31. Kapitel - Schritte

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Elvis sagte nichts, während ich weiterkehrte, bis keine Schalen mehr auf dem Boden oder auf den Arbeitsplatten lagen.

„Sehr gut", meldete er sich plötzlich zu Wort, nachdem ich die Augen geschlossen hatte und mich erschöpft an dem Besenstiel festhielt. „Ab nächster Woche kannst du dann bei den anderen arbeiten. Sie werden dir erklären, was du zu tun hast."

Ich nickte leicht.

„Dann kannst du gehen. Ich glaube, Ryan wartet draußen schon auf dich." Er zwinkerte mir noch freundlich zu, ehe er sich abwandte und zurück zu der Tür ging, hinter der er den halben Tag verbracht hatte.

Mit zitternden Beinen ging ich zu der Abstellkammer und verstaute die Sachen in den Schränken, aus denen Elvis sie geholt hatte. Ich hoffte, dass es mit der Zeit einfacher werden würde.

Meine Schultern fühlten sich schwer an, während ich zum Ausgang lief und hinaustrat. Ich nahm die Tür, durch die ich gekommen war und nicht die, durch die Diana und die anderen gegangen waren.

Müde lief ich den Gang entlang, der nach draußen führte und stieß erschöpft die Tür auf. Ich schloss die Augen, als mir die angenehme Abendluft entgegenwehte. Die Kälte entspannte meine kraftlosen Glieder, während ich ruhig einatmete.

„Scheiße, wo warst du", erklang plötzlich Ryans aufgebrachte Stimme und ich öffnete überrascht die Augen. Er hatte etwas abseitsgestanden und kam nun auf mich zu. Fragend legte ich den Kopf schief. „Auch dir einen wunderschönen Abend", nuschelte ich er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Es ist beinahe acht." Ich unterdrückte ein Lächeln, als ich die Besorgnis in seiner Stimme und in seinen Augen bemerkte.

„Tut mir leid", gab ich stumpf zurück, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen. Ich hatte weder eine Uhr, auf die ich hatte schauen können noch hätte ich einfach gehen können, wenn Elvis wollte, dass ich weiterarbeitete.

„Wir sollten los. Ich habe Tarek und Malek gesagt, dass wir nicht lange brauchen."

Ich nickte bei seinen Worten und ging an ihm vorbei. Ich erinnerte mich nicht an den gesamten Weg, der zurück zu Lagerhalle führte, jedoch hatte ich mir bereits einen Teil merken können.

Der Himmel malte dunkelblaue Farben, während die Sterne über uns hingen, als würden sie die Finsternis mit Helligkeit füllen wollen. Bei der Vorstellung, dass auch Oma diesen Himmel sehen konnte, lächelte ich schwach. Die Lichter unseres Horizonts waren auch beständig. Sie gehörten zu den Dingen, die uns geblieben waren.

„Wie war dein Tag?" Ryan lief neben mir und schaute mich an.

„Anstrengend, aber es tut gut wieder etwas Normales zu machen." Mein Blick war immer noch in die Ferne gerichtet. „Wie war es im Sicherheitsdienst?"

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er mit den Schultern zuckte. „Fast genauso. Waren mir nur zu viele Menschen."

Ich lachte und blickte zu ihm. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in seinen Augen wider. „Ich dachte, du magst Menschen."

Er zog überrascht die Augenbrauen hob und ich sah, wie seine Mundwinkel belustigt zuckten. „Nur weil ich ihnen gerne helfe, heißt das noch lange nicht, dass ich ein Philanthrop bin."

Wieder lachte ich und konnte spüren, wie gut das tat. Ich hatte lange keinen Grund mehr gehabt zu lachen.

Plötzlich begann er rückwärts vor mir her zu laufen, während sein Blick immer noch auf mir ruhte. „Komm, wir sollten deine Brüder nicht zu lange warten lassen."

Lächelnd schüttelte ich leicht den Kopf, bevor ich anfing zu rennen.

Auch als ich nur noch schwer Luft bekam, lief ich weiter. Die kalte Abendluft zog an meinen Haaren, während der stille Horizont auf uns niederblickte. Unsere Schritte waren das einzige Geräusch, dass durch die eintretende Nacht hallte.

Ein schönes Gefühl lief durch meine Adern und tastete sich zögernd durch meine Gedanken. Für einen Moment schwiegen die Fragen und Sorgen, die normalerweise immer durch meinen Kopf schrien und mich müde machten. Ich konzentrierte mich auf unsere Schritte, auf den Wind, der durch meine Haare strich. Nur für diesen Moment achtete ich auf das, was war. Nicht auf das, was uns erwarten würde oder was vergänglich war.

Als wir einige Zeit später um eine Ecke bogen, erblickte ich bereits die Lagerhalle. Mittlerweile standen keine Laternen an den Wegen, sodass sie im Schatten lag. Das Efeu kroch immer noch Lagerhalle empor, die von außen still und einsam wirkte.

Unser Tempo verlangsamte sich, während wir unserem Ziel immer näherkamen.

Plötzlich stellte sich mir die Frage, wie lange wir unentdeckt bleiben würden. Hier waren so viele Menschen. Wie war es möglich, dass man sie noch nicht entdeckt hatte? Ängste mischten sich unter das Adrenalin, das noch wegen des Rennens durch meinen Körper rauschte.

Gemeinsam traten wir in die Halle und gingen an den Menschen vorbei, von denen die meisten noch wach waren. Eine Gruppe stand in einer leeren Ecke und hielten halbvolle Flaschen in den Händen. Vermutlich Alkohol.

Ich war mir nicht sicher warum, aber es fiel mir schwer, nicht anzuhalten, um den Menschen, die sich zitternd in den eigenen Armen wogen, zu helfen. Stattdessen setzte ich einen Fuß vor den nächsten und versuchte zu ignorieren, wie sehr es hier nach Ende roch.

Ich schaute weiterhin zu den fremden Menschen, als wir nur noch einige Schritte von unseren Matratzen entfernt waren. Während wir bei Tarek und meinen Brüdern ankamen, löste sich mein Blick von ihnen und ich spürte, wie sich mein Herz langsam wieder beruhigte.

Tarek und Malek unterbrachen ihre Unterhaltung, als sie uns bemerkten. „Wo wart ihr so lange?", fragte Malek unruhig und Tarek hob die Augenbrauen, als seine Augen auf meine trafen. Aufmerksam musterten sie uns und plötzlich wurde mir klar, was sie vermuteten.

Die Welt von hier unten- Man darf uns nicht vergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt