Kurz nachdem Ryan mit Tarek gegangen war, kam Saki zu uns. Sie trug ein schwarzes Bandana, das ihre dunklen Haare zurückhielt. „Guten Morgen!", begrüßte sie uns mit einem strahlenden Lächeln. „Morgen", nuschelte Malek, während er sich zurück auf seine Matratze fallen ließ.
„Alles soweit gut bei euch?"
Ich nickte lächelnd, auch wenn klar war, dass wir hier nicht säßen, wenn alles gut wäre.
„Falls ihr was braucht, sagt Bescheid." Mit diesen Worten verschwand sie wieder.
Ich nutzte die freie Zeit, um Aadil frische Sachen anzuziehen, während Malek sagte, er wolle nach Wasser suchen gehen. Zwar waren unsere Falschen noch halb mit Wasser gefüllt, aber es war klug, schonmal zu wissen, wo wir neues finden würden. Er bestand darauf, alleine zu gehen, also blieb ich an unserem Platz.
Aadil starrte mich breitgrinsend an, als ich ihm ein dünnes T-Shirt über den Kopf zog. Es war schön, ihn so lächeln zu sehen.
Einige Zeit verging, in der Malek nicht auftauchte und mit der ich zuerst nichts anzufangen wusste, bis mich meine Gedanken an das Notizbuch in den Tiefen meines Rucksacks erinnerten. Ich blätterte in den vielen Skizzen und Notizen, auf der Suche nach einer unbeschriebenen Seite.
Bis Malek kam, schrieb ich, summte neue Melodien und kritzelte winzige Zeichnungen an die Ränder meiner Worte. Aadil war währenddessen damit beschäftigt die Gurte meines Rucksackes aufzurollen.
Ich lachte leise, als ich ihn dabei beobachtete.
„Ich habe was gefunden." Maleks Stimme ließ mich erschrocken zusammenfahren. Ich war so in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, als er gekommen war.
Ich richtete mich auf und starrte zu ihm auf.
„Wieso hat das so lange gedauert?", fragte ich und runzelte die Stirn.
„Ich habe mich noch mit ein paar Leuten unterhalten", nuschelte er und hockte sich vorsichtig vor seinen Rucksack. „Ist deine Flasche noch voll?", wandte er sich wieder an mich und warf mir dabei einen erwartungsvollen Blick über die Schulter zu.
Als Antwort nickte ich.
„Du hast gestern nichts getrunken?", hakte er überrascht nach. Ich zuckte mit den Schultern. „Bei der Arbeit gab's genug Wasser."
Er atmete hörbar aus. „Du solltest mehr trinken."
Ich nickte wieder, obwohl mir klar war, dass er es nicht sehen konnte. Als er seine Wasserflasche gefunden hatte, stand er stöhnend auf und ging wortlos in Richtung Ausgang. Verwirrt hob ich Aadil hoch, warf mir meinen Rucksack über die Schulter und lief Malek hinterher.
Wir gingen um die Lagerhalle, ehe wir vor einem verrosteten Wasserhahn stehenblieben. „Ist eigentlich für die Füße gedacht, aber die meisten holen ihr Wasser hierher."
Ich setzte Aadil auf dem Boden ab, machte einen weiteren Schritt auf das fremde Ding zu und versuchte den Wasserhahn aufzudrehen.
„Warte..." Maleks Stimme war das letzte, was ich hörte, bevor mich ein kalter Wasserstrahl im Gesicht traf und ich erschrocken nach Luft japste. Hastig versuchte ich ihn wieder zuzudrehen. Als es nicht funktionierte, rief ich Maleks Namen und hielt den alten Kran so gut es ging zu. „Scheiße", fluchte ich laut. Erst als ich aufgab und stattdessen zur Seite wich, hörte ich Maleks tiefes Lachen. Mein Blick suchte die kahle Grünfläche nach ihm ab, bevor ich ihn mit Aadil in den Armen etwas abseits entdeckte. Er hatte sich auf die Wiese gesetzt.
Sein schadenfreudiges Lachen war so innig und echt, dass sein gesamter Körper bebte. Mein Herz pochte immer noch aufgeregt gegen meinen Brustkorb, während ich mir durch die nassen Haare fuhr. „Warum hast du mich nicht gewarnt?", fragte ich und versuchte ernst zu bleiben, aber konnte nicht verhindern, dass sich auch auf meine Lippen ein Lächeln legte.
„Nächstes Mal", entgegnete Malek und erhob sich wieder, um auf den Wasserhahn zuzugehen. „Ich meine, du hattest doch Durst, oder?", fügte er hinzu und ich lachte.
Als könnte es einfacher nicht sein, drehte Malek an einer Schraube und brachte den Wasserhahn somit zum Schweigen. Dabei blieb er zu meiner Genugtuung jedoch ebenfalls nicht trocken.
„Guck, so geht das." Er drehte die linke Schraube unter dem Hahn auf, bevor er das machte, was ich vor wenigen Minuten ebenfalls gewagt hatte. Sicherheitshalber wich ich einen Schritt zurück, aber als Malek diesmal den Wasserhahn aufdrehte, lief das Wasser seelenruhig hinunter.
„Willst du jetzt was trinken oder nicht?", richtete er sich wieder an mich und grinste weiterhin.
Schweigend trat ich neben ihn, formte meine Hände zu einer Schale und wartete, bis sie voll war, um mir das Wasser anschließend ins Gesicht zu spritzen. Die Kälte traf mich so plötzlich, dass ich für einen kurzen Moment vergaß zu atmen.
Nachdem ich mich an die Temperatur gewöhnt hatte, hielt ich auch meinen Mund unter das laufende Wasser. Ich genoss das schöne Gefühl der kalten Flüssigkeit, die meine Kehle hinunter rann.
Als ich nicht mehr konnte, richtete ich mich wieder auf und fuhr mir mit dem Handrücken über die Lippen.
Ein glückliches Seufzen entfuhr mir, woraufhin Malek leise lachte. „Hast du genug?"
Mein Blick fand seinen. „Ja."
Vermutlich sollte ich wirklich mehr trinken.
***
Nachdem Malek seine Flasche aufgefüllt hatte, gingen wir wieder zurück in die Lagerhalle.
„Wie spät ist es?" Als wir bei unseren Matratzen angekommen waren, setzte ich Aadil auf meine.
Maleks sah auf seine Uhr und schien nicht zu bemerken, dass ich ihn beobachtete.
Ob er dabei an Papa dachte?
„Circa elf", beantwortete er meine Frage und ich nickte, ehe ich mich neben Aadil legte. Meine Gedanken wanderten automatisch zurück zu meinen Eltern, obwohl ich in den letzten Wochen alles darangesetzt hatte, es nicht zu tun.
Seit ich wusste, dass sie nicht mehr da waren, hatte ich jegliche Gefühle, die mit ihnen zu tun hatten, hinter die Schlösser meiner Gedanken gesperrt. Gefühle, die so groß waren, dass ich Angst hatte, sie würden für immer bleiben. Ich hatte Angst, nicht weitermachen zu können, wenn ich wagte, um sie zu trauern.
Eine tiefe Sehnsucht legte sich auf meine Gedanken und ich schloss für einen Moment die Augen, um mich wieder sammeln zu können. Ich sehnte mich nach den Erinnerungen, die ich mit ihnen teilte. Danach, sie wiederzusehen.
Das muss aufhören.
„Ich geh nochmal weg, okay?" Maleks Stimme rette mich aus den Worten meiner eigenen Gedanken, bevor ich verwirrt die Augen öffnete und zu ihm blickte. Er war wieder aufgestanden und sah abwartend zu mir hinunter.
„Wohin?", fragte ich und richtete mich auf.
Er unterbrach unseren Blickkontakt kurz, als er seine volle Wasserflasche in den Rucksack packte. „Zu ein paar Leuten nach draußen."
Ich hob überrascht die Augenbrauen. „Du hast schon Leute kennengelernt?" Neugier lag in meinen Worten. Wir waren knapp drei Tage hier und Malek hatte bereits Freunde gefunden? Zwar war es gut, dass er hier nicht alleine war, wenn wir anderen arbeiten mussten, aber dennoch verwirrte es mich. Normalerweise waren wir beide zu misstrauisch, um so schnell Freundschaften zu schließen.
Er nickte und lächelte zaghaft. „Sagen wir, ich bin gerade dabei ihn kennenzulernen."
Ihn?
Ich runzelte die Stirn, aber er unterbrach unseren Blickkontakt. „Wenn du auf dich aufpasst?"
Wahrscheinlich war uns beiden bewusst, dass ich ihn würde gehen lassen.
„Wenn du möchtest, bleibe ich", bot er an, während sein Blick fragend auf mir ruhte. Ich schüttelte leicht den Kopf. „Komm nur nicht zu spät."
Er nickte und lächelte mich ein letztes Mal an, bevor er sich den Rucksack über die Schulter warf und durch die müden Menschen davonging.
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Die Welt von hier unten- Man darf uns nicht vergessen
Teen FictionDie Geschichte eines Mädchens, das sich selbst verlor. Eine Geschichte über Krieg, Flucht und was es heißt ein Mensch zu sein. *** „Ich bin lebendig, weil ich eine Kämpferin bin. Klug, weil ich Fehler gemacht habe und ich kann lachen, weil ich die T...