Kapitel 38

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"Mum? Wir sind da." Es dauerte drei Sekunden -höchstens- da kam uns eine aufgeregte Molly Weasley entgegengestürmt.
"George! Mein Junge. Lass dich ansehen." Entgegen ihrer Worte musterte sie ihn nicht erst von oben bis unten, sondern zog ihn direkt in ihre Arme. Aufgrund des Größenunterschieds sah das ein wenig komisch aus und ich musste augenblicklich daran denken, dass ich in diesen großen, starken Armen wohl etwa genauso verloren aussah.

Direkt hinter Molly kam ein Mann, um uns zu begrüßen. Ich erkannte ihn als Familienvater. Arthur Weasley. Da sein Sohn gerade von seiner Frau in Beschlag genommen wurde, wendete er sich zuerst an mich.
"Hallo. Du musst Jaymin sein. Ich bin Arthur. Freut mich, dich kennenzulernen." Ich erwiderte den Händedruck und lächelte.
"Freut mich ebenfalls. George hat viel über seine Familie erzählt. Es ist schön, endlich mal alle kennen ... Huch!" Mitten im Satz wurde ich unterbrochen und nun selbst in Mollys Arme gezogen. Ich hörte George kurz lachen, der sich dann aber schnell an seinen Vater wandte.

So langsam fühlte ich mich in Mollys Griff eingeengt und als sie das bemerkte, ließ sie mich sofort los. Sie schien mir deswegen nicht böse zu sein, sondern lächelte mich freundlich an.
"Entschuldigung Liebes. Ich finde es nur schön, dass ich dich endlich mal persönlich kennenlerne."
"Äh, ja, ähm danke. Gleichfalls", murmelte ich, immer noch leicht überrumpelt von der stürmischen Begrüßung.

"Okay Mum, wir wäre es, wenn wir erstmal ankommen dürfen, bevor du deine Fragen stellst?", fragte George nun von hinten. Er musste seine Mutter wirklich gut kennen, denn obwohl sie ihm den Rücken zugekehrt hatte, wusste er genau, dass sie gerade wieder zum Sprechen angesetzt hatte. Jetzt aber nickte sie nur ergeben.
"Ja, stimmt. Du hast recht. Bringt doch eure Taschen schon mal rauf aufs Zimmer. Ich sage Ron und Hermine bescheid." Und somit wuselte sie davon. Arthur schlug seinem Sohn noch einmal kameradschaftlich auf die Schulter und schenkte uns ein warmes Lächeln, dann verschwand er in einen anliegenden Raum.

"Wow, das war überraschend." So plötzlich. Und eben auch genauso schnell vorbei.
"Das ist jetzt die Ruhe vor dem Sturm. Genieße es, Minze. Vor heute Abend bekommst du keine Ruhe mehr, glaub mir." Und wie ich ihm glaubte. Zu recht, wie sich herausstellte. Wir waren gerade in unserem Zimmer angekommen -dem ehemaligen Zimmer der Zwillinge, hatte George mir erklärt- da kam auch schon Ron zu uns, um seinen Bruder und mich zu begrüßen. Die beiden tauschten sich kurz über den Laden in der Winkelgasse aus, Ron hätte die stellvertretene Leitung übernommen und sich in Georges Abwesenheit gut um alles gekümmert, dann wechselte George schnell das Thema. Nicht etwa, weil er sich mehr für Rons Liebesleben interessierte, sondern -und das wurde mir auch erst jetzt bewusst- weil er seinen Beruf vermisste. Er hatte eine Verantwortung zu übernehmen. Er hatte den Scherzartikelladen zusammen mit seinem Zwillingsbruder erschaffen. Das war ein Teil von ihm. Und ihm, ebenso wir mir, war in diesem Moment klar geworden, dass er den Laden nicht weiter führen könnte, wenn er mit mir in Deutschland blieb. Würde er dieses Opfer bringen können? Oder viel eher: War ich dazu bereit, ihn dieses Opfer bringen zu lassen? Sollte nicht viel eher ich aus meinem gemütlichen, isolierten Umfeld schlüpfen und der Welt offen entgegentreten? Ich konnte von George nicht verlangen, etwas so Bedeutsames aufzugeben. Ich hingegen - was hatte ich schon zu verlieren? Eine Villa, die mir sowieso zu groß war und für die ich nicht mal ein Dienstmädchen fand? Eine Kleinstadt, die keine wirklichen Freunde und nun nicht mal einen Job für mich übrig hatte? Ganz offensichtlich ein einsames Leben. Auch wenn ich George an meiner Seite hätte, so würde er dort sehr wahrscheinlich -auch wenn er das jetzt strikt leugnete- nicht glücklich werden können. Nicht auf Dauer. Hier schon. Und ich? Würde ich hier glücklich werden können? Eine Überlegung war es zumindest wert, oder nicht?

Ich griff nach Georges Hand. Einerseits, um ihm zu zeigen, dass ich sein Unbehagen verstanden und akzeptiert hatte, zum anderen, um Schutz zu suchen. Ich fühlte mich in einem Raum mit den beiden Brüdern fehl am Platz. Ich konnte nichts sagen - wusste einfach nicht, was - und wurde auch von den Jungs nicht aktiv aufgefordert, am Gespräch teilzunehmen. Ich brauchte die Gewissheit, dass alles okay war. Dass er nach wie vor für mich da war und dass er mich nicht gleich allein im Zimmer zurück ließ, weil seine Familie doch eine so viel bessere Gesellschaft sei.

George gab mir diese Gewissheit. Er zog zwar seine Hand aus meiner, legte den Arm aber dafür um meine Hüfte und zog mich dicht an sich. Sein Bruder kommentierte das nur mit einem schiefen Grinsen. Dann wandte er sich ab und bevor er den Raum verließ, sagte er: "Ihr solltet dann auch bald runter kommen. Die anderen warten sicher." Mittlerweile hatte ich verstanden, dass 'die anderen' neben Molly und Arthur auch Hermine, Bill und dessen kleine Familie waren, wer auch immer das sein mochte.

George hatte mich immer noch nicht losgelassen, als sein Bruder aus dem Zimmer verschwunden war. Nun hob er mein Kinn an und zwang mich somit, ihn anzusehen. Ich tat nichts lieber als das. Seine Augen luden quasi direkt dazu ein, darin zu versinken. Seine ruhige Stimme machte das nicht besser.

"Ich liebe dich, Minze." Ich ihn doch auch. So sehr.
"Wir müssen trotzdem reden." Irgendwann mussten wir das.
"Ich weiß. Der Laden ..." Er hatte also auch bemerkt, dass sich dieses Thema unbewusst zwischen uns gedrängt hatte und nun tonnenschwer in der Luft hang. "Können wir das aber noch auf später verschieben? Man erwartet uns wirklich. Du bist hier heute sozusagen der Ehrengast."
"Das hättest du mir ruhig früher sagen können." Ich wurde unruhig bei dem Gedanken, in den nächsten Stunden völlig im Mittelpunkt zu stehen. Zum Glück hatte ich George an meiner Seite. Er würde merken, wenn es mir zu viel wurde und seine Familie dann hoffentlich auch bremsen können. "Und natürlich. Das Gespräch hat noch Zeit." Es rückte uns schließlich nicht davon. Ganz im Gegenteil, es würde immer näher kommen, aber momentan konnten wir es gerade noch auf Abstand halten. Jetzt gab es etwas anderes, auf das ich mich konzentrieren wollte - die Familie meines Freundes kennenlernen.

Bis ich vom Gegenteil überzeugt werde ... / George Weasley FFWhere stories live. Discover now