Schweißgebadet und mit pochendem Herzen schreckte ich aus meinem Traum auf und geradewegs in die Arme des frühen Morgens. Das Besondere an diesem Ort war, dass man nie aufwachte und die einzig wache Person war. Irgendwo flackerte immer noch ein Licht, das nicht schlafen konnte.
Eine junge Frau hielt ein schreiendes Kind in den Armen und versuchte es beruhigen. Ich beobachtete sie nachdenklich, bis sich die junge Frau suchend in meine Richtung drehte, als hätte sie meinen Blick gespürt. Ihre Augen fanden meine und starrten mich eine Zeit lang still an. Dann legte sich plötzlich ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen und in ihren müden Augen erkannte ich Freundlichkeit.
Ich erwiderte es. In diesen dunklen Zeiten halfen solche kleinen Momente. Ein schwaches Lächeln oder stille Worte, die ich in ihren Blicken laß. Solche Augenblicke waren voller Hoffnung, voller Kraft.
Mein Blick tastete sich weiter durch die Dunkelheit und versuchte zumindest Umrisse auszumachen. Als ich an Ryans Matratze verharrte, hielt mein Atem inne. Er war nicht da. Automatisch setzte ich mich etwas gerader auf. Wo war er?
Vorsichtig zog ich meine Jacke an und versuchte dabei weder Aadil noch die anderen Menschen in meiner Nähe zu wecken. Die meisten schliefen noch. Leise bahnte ich mir einen Weg durch die Matratzen, bis ich draußen angekommen war. Zu meiner Überraschung war es draußen nicht so dunkel wie drinnen. Durch die Stofffetzen drang nur wenig Licht in die Halle.
Die kalte Luft füllte meine Lungen, während ich mich suchend umsah. Ich war mir selbst nicht sicher, warum ich hier draußen nach ihm suchte, jedoch behielt ich recht. Da saß er. Auf dem kleinen ausgetrockneten Stück Rasen vor der Lagerhalle. Er hatten die Knie leicht angewinkelt und die Arme auf ihnen abgelegt, während sein Blick in die Ferne gerichtet war.
Eine Zeit lang beobachtete ich ihn. Wieso war er hier?
Ich wollte mich umdrehen und ihn alleine lassen, denn er schien Ruhe zu brauchen. Als ich jedoch bereits dabei war mich umzudrehen, hielt ich erschrocken inne. Langsam blickte ich erneut zu ihm und erkannte, dass ich richtig gesehen hatte. Sein Gesicht war zwar ausdruckslos nach vorne gerichtet, jedoch erkannte ich plötzlich, dass Tränen über sein Gesicht liefen, als sei nichts.
Ohne genau darüber nachzudenken, ging ich auf ihn zu. Ryan schaute nicht zu mir, als ich mich neben ihn fallen ließ. Erst nach einer Weile spürte ich, dass sein Blick für einen Moment auf mir verharrte, ehe er sich wieder abwandte. Wir sagten nichts.
Minuten vergingen, in denen wir nebeneinandersaßen und gemeinsam schwiegen. Ich wollte wissen, was in ihm vorging, was er dachte und fühlte, aber statt ihn zu fragen, ließ ich ganz vorsichtig den Kopf auf seine Schulter sinken und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Es machte mir Angst, ihn so zu sehen und gleichzeitig war ich auf eine seltsame Art und Weise erleichtert. Erleichtert, weil er Gefühle zeigte, die echt waren und die mir klar machten, dass auch er etwas verloren hatte. Er schien seine Trauer nicht zu verstecken.
Eine Zeit lang verweilten wir in diesem Gefühl. Lauschten der leisen Melodie, die die Vögel hinterließen, segelten auf der Stille, bis ein paar Menschen aus der Lagerhalle traten und die Eintracht unterbrachen.
„Willst du darüber reden?", fragte ich leise, während ein kleines Mädchen und zwei Frauen den Weg entlang gingen und in der Fern verschwanden. Ich hob den Kopf von seiner Schulter und sah ihn von der Seite an.
Ryan überlegte lange, bevor er antwortete.
„Nicht jetzt."
Ich nickte leicht, als er plötzlich meinem Blick begegnete. Seine geröteten Augen ließen mich innehalten. Mein Brustkorb füllte sich mit Enge und versuchte normal zu atmen, um mein Herz zu beruhigen.
„Sind die anderen schon wach?", fragte er und ich schüttelte als Antwort mit dem Kopf.
„Dann wecken wir sie mal. Tarek muss gleich los." Er stieß sich vom Boden ab und stand auf. Statt mich jedoch alleine zu lassen, hielt er mir auffordernd die Hand entgegen und half mir beim Aufstehen. „Danke", murmelte ich, als ich in seine Augen blickte. Sie sprachen von alleine.
Ich hätte gerne gewusst, was der Grund für seine Trauer war, aber er wollte nicht darüber reden, also lächelte ich leicht.
***
Als wir zurück in die Lagerhalle traten, fiel mir auf, dass es hier drinnen bereits deutlich heller geworden war.
Malek hielt Aadil in den Armen und wirkte nicht sonderlich begeistert, als er uns entdeckte. Tarek hatte den Blick auf ein Stück Papier gerichtet, das in seinem Schoß lag, weshalb er erst zu uns aufsah, als wir bei ihnen ankamen.
„Wo wart ihr jetzt schon wieder?", fragte Malek genervt und legte den Kopf schief. Tarek schenkte mir ein knappes Lächeln, als ich zu ihm schaute.
„Draußen", antwortete ich, obwohl sie das bereits wussten.
„Ach wirklich?", hakte Malek mit einem ironischen Unterton nach. Als Antwort hob ich die Augenbrauen und nickte langsam.
„Darf man auch erfahren, was ihr draußen gemacht habt?"
Ob ich wissen wollte, was Malek sich gerade ausmalte?
Ich wagte es zu bezweifeln.
„Wir haben geredet." Zwar war das nicht die Wahrheit, aber diese Lüge lag zumindest deutlich näher an ihr als Maleks Vermutung. Ryan ließ sich zurück auf seine Matratze fallen, aber ich blieb vor Malek stehen, denn ich hatte das Gespräch noch nicht aufgegeben.
„Was auch sonst?", meldete sich nun Tarek zu Wort und ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen.
Egal, was ich darauf erwidern würde, sie würden mir nicht glauben.
„Wisst ihr was, ihr könnt mich mal", nuschelte ich und unterdrückte ein Lächeln, obwohl ich die Wahrheit sagte. Alle drei lachten, weshalb manche unserer Nachbarn neugierig zu uns hinübersahen, als hätten sie gerne mitgelacht
Ich setzte mich auf meine Matratze und setzte Aadil auf meinen Schoß, nachdem Malek ihn mir hingehalten hatte. „Wie spät ist es?", fragte ich und nickte auf seine Uhr.
„Zwanzig vor sieben."
Als wäre das sein Stichwort, erhob Ryan sich und blickte auffordernd zu Tarek. „Auf geht's."
Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Ryan ihm erzählt hatte, dass er heute arbeiten würde.
„Muss ich irgendetwas mitnehmen?", fragte Tarek und steckte sich das Stück Papier in die hintere Hosentasche. Ich hätte gerne gewusst, was auf dem Zettel stand, aber ich behielt die Frage bei mir.
„Nein", erwiderte Ryan.
Tarek nickte zögernd und folgte Ryan, der sich von uns verabschiedete, indem er sich zu uns umdrehte und grinsend salutierte.
Lächelnd sah ich den beiden nach, bis sie aus der Lagerhalle traten und aus unserem Sichtfeld verschwunden waren.
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Die Welt von hier unten- Man darf uns nicht vergessen
Teen FictionDie Geschichte eines Mädchens, das sich selbst verlor. Eine Geschichte über Krieg, Flucht und was es heißt ein Mensch zu sein. *** „Ich bin lebendig, weil ich eine Kämpferin bin. Klug, weil ich Fehler gemacht habe und ich kann lachen, weil ich die T...