Kapitel 32

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Wie von draußen schon zu erkennen gewesen war, brannte im Flur das Licht. Doch es war nicht etwa vergessen worden, es auszuschalten, wie ich zuerst vermutet hatte, sondern es war tatsächlich jemand im Haus.
Mein erster Gedanke galt Einbrechern und George hatte offenbar die gleiche Vermutung, denn er zog mich augenblicklich ein Stück hinter sich.
Auch der zweite Blick ließ auf einen Einbrecher schließen. Ein dunkelhaariger Mann stand auf einer Trittleiter und hatte sich wohl gerade an einem eigentlich geheimen Fach hinter einem Urlaubsbild von mir und Liza zu schaffen gemacht. Was jedoch nicht zu der Situation passte war, dass der Kerl halbnackt war. Genauer gesagt trug er nichts außer einem weißen Flanellhandtuch um die Hüfte. Was hatte das denn bitte zu bedeuten?

Als wir die Tür geöffnet hatten, hatte er in der Bewegung inne gehalten und uns genauso überrascht angesehen wie wir ihn. Nun war er der erste, der reagierte, indem er von der kleinen Leiter sprang. Doch auch George wusste sofort, was zu tun war. Um den Fremden an einer Flucht zu hindern, schnellte er mit ausgestreckten Armen nach vorne.
„George!", rief ich erschrocken. Das war doch leichtsinnig, wer wusste schon, ob der Kerl nicht gefährlich war? Er sah auch nicht gerade schwach aus, doch zum Glück war er damit beschäftigt, sein Handtuch an der richtigen Stelle zu halten. So hatte George leichtes Spiel mit ihm.

Und erst jetzt bemerkte ich die Frau, die mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen stand. Rosie.
„Was soll das hier?", fragte ich verwirrt. Ich hatte Probleme, die Bilder in meinem Kopf zu ordnen. Rosie, die immer ein so liebes Hausmädchen war, jetzt aber einen fremden Mann in mein Haus gelassen hatte – nachts! Den Bademantel, den sie trug, hatte sie vermutlich auch gerade erst übergeworfen. Jedenfalls schloss sie den Stoffgürtel erst jetzt. Dabei schweifte ihr Blick zwischen mir, George und dem anderen Mann hin und her.
„M...Miss, ich – ich kann das erklären", stammelte sie hilflos, schwieg dann jedoch.
„Halt bloß die Klappe!", zischte der Mann, der noch immer von George festgehalten wurde. Seine Warnung war unnötig, denn Rosie war so verängstigt, dass sie sowieso kein Wort mehr hervor gebracht hätte. Auch nachdem ich meine Frage wiederholte, schwieg sie. Wieso tat sie mir sowas an? Warum hatte sie mich so verraten?

„Jaymin!" George machte auf sich aufmerksam. So langsam hatte er Mühe, den Kerl unter Kontrolle zu halten, da der sich noch immer stark wehrte. „Was nun?"
„Ich ..." Ich war vollkommen aufgelöst. „Ich muss die Polizei rufen." Leider machte das den Fremden nur noch aufgebrachter. Er wandte sich in Georges Griff, sogar das Handtuch war ihm mittlerweile egal und er schaffte es tatsächlich, sich loszureißen. Hals über Kopf floh er aus der noch immer geöffneten Tür, ohne sich auch nur umzusehen. George sprintete ihm hinterher, doch ich hielt ihn zurück.
„Lass mich hier bitte nicht allein." Sofort blieb er stehen, sah aber aus, als wolle er weiter rennen.
„Wir können den doch nicht laufen lassen!" Offensichtlich war er aufgebracht und das konnte ich verstehen. George würde den Mann vermutlich sogar einholen und zurück bringen können, aber allein bei Rosie bleiben –die immer noch wie versteinert vor der Wohnzimmertür stand- konnte ich trotzdem nicht.
„Ich muss die Polizei rufen, George", war der wohl erste klare Satz, den ich ohne Zittern in der Stimme aussprechen konnte.

Letzten Endes war es George, der mir sein Handy in die Hand drückte, nachdem er mich und Rosie ins Wohnzimmer begleitet hatte. Er war es auch, der das Gespräch mit den beiden Beamten führte. Ich war zu aufgewühlt dafür, vor allem nach dem Gespräch mit Rosie. Was das alles zu bedeuten habe, hatte ich sie gefragt, und warum sie das getan hatte. Sie hätte keine Wahl gehabt, Sam hätte sie zu all dem gezwungen. Sie gezwungen, den Job bei mir anzunehmen. Gezwungen, all die Lügen zu erzählen. Und gezwungen, hin und wieder kostbare Gegenstände mitzunehmen, wohl darauf bedacht, dass ich es nicht merken würde. Wie ich erfuhr, war alles, was ich bisher über Rosie gewusst zu haben glaubte, eine gut ausgetüftelte Lüge.
Von wegen, sie käme ursprünglich aus einer reichen Familie und Sam hätte sie des Geldes wegen ausgenutzt. Von wegen aus Sicht der Familie sei Sam nicht gut genug für sie. Es wäre genau andersrum. Rosies Familie lebe in ärmlichen Verhältnissen, eine Heirat mit einem vermögenden Mann wäre da optimal gewesen. Genau genommen hätten sogar Rosies Eltern den Bräutigam ausgesucht und sie dann zu ihm nach Deutschland geschickt. Obwohl der Kerl augenscheinlich genug Geld hätte, habe er Rosie zum Diebstahl gezwungen, zuerst bei einer mehrköpfigen Familie, dann aber –als das zu riskant wurde- bei mir, einer alleinstehenden und offensichtlich auch sehr gutgläubigen Frau. Wie hatte ich nur darauf reinfallen können? Und warum waren mir diese Lügen niemals aufgefallen? Habe ich mich nie gefragt, warum ich kein Foto von Leyla und Louis zu sehen bekam? Verdammt, Rosie hatte nicht mal Kinder!

Alles, was wir noch nicht selbst herausgefunden hatten, erfuhren dann die Polizisten von Rosie. Etwa, dass Sam die Aussicht auf eine leer stehende Villa äußerst reizvoll fand, um eine Nacht dort zu verbringen – ursprünglich hatte ich ja auch vorgehabt, bis zum nächsten Mittag fortzubleiben.
Lange blieben die Polizisten nicht, das Wichtigste war schnell geregelt. Es würde sich vermutlich in den nächsten Tagen noch mal jemand bei uns melden, vor allem, wenn noch Fragen auftreten würden, aber da die Beamten unsere Aussage hatten, war das Nötigste wohl erstmal geklärt. Für mich war das gerade uninteressant. Für mich zählte nur, dass der ganze Spuk bald ein Ende nahm. Im besten Fall, dass ich aufwachte und feststellte, dass das alles nur ein dummer Traum gewesen war. Ich würde mich aber auch damit zufrieden geben, einfach endlich meine Ruhe zu haben. Es war ein anstrengender Tag gewesen, es war spät und ich war völlig fertig. Nicht unbedingt müde, aber doch ausgelaugt.

Die Beamten verabschiedeten sich, führten Rosie hinaus und als die Tür ins Schloss fiel, fielen auch bei mir die Mauern. Wie auf Knopfdruck kamen die Tränen und ich wäre auf die Knie gesunken, hätte George mich nicht in seine Arme gezogen.
„Ich war so dumm", schluchzte ich. George widersprach, doch ich ignorierte ihn. „Dumm und leichtsinnig. Und blauäugig. Ich hätte doch etwas bemerken müssen. Wie konnte ich nur so blöd sein?"
„Minze, das war doch nicht deine Schuld. Deine Haushälterin hat dich getäuscht, da darfst du dir keine Vorwürfe machen."
„Aber George, man merkt doch wohl, wenn jemand einen auf so lange Zeit hintergeht, oder etwa nicht? Man muss doch etwas mitbekommen! Bei so vielen Lügen muss sie sich doch mal versprochen haben, das hätte mir doch auffallen sollen." Hätte es doch, oder?
„Sie ist gut. Es gibt leider Menschen, die sind die geborenen Lügner. Aber falls es dir hilft: Ich glaube, sie hat dich nicht gern belogen." Es half nicht. Eigentlich machte es das sogar noch schlimmer. Aber ich hatte jetzt auch keine Kraft mehr, darüber zu reden. Oder nachzudenken. Ich wollte abschalten.
„Können wir schlafen gehen, George?" In der Hoffnung, dass all das doch nicht real war.
„Natürlich."

Es dauerte nicht lang, da lagen George und ich in meinem großen Bett. Ich hätte nichts lieber getan, als mich an ihn zu schmiegen und einfach von ihm gehalten zu werden. Einerseits brauchte ich diese Nähe jetzt so sehr, andererseits ertrug ich sie überhaupt nicht. Rosies Lügen hatten mir mehr zugesetzt als ich mir eingestehen wollte und ich wusste nicht, wie ich jetzt überhaupt noch jemandem vertrauen konnte. Was, wenn George mich auch hintergehen würde? Rosie war mir so nahe gewesen wie nach Lizas Tod keiner mehr; nie hätte ich erwartet, sie könne mich verraten und doch hatte sie es getan. Da fiel es schwer zu glauben, George würde es absolut ernst mit mir meinen. Natürlich war das lächerlich, aber das hatte ich vor wenigen Stunden bei Rosie auch noch gedacht.

Deshalb lag ich nun an die Bettkante gedrückt - kurz vor dem Herunterfallen - und George lag mindestens genauso unbequem auf der anderen Seite des Bettes. Es verletzte ihn, dass ich so viel Abstand wollte, das konnte ich ihm ansehen, aber er sagte nichts. Er nahm es einfach hin, vermutlich in der Hoffnung, dass ich nur Zeit bräuchte und morgen alles besser sein würde. Dieselbe Hoffnung, die ich auch hatte.

"Tut mir leid", flüsterte ich. Es war mitten in der Nacht und es waren kaum andere Geräusche zu hören. Er musste mich also verstehen. Ich wusste, dass er noch wach war, obwohl er nicht antwortete. Nur seine Atmung veränderte sich etwas, so als wolle er etwas sagen, ließ es dann aber doch bleiben. Es war sinnlos. Ich wusste, was er sagen würde und er wusste, dass mir das nicht weiter half. Also schwiegen wir, bis uns die Erschöpfung des Tages übermannte.


Heute mal ein wenig später. Es tut mir leid, ich habe es ehrlich gesagt einfach fast vergessen, das Kapitel hochzuladen ':D
Aber jetzt ist es ja da ^^
Was haltet ihr von dem Verlauf? Hättet ihr mit so einer Wendung gerechnet? Es würde mich echt interessieren, was ihr dazu sagt.

Liebe Grüße
~fanfiktionera

Bis ich vom Gegenteil überzeugt werde ... / George Weasley FFDonde viven las historias. Descúbrelo ahora