!"

Jeder meiner Sätze waren eine Ohrfeige, ein Schlag in den Magen, ein Tritt. Ein Tritt in das Herz meiner Mutter. Ich sah, wie sie langsam zu Boden ging, doch ich bemerkte es nicht. Es scherte mich nicht.

Changes | AbgebrochenWhere stories live. Discover now