Eine männliche Stimme erklang hinter mir, sodass ich erschrocken die Schüssel fallenließ und sie auf dem Boden aufschlug. Erschrocken blinzelte ich und sah geradewegs in Williams Augen. „Ich", fing ich an und blickte hinunter auf die Flüssigkeit, die sich seelenruhig über dem Boden ergoss. Mein Blick wanderte vorsichtig zurück zu seinem, aber er hatte mich gar nicht richtig angesehen. William schien wie bei unserer ersten Begegnung geradewegs durch mich hindurchzuschauen.
„Mach das sauber und komm in mein Büro." Ich konnte nicht sagen, ob er genervt oder wütend war. Automatisch nickte ich und griff nach den Papiertüchern, um die Flüssigkeit grob vom Boden aufzuwischen.
Als die Tür zu Williams Büro, direkt hinter der Küche, ins Schloss fiel, entspannte ich mich augenblicklich und wanderte mit den Gedanken zurück zu Muma. Die Erinnerung hatte so echt gewirkt. So nah, beinahe greifbar.
Mit einem nassen Tuch wischte ich die letzten Spuren weg, als plötzlich die Tür, die das eigentliche Restaurant von ihren Hinterzimmern trennte, aufflog und schnelle Schritte durch den kleinen Raum hallten. Überrascht stellte ich mich wieder auf und sah Grace schweigend dabei zu, wie sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen, an mir vorbei schritt und die Tür zu Williams Büro aufzog, um sie danach geräuschvoll wieder zuzuknallen.
Um meiner Neugier nicht nachzugeben, fing ich von vorne mit dem Rezept an. Ab und zu drangen laute Worte zu mir durch. Sie schienen sich zu streiten.
Ich griff nach der Backform und fettete sie ein, bevor ich den fertigen Teig in die Form kippte. Ich griff nach den Tellern und Gläsern, die Elif in den letzten Stunden am Waschbecken abgestellt hatte. Mit angespannten Schultern ließ ich das Spülmittel auf das benutzte Besteck tropfen und tauchte es in das Waschbecken, das mit heißem Wasser gefüllt war.
Als ich gerade meine Hände abtrocknete, flog Williams Tür auf und Grace trat heraus. „Nein, William! Lass es einfach! Ich hau ab", schrie sie aufgebracht, bevor ihr Blick zu mir glitt und mich die Gefühle in ihren Augen so unerwartet trafen, dass ich stocksteif dastand. Ihr trauriger und zugleich wütender Gesichtsausdruck ließ mich innehalten.
Eine Sekunde später hatte sie sich jedoch wieder abgewandt und lief den Flur entlang, um aus der Tür zu verschwinden. William lief ihr nach.
Ich unterdrückte das Bedürfnis, ihnen zu folgen und stellte die Teller stattdessen auf den Geschirrständer, der so aussah als könnte er jede Sekunde unter dem Gewicht zusammenbrechen.
Elif tauchte im Türrahmen auf und seufzte genervt. Ich hatte sie gar nicht eintreten hören. „Was ist los?", fragte ich, weil ich mir nicht sicher war, ob ich erwähnen sollte, dass ich eigentlich wusste, was sie so nervte.
„William und Grace haben eine Beziehungskrise." Sie setzte sich auf den Tresen neben mich. Ich nickte.
„Die beiden streiten sich momentan täglich, aber geändert hat sich bis jetzt nicht wirklich was." Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern, obwohl mir die Fragen in ihren Augen nicht entgingen. Wortlos sortierte ich auch das restliche Geschirr ein, während ihr Blick zu Williams Büro glitt. „Hast du sie belauscht?", fragte sie neugierig. Ich sah sie an. „Nein."
Elif hob fragend die Augenbrauen, als würde ihr ein einfaches Nein nicht reichen. „Die Tür war zu", erklärte ich und sie nickte langsam, musterte mich dabei jedoch immer noch aufmerksam.
Wortlos ging sie zu einem der Wandschränke und schaltete das Radio ein, von dem ich gedacht hatte, es würde gar nicht funktionieren. „Du hast noch eine halbe Stunde. Mach das fertig und dann komm einfach nach vorne." Als Antwort nickte ich.
Ich erledigte die restlichen Aufgaben und versuchte alles so sauber wie möglich zu hinterlassen, bevor ich zögernd nach vorne hinter die Theke trat. Elif lief währenddessen mit einem Zettel in der Hand und einem höflichen Lächeln auf den Lippen durch die Reihen und schrieb sich die Bestellungen auf. Nach ein paar Minuten, in denen ich still der englischen Musik gelauscht hatte, die durch die Musikbox drang, kam Elif zurück zu mir. Sie musterte mich flüchtig.
„Den Rest übernehme ich. Für deinen ersten Tag hast du genug gemacht."
„Danke." Ich erwiderte ihren eindringlichen Blick, bis sie neugierig den Kopf schieflegte. Ich hob fragend die Augenbrauen, aber sie wandte sich schon wieder den Getränken zu. „Ab Morgen musst du auch nicht mehr backen. Das war eine einmalige Sache, keine Sorge."
Ich blieb schweigend neben ihr stehen und beobachtete die kleine Menge vor mir. Keiner von ihnen bemerkte mich. Jeder schien in diesem Moment bei sich und seinem Gegenüber zu sein. Gerade als ich Elif meine Hilfe anbieten wollte, öffnete jemand die Tür und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. William trat in den Raum und kam mit erschöpften Schritten auf uns zu. „Oh oh", murmelte Elif neben mir, die William bemerkt hatte, ohne richtig hingesehen zu haben.
Erst als William sich auf der anderen Seite über die Theke lehnte, sah ich, was sie bereits erkannt hatte. Die Frustration und die Wut in seinem Blick, der unserem nicht einmal begegnete. „Whisky", nuschelte er, woraufhin Elif seinem Wunsch nachkam.
„Was ist los?", fing sie an, erntete dafür aber nur ein nichts aussagendes Seufzen. „William", versuchte sie es erneut. Er fuhr sich müde durch die Haare, bevor er den Kopf in die Hände sinken ließ. „Sie wird nicht wiederkommen."
Elif schob ihm schweigend den Whisky zu und lehnte sich anschließend gegen die Theke. „Sie kommt immer wieder." Ihre Worte klangen eher nach einer Frage als nach einer Tatsache.
William schüttelte langsam mit dem Kopf. „Nein. Diesmal nicht."
Sie legte den Kopf schief. „Was ist denn passiert?"
Vorsichtig nippte er an seinem Glas. „Das spielt keine Rolle. Sie wird nicht wieder kommen."
Elif schloss genervt die Augen, während William sich wieder aufrichtete und mit seinem Whiskyglas in Richtung Tür ging. Bevor er jedoch im Gang verschwand, deutete er mit dem Whiskyglas in unsere Richtung, als hätte er etwas Wichtiges vergessen. „Falls ihr jemanden kennt, der singen kann, schickt ihn zu mir."
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Die Welt von hier unten- Man darf uns nicht vergessen
Teen FictionDie Geschichte eines Mädchens, das sich selbst verlor. Eine Geschichte über Krieg, Flucht und was es heißt ein Mensch zu sein. *** „Ich bin lebendig, weil ich eine Kämpferin bin. Klug, weil ich Fehler gemacht habe und ich kann lachen, weil ich die T...