Kapitel 5

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Ein zartes Klopfen an der Tür ließ mich hochschrecken.
"Miss Zendia, alles okay bei Ihnen?", hörte ich die leise Stimme meiner Haushälterin. Ich holte tief Luft.
"Ja Rosie, es ist alles in Ordnung", rief ich in der Hoffnung, sie würde wieder gehen, doch stattdessen fragte sie zögerlich: "Darf ich reinkommen?"

Erst überlegte ich, sie wegzuschicken, doch dann wischte ich mir schnell die Tränenspuren von den Wangen.
"Ja", antwortete ich ihr nur knapp und dann wurde meine Tür auch schon geöffnet. "Was gibt es denn?"
"Nichts, Miss. Ich wollte nur mal nach Ihnen sehen." Rosie sah mich mitfühlend an und kam auf mein Bett zugelaufen. Jedoch blieb sie zögernd davor stehen.
"Setz dich", bat ich matt lächelnd und Rosie ließ sich auf meinem Bett nieder.

"Sie haben geweint. Was ist los?", fragte sie ruhig und sah mich fragend an.
Ich schüttelte zwar den Kopf, erklärte dann aber doch: "Es ist im Moment einfach alles zu viel für mich." Ein Schluchzen kam über meine Lippen und ich musste die erneut aufkommenden Tränen zurückhalten.

"Ist es wegen dem Mädchen, von dem so viele Bilder im Haus hängen?", fragte Rosie leise. Ich hatte ihr noch nichts von Liza und meiner Vergangenheit erzählt.
"Ja ... nein ... keine Ahnung", stammelte ich nachdenklich. "Ach, es ist kompliziert", seufzte ich schließlich.

Ich merkte, dass Rosie nicht wusste, was sie tun sollte. Deswegen sah ich sie an und lächelte.
"Wollen Sie einen Tee?", fragte die Amerikanerin schließlich. Ich nickte schwach und zusammen standen wir auf und gingen in die Küche. Während Rosie den Tee aufsetzte, holte ich zwei Tassen aus dem Schrank. Wir schwiegen solange, bis wir uns mit den heißen Getränken auf die Couch im Wohnzimmer setzten.

"Also Miss Zendia, jetzt erzählen Sie mal was los ist", drängte meine Haushälterin mit liebevoller Stimme.
"Ach naja, eigentlich ist es gar nichts Besonderes. Ich habe vorhin eine Person aus meiner Vergangenheit getroffen und das hat viele Erinnerungen ausgelöst, die mich einfach überfordert haben." Mehr war ich noch nicht bereit zu erzählen, doch Rosie fragte auch gar nicht weiter nach. Stattdessen schlug sie vor: "Wie wäre es, wenn Sie sich morgen frei nehmen und sich etwas ausruhen? Danach kommt das Wochenende und am Montag können Sie selber entscheiden, ob Sie wieder zur Arbeit gehen."

Ich dachte über ihre Worte nach. Eine verlängertes Wochenende würde mir gut tun.
Als Antwort nickte ich nur und um die darauffolgende Stille zu unterbrechen, fragte ich: "Wo hast du eigentlich gelebt, bevor du nach Deutschland gekommen bist?" Rosie sah mich verwundert an. Vorher hatten wir beide auch nie über unser Privatleben geredet. "Ich komme aus New York", sagte sie schließlich. Ich zog meine Augenbrauen hoch.
"Wow, das muss ja eine riesen Umstellung sein. Warum bist du mit deinen Kindern hierher gekommen? Hat es dir in der Großstadt nicht mehr gefallen?" In Rosies Blick konnte man einen Anflug Trauer erkennen.

"Oh doch Miss", antwortete sie leise. "Es hat uns dreien sehr gut gefallen. Meine Familie ist sehr reich, weswegen wir nie irgendwelche Probleme hatten. Doch dann lernte ich jemanden kennen. Sam. Ich war sofort in ihn verliebt und sogar die Kinder mochten ihn. Aber meine Familie meinte, er sei nicht gut für mich, weil er aus armen Verhältnissen kam. Außerdem sagten sie, dass er mich nur benutzen würde, wegen meinem Geld. Ich geriet mit meinen Eltern in Streit. Sam überredete mich, auszuwandern und weil er es sich nicht leisten konnte, kaufte ich von meinem letzten Geld vier Flugtickets nach Deutschland. Mein restliches Geld war auf dem Bankkonto von meinem Dad, doch da kam ich nicht mehr ran. Sobald wir hier in Deutschland waren bemerkte ich, dass meine Eltern recht hatten. Noch am Flughafen verließ Sam uns und seit dem hatte ich ihn nie wieder gesehen. Er hatte mein Geld benutzt, um selber neu anzufangen und Leyla, Louis und ich sitzen jetzt hier fest. Ich habe einfach nicht das Geld, um zurückzufliegen und meine Eltern wollen mir auch nichts schicken", erzählte sie mir ihre Lebensgeschichte. Geschockt sah ich sie an.

"Oh, tut mir leid. Das wusste ich nicht", sagte ich mitfühlend, doch Rosie schüttelte den Kopf.
"Ist schon okay, ich bin ja selber Schuld." Ich widersprach ihr.
"Das stimmt nicht. Du konntest ja nicht wissen, dass er euch stehen lässt." Dankbar lächelte Rosie mich an, während sie den letzten Schluck von ihrem Tee trank.

"So, und jetzt Sie! Woher kennen Sie diese Person aus ihrer Vergangenheit?" Ich holte tief Luft.
"Ich war mit ihm auf der selben Schule. Meine beste Freundin hat mich immer damit aufgezogen, dass ich in ihn verliebt sei", erklärte ich.
"Waren Sie es denn?", hackte Rosie nach, als ich nicht weitersprach.
Ich überlegte. "Ja ... ja ich glaube schon", sagte ich schließlich mit einem Lächeln.

Rosie nahm meine leere Tasse und ging zurück in die Küche. Ich folgte ihr.
"Miss, ich verstehe nicht. Warum sind Sie dann so traurig, dass er wieder da ist?" Während meine Haushälterin die beiden Tassen ausspülte, lehnte ich im Türrahmen.
"Meine Freundin Liza ..."
"Die auf den Fotos?"
"Ja genau. Sie ist vor einigen Jahren gestorben und ..." Meine Stimme brach ab. Rosie drehte sich zu mir um.
"Sie müssen es mir nicht erklären, wenn Sie nicht wollen", meinte sie mit besorgtem Blick.

Mit versuchtem Lächeln sagte ich trotzdem: "Nein, ich sollte langsam wirklich darüber hinwegkommen. Es ist schon sechs Jahre her. Ich kann nicht immer bei dem Gedanken an Liza in Tränen ausbrechen. Es ist nur ... als George hier aufgetaucht ist, kamen so viele Erinnerungen wieder hoch. An Liza, was ich mit ihr erlebt habe und an ihren Tod." Ich wischte eine Träne aus meinem Augenwinkel.

"Waren Sie denn dabei, als ..." Rosie brachte den Satz nicht zu Ende, aber ich wusste auch so, was sie meinte.
"Ja, ich war neben ihr. Fast hätte es mich getroffen." Rosie nickte verständnisvoll. "Das Schlimmste an der ganzen Sache ist einfach: Ich fühle mich so schuldig. Bisher habe ich mit niemandem darüber geredet, aber es ist doch so oder? Liza hat mir mein Leben gerettet, also heißt das, wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre sie nicht gestorben." Rosie kam auf mich zu.
"Nein Miss. Sie tragen doch keine Schuld daran. So wie ich das höre, war das die Entscheidung Ihrer Freundin und Sie hätten nichts daran ändern können."

So begann ein ausführliches Gespräch über Schuld und Unschuld. Jedoch verschwieg ich die Zauberei. Ich sagte Rosie, dass es ein Unfall war und Liza mich vor einem Auto gerettet hatte. Nach diesem Gespräch ging es mir schon viel besser. Die Amerikanerin hatte ein ganz anderes Licht auf diese Situation geworfen. Mir wurde klar, dass ich schon viel früher über meine Probleme hätte reden müssen. Es tat gut endlich mal alles loszuwerden.

"Ach Miss, ich wollte Sie noch um etwas bitten." Schüchtern lächelte mein Haushaltsmädchen mich an und ich lächelte aufmunternd zurück.
"Was gibt es denn?"
"Naja, also, ähm, ich habe am Samstag Geburtstag." Rosie sprach nicht weiter, doch ich verstand schon.
"Ist okay. Nimm dir das Wochenende frei. Deine Kinder werden sich freuen, wenn ihr mal etwas mehr Zeit gemeinsam habt. Das bisschen, was ich in der Zeit hier im Haus machen muss, schaff ich auch allein."

Später verabschiedete ich mich von Rosie und danach ließ ich mich einfach nur noch in mein Bett fallen und war auch schon bald eingeschlafen.

Bis ich vom Gegenteil überzeugt werde ... / George Weasley FFWhere stories live. Discover now