Teil 1- Dahlie

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Langsam liefen die Tropfen an der Scheibe hinunter. Zentimeter für Zentimeter verschmolzen sie miteinander, wie hunderte Spinnen die sich zu einem großen Ungetüm verwandelten. Ich lehnte mich vor und richtete meinen Blick stur in den Rückspiegel. Mir gefiel, was ich sah, den das war neu und ich liebte Veränderung, nichts war so schlimm wie Stillstand. Um so schlimmer war es für mich hier zu sitzen und die monotonen Stimmen meiner Chefs durch den Lautsprecher zu hören.

Seit 20 Minuten diskutieren am anderen Ende der Leitung fünf der wichtigsten Männer von HUNTED über die neue Stelle, die es zu besetzen galt. Mein Blick fiel auf die Uhr an meinem Handgelenk, bereits fünfzehn Minuten zu spät- was solls. Ich fuhr mir durch das wellige, nun kurze Haar und richtete meine neue Brille. Es war ungewohnt mich selbst so zu sehen. Müde und blass, die dunklen Schatten unter meinen Augen wurden selbst durch die übergroße Pilotenbrille nicht verdeckt. Ich biss mir auf die vollen Lippen, leckte den Rest des Kaffees aus meinem Mundwinkel und ließ mich wieder in meinen Sitz fallen.
„Ich verstehe nicht ganz warum wir überhaupt dieses Gespräch führen Mark. Die Stellung unserer Firma ist in Gefahr, wenn wir uns keine renommierte Person ins Team holen. Ich denke..."
„Sebastian, ich bin ganz bei dir aber..."
Wieder wurde es lauter, ich verdrehte die Augen. Gott wie ich es hasste, wie ich es verabscheute, wie sehr es mich langweilte.
„Meine Herren, ich denke, das hat so keinen Sinn."
Du sagst es Torben! In der Hoffnung das es bald überstanden sein würde, straffte ich mein Schultern.
„Die Entscheidung ist gefallen, ich werde mir heute die zwei Bewerber anschauen und dann setzten wir uns, vorausgesetzt es verläuft alles nach Plan, morgen zusammen." Torben räusperte sich und in der Leitung knackte es, einer hatte schon aufgelegt, wahrscheinlich Mark.
„Mira, danke für deine Zeit. Ich melde mich morgen bei dir diesbezüglich. Ansonsten sehen wir uns später." richtete er an mich.
„Sicher, dann bis morgen zusammen." Ich wartete auf keine Antwort und drückte den Anruf weg. Ich würde definitiv nicht noch ins Büro fahren nach der Vorlesung.

Eine Verspätung von 30 Minuten? - Nein das war gewiss nicht mehr akzeptabel. So stand mein Beschluss fest, die Vorlesung nicht mehr zu besuchen, es war ohnehin nichts Neues was ich lernen würde. Der Ruf der neuen Dozentin eilte ihr voraus, besonders über ihre Strenge Art wurde diskutiert. Absolut nicht das was ich jetzt brauchte. Ohne einen weiteren Gedanken an die versäumte Zeit zu verschwenden, startete ich das Auto und reite mich in den Stadtverkehr ein. Langsam, viel zu langsam war das alles hier. Ich wollte Freiheit, ich wollte Wind, den Regen auf der Haut spüren, die Kälte in der sonst so schwülen Frühlingsluft der zugebauten Stadt. Nach einer gefühlten Ewigkeit, erreichte ich das große, imposante Gebäude der Klinik und parkte auf meinem üblichen Platz. Ein Schild wies darauf hin, dass es nur für Angestellte war, doch das hat mich noch nie gestört. Obwohl ich es nicht mehr tun wollte, warf ich doch wieder einen Blick auf mein Handy. Sie versuchte also noch immer mich zu erreichen. Ihren Namen hatte ich mir nicht gemerkt, es war eine nette Nacht gewesen letzten Samstag, Ablenkung in der Monotonie des Alltags, aber ich hatte kein Interesse an ihr. Wieso verstand sie das nicht?

Der Kimono, der mir als Mantel diente, wurde nassgespritzt als ein Auto an mir vorbeiraste, es kümmerte mich nicht weiter. Schnell griff ich nach meiner Tasche und lief auf den Haupteingang zu. Ich schlängelte mich an der Menschentraube vorbei, die vor dem einzigen Kaffeeautomaten im Erdgeschoss lauthals diskutierten. Der Weg war mir so vertraut, und so bog ich nach links in den Privatflügel. Es war ruhiger, leerer und der markante Geruch nach Desinfektionsmittel und Flieder stieg mir in die Nase. Ich sah sie wie üblich hinter dem riesigen schwarzen Tresen sitzen und angespannt etwas in den Computer eingeben. Steif beschreibt sie nicht einmal ansatzweise. Sie war korrekt, in jeglicher Hinsicht und zudem war sie furchtbar genau. Genau bei ihrem Äußeren; die langen blonden Haare trug sie konstant zu einem strengen Dutt gesteckt. Die schlanken, leicht krummen Beine zierten immer Highheels die, wie sollte es auch anders sein, natürlich jedes Mal zu ihren Bleichstiftröcken oder engen Kleidern passten. Sie hatte unentwegt ein wenig zu viel Make-up aufgetragen und ihre Stupsnase war ständig, wenn sie mich erblickte, zornig gekräuselt. Steif war auch ihre ganze Haltung. Ich scherte mich nicht um sie und das Begrüßen hatte ich schon lange aufgegeben.

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