Auf nach Seoul!

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„Puh, endlich fertig!" 
Ich lasse das dicke Kunstnachschlagewerk zufallen und verstaue es gemeinsam mit den anderen Büchern in der obersten Abteilung meines Regals. Dabei fällt mein Blick auf das Foto meiner Eltern und mir, welches wir an meinem 6. Geburtstag in Seoul gemacht haben. Verstaubt ist es im Laufe der Jahre immer weiter in Richtung Wand gerückt worden.
Es war eine schöne Erinnerung. Immer wenn ich es ansah dachte ich an Kirschblüten, den Geschmack von Ramen und an die stolzen Stimmen meiner Eltern, die mir gratulierten. Ich schüttelte schnell den Kopf um meinem Gedankenfluss zu entkommen, stellte mich auf die Zehenspitzen, nahm das Bild in die Hand, wischte es mit dem rechten Ärmel ab und platzierte es kurzerhand in meinem großen Erdbeer-Koffer.
Ein frischer Windstoß glitt durch das Fenster und wehte mir meine langen, glatten, beinahe schwarzen Haare ins Gesicht. Schnell wischte ich mir diese weg. "Ach meine verdammten Haare!", seufzte ich. Mein Vater nannte mich wegen deren Farbe und meiner beinahe weißen Haut immer „Schneewittchen". Verflixt, wie ich diesen Spitznamen hasste! Wie gerne hätte ich die Haarfarbe meiner Mutter geerbt. Diese hatte schöne blonde Locken gehabt und sah immer wie ein Engel aus.... Nur blöd, dass das den betrunkenen Motorradfahrer nicht davon abgehalten hatte, sie ohne zu bremsen einfach zu überfahren...
In Gedanken versunken starrte ich auf das Bild, das auf einem Haufen Klamotten lag und hörte erst gar nicht, wie die Türklingel läutete. Nur Sekunden später riss ich mich aus den Gedanken los und schloss den Koffer. Schnell eilte ich zur Wohnungstür und öffnete.
Mein Vater trat ein uns lachte mich freundlich an. Seid dem Tod meiner Mutter hatte er auch ihre Rolle übernommen und so sind wir immer enger an einander gewachsen. Seine Augen sahen trotz des freundlichen Gesichtsausdruckes müde und matt aus, was wohl daran lag, dass er wieder die ganze Nacht an Songs im Tonstudio gearbeitet hatte.
Mein Vater hat meiner Mutter damals im Urlaub in Österreich kennengelernt, als er neue Talente für seine Koreanische Plattenfirma gesucht hat. Und siehe da, er hat sich gleich bei der ersten Aufnahme komplett in sie verliebt. Ein Jahr, ein Heiratsantrag und eine Schwangerschaft später war ich da und habe ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt.
Lächelnd schloss ich meinen Vater in die Arme und drückte ihn einmal fest an mich. Er war zwar kleiner als ich, körperlich war er mir aber eindeutig nicht unterlegen. „Bereit für deinen Flug nachhause?", fragte er mich und zwinkerte mir verschmitzt zu. „Na immer", grinste ich und zog schnell meine Schuhe an. Ohne zu zögern schnappte ich mir mein Flugticket, meinen Koffer und meine Wohnungsschlüssel und schloss die Tür hinter uns ab.


Ein unvergesslicher Sommer (RM Ff) - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt