Bis bald

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Kenma PoV

Ich erwachte irgendwann aus den Tiefen meiner Träume und fand neben mir ein leeres Bett vor. Auch wenn immer noch jeder seinen eigenen Raum hatte, schliefen Kuroo und ich kaum noch getrennt voneinander. Ich konnte es mir anders schon gar nicht mehr vorstellen, ohne seinen Körper, der sich im Schlaf an mich kuschelte, während ich mich in seinen Armen wie ein Kätzchen zusammenrollen konnte.

Schlaftrunken stand ich auf und öffnete die Vorhänge, wobei ich merkte, dass es in meinem Zimmer nicht wirklich viel heller wurde. Es war mittlerweile Mitte Dezember, die Wolken hingen trist und grau über der Stadt und erlaubten der Sonne keinen einzigen Strahl durch die dunkle Decke scheinen zu lassen. Jedoch reflektierte etwas anderes und blendete mich etwas. Schnee.

Moment mal! Ich rieb mir energisch den Schlaf aus den Augen, bevor diese zu leuchten begannen. Schnee! Es schneite wirklich! Oh mein Gott, es hatte schon so viele Jahre nicht mehr richtig geschneit! Ich freute mich wie ein kleines Kind, als ich aus meinem Zimmer durch das Wohnzimmer lief und dann hektisch die Tür unseres Balkons öffnete. Mir schlug die eisige Kälte des Morgens entgegen und obwohl ich barfuß war trat ich vorsichtig nach Außen. Unser Tisch und die Stühle waren mit einer pudrigen Schicht Neuschnee bedeckt, der ganze Hinterhof lag weiß unter mir und reflektierte die helle Farbe, auch ohne dass die Sonne darauf schien. Ich atmete gierig die frische Luft ein und schloss genüsslich die Augen.

Plötzlich hörte ich, wie hinter mir die Wohnungstür ins Schloss fiel und drehte mich um. Kuroo entledigte sich gerade seiner Laufschuhe, sowie Mütze und Handschuhe bevor er seinen Kopf hob und mich auf dem Balkon sah. Ein Lächeln legte sich über seine Züge und er kam langsam näher. Seine Wangen und Nase waren ganz rot vor Kälte und er rieb sich die Hände um sie zu wärmen. "Komm rein, Kätzchen, bevor du dir noch eine Erkältung holst", sagte er und streckte eine Hand aus. Ich ließ ihn gewähren und erwiderte aufgeregt: "Es schneit, Kuroo! Es schneit richtigen Schnee!" Er schloss die Tür hinter mir und schaute mich ein wenig irritiert an. "Wer bist du und was hast du mit Kenma gemacht? So viel Begeisterung hab ich bis jetzt nur von dir gesehen, wenn du ein neues Spiel angefangen hast", fragte er als er in die Küche ging und den Wasserkocher anstellte. Ich streckte ihm die Zunge raus und übernahm für ihn ausnahmsweise das Frühstück machen, während er sich duschen ging.

"Was wollen wir heute machen, hm? Es ist Samstag, wir könnten ein wenig in die Stadt gehen", fragte mich Kuroo, als er sich mit noch nassen Haaren an den Tisch gesetzt hatte, während ich ihm eine Tasse Tee eingoss. Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung", sagte ich nur und nippte an meiner eigenen Tasse. "Heute Abend könnte man zum Lichterfest gehen, ich glaube das war dieses Wochenende! Das ist bestimmt wunderschön mit dem Schnee!", sagte Kuroo begeistert. "Jaaah bestimmt! Und super kitschig", sagte ich trocken. Für sowas war ich ja nicht so zu haben, allerdings schaute Kuroo ziemlich traurig, sodass ich sagte: "Meinetwegen, wenn uns nichts besseres einfällt." Seine Miene hellte sich schlagartig wieder auf und er biss zufrieden in sein Brötchen.

Ein Vibrieren löste die Stille ab und ich schaute auf mein Handy. Ich hasste telefonieren und eigentlich gab es auch nur zwei Personen auf der Welt, bei denen ich ran ging, wenn sie anriefen: Kuroo und meine Mutter. Und tatsächlich, als ich auf mein Display schaute prangte mir der Name meiner Mutter entgegen. Kuroo streckte sich zu mir rüber um zu sehen, wer das war und warf mir dann einen undefinierbaren Blick zu, bevor ich zögernd das Handy in die Hand nahm und den Anruf entgegennahm.

"Hey Mom, was gibts?", sagte ich und versuchte nicht ganz so unsicher zu klingen. "Kenma, Schatz! Wie schön, dass du ran gehst!", rief sie ganz aufgeregt und ich verdrehte die Augen. Ich wartete kurz, doch ich hörte nur Stille. "Schatz? Bist du noch dran?", fragte sie und ich antwortete schlicht: "Ja, bin ich. Was gibt es denn?" - "Na hör mal, wir haben schon ewig nichts mehr von dir gehört! Darum dachten wir es wäre doch schön, wenn wir dich mal besuchen kommen", sagte sie und ich hörte förmlich, wie sie wahrscheinlich nervös an irgendetwas herum spielte. "Ehm...", sagte ich nur leicht überfordert und blickte etwas panisch zu Kuroo. "Wir würden uns so gerne mal eure WG anschauen! Und Kuroo hab ich auch schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Ihr könntet uns den Campus zeigen! Komm schon, Schatz, es ist wirklich lang her", flehte sie. Kuroo neigte leicht den Kopf, eine Geste, die mir zu verstehen gab, dass er grundsätzlich nichts dagegen hat und die Entscheidung mir überlässt. Na toll.

Ich überlegte kurz und wägte meine Möglichkeiten ab. Wenn sie kamen könnte es irgendwie rauskommen, dass Kuroo und ich zusammen waren. Das wollte ich auf keinen Fall. Zumindest nicht jetzt. Andererseits... wie sollten sie das mitbekommen? Wir hatten immer noch jeder ein eigenes Zimmer, kaum einer in unserem Umfeld wusste von unserer Beziehung und die, die es wussten würden dicht halten. Und wenn ich ihrer Bitte jetzt nachkomme, lässt sie mich für die kommenden Monate vielleicht in Ruhe.

"Ja, gut... okay. Wann wollt ihr denn vorbei kommen?", sagte ich also nach kurzer Überlegung und sie antwortete freudig: "Oh wirklich? Das freut mich! Wir könnten in anderthalb Stunden da sein. Wäre das okay?" Ich stöhnte auf, bejahte dann jedoch und legte nach einem kurzen "Bis dann!" auf.

Kuroo sah mich ausdruckslos an. "Deine Eltern kommen vorbei?" Ich nickte. "Wann?" - "In anderthalb Stunden", murmelte ich ohne ihm in die Augen zu schauen. Dann herrschte Stille. Eine sehr unangenehme Stille. "Und ich nehme an du hast nicht vor ihnen irgendetwas von uns zu erzählen?", sagte Kuroo irgendwann ziemlich leise. Irgendetwas an diesem Ton gefiel mir ganz und gar nicht. Ich schaute auf und erschrak ein wenig über seinen harten, ausdruckslosen Blick. "Kuroo, ich... du weißt, ich kann das noch n-", setzte ich an doch er unterbrach mich: "Du kannst das noch nicht, ist schon klar." Es war wieder gefährlich still, bis er irgendwann unsanft seinen Becher auf den Tisch knallte und seine Hände zu Fäusten ballte.

"Dann soll ich also den lieben und netten Mitbewohner spielen? Um die Fassade schön aufrecht zu erhalten bis... keine Ahnung... für immer?" Er wurde ziemlich laut, während ich auf meinem Stuhl immer mehr in mich zusammen sank. Er machte mir tatsächlich ein wenig Angst. Ich versuchte die richtigen Worte zu finden doch er schnitt sie mir mit einer Bewegung seiner Hand ab.

"Vergiss es, Kenma. Ich hab's echt langsam satt. Ich hab keine Ahnung, wie lang du dieses Spiel noch Spielen möchtest, aber ich werde vor deinen Eltern nicht so tun, als wäre ich nur dein bester Freund." Er stand so abrupt auf, dass sein Stuhl umkippte. "Kuroo! Ich... warte... wo willst du hin?", sagte ich verzweifelt. Nein, nein, nein, das durfte jetzt gerade nicht passieren! Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Er stand in seinem Zimmer und schmiss ein paar Sachen in seine Sporttasche bevor er in den Flur trat und sich seine Jacke überzog. "Ich geh zu Bokuto. Ich brauch ein paar Tage für mich", sagte er während er sich die Handschuhe anzog. Dann drehte er sich noch einmal zu mir um. Sein Gesicht spiegelte die gleiche Enttäuschung wieder, die ich fühlte. Ich war jedoch nicht von ihm enttäuscht... sondern einzig und allein von mir. Weil ich so schwach war. Weil ich nicht über meinen Schatten springen konnte.

Ich blickte in seine Augen und trat einen Schritt auf ihn zu. "Bitte, Kuroo... geh nicht...", flehte ich und ich merkte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Er schaute mich aus schmerzerfüllten Augen an. „Bis... bald, Kenma!", flüsterte er und die Tür fiel ins Schloss.

Ich würde sterben. So musste sich sterben anfühlen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, meine Beine gaben unter mir nach und ich fiel auf die Knie. Meine Arme baumeln nutzlos neben meinem Körper hin und her. Mit meinem nächsten Atemzug entwich ein Schluchzen meinem Mund und ich presste erschrocken meine Finger gegen die Lippen.

Kuroo war weg. Mein bester Freund war weg. Meine Liebe... war weg. Derjenige, der mir versprochen hat immer für mich da zu sein... war weg. Und es war meine Schuld. Meine ganz allein. Weil ich egoistisch war. Weil ich nur an mich und meine Bedürfnisse dachte. Weil ich seine Gefühle nicht ernst genug genommen hatte. Weil ich nicht gecheckt hatte, was er alles zurück stecken musste.

Ich krallte mir meine Finger in meine Unterarme, als ich mich schluchzend gegen die Wand lehnte und darauf wartete aus diesem Albtraum zu erwachen.

Your way into my Heart || Kenma x KurooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt