I6.I Warning

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Schritt für Schritt tapste der Wolf in meine Richtung. Sein Blick wich nicht eine Sekunde von dem meiner.

"Der Vollmond nähert sich." Die raue Stimme des Wolfes hallte in meinem Kopf wider.

"Es wird sich bald vieles in deinem Leben verändern. Du bist besonders Amber. Lange kann ich nicht bleiben, aber sei wachsam. Schon in kürzester Zeit wirst du gefährliche Feinde haben und damit meine ich nicht zickige Schülerinnen." Schlagartig wurde mir bewusst, wie es mich tagelang beobachtet haben musste. Instinktiv schritt ich einige kleine Schritte nach hinten.

"Warum ich und inwiefern wird sich mein Leben verändern?" flüsterte ich. Die eisig blauen Augen zogen mich in ihren Bann und machten mir zugleich schreckliche Angst.

"Viel kann ich dir nicht verraten. Nicht bevor die Zeit gekommen ist." Er kam näher zu mir, so nah, dass nur einige Zentimeter uns trennten. Erst jetzt realisierte ich, dass das wahr war. Dass der Wolf real war und nicht eine Halluzination, die durch die giftigen Beeren verursacht wurde.

"Bis bald." Mit diesen zwei Worten verschwand er genauso schnell wie er gekommen war. Mein Leben sollte sich ändern, aber weshalb? Wem sollte ich vertrauen? Mein Geheimnis anvertrauen, welches ich noch nicht einmal kannte. Und vorallem, wieso ich, die höchstwahrscheinlich ungeeignetste Person.

Ich sah, dass meine Freunde sich mit Mr. Ashton näherten. Noah reichte mir ein Glas und bedeutete mir mit seiner Hand, dass ich den Inhalt, was wie normales Wasser aussah, trinken sollte. Nachdem ich es ausgetrunken hatte, fühlte ich, wie mir aus heiterem Himmel schwindelig wurde. Verwirrt runzelte ich die Stirn während ich schon auf den Füßen zu wackeln begann.

"W-was?" stotterte ich während meine Lider immer schwieriger wurden. Ich war kurz davor zu fallen als Noah mich auffing und in seinen Armen festhielt. Er lächelte mich beruhigend an als alles dann sich noch schneller zu drehen begann bis es von der unendlichen Schwärze verschluckt wurde.

*

Nahezu eine Woche lag nun unser Campingausflug zurück. Ich hatte mich wieder erholt und morgen war mein 17. Geburtstag. Eigentlich sollte ich mich freuen, aber morgen war Vollmond. Die Warnung des Wolfes ging mir nicht eine Sekunde aus dem Kopf. Der Tag der Entscheidung. Nervös saß ich am Esstisch und zappelte unruhig hin und her. Ich hatte mein Essen gar noch nicht einmal angerührt. Mir war der Appetit schon seit Tagen vergangen.

"Was bedrückt dich so sehr Am? Morgen ist dein Geburtstag." Julie sah mich besorgt an.

"Wie kommst du bloß darauf, ich freu mich riesig. Wirklich." Ich täuschte ein Lächeln vor und begann sogar das Essen zu essen, in dem ich bis jetzt hin nur herumgestochert hatte.

"Das ist auch gut so. Habt ihr schon das neueste gehört. Irgendetwas soll seit unserer Abwesenheit, an der Schule nicht stimmen." Julie legte ihre Ellenbogen auf den Tisch und lehnte sich vor als würde sie befürchten, dass jemand zu hören könnte.

"Joanna meinte, dass ihre Freundin erst gestern spurlos verschwunden ist. Sie hat gesagt, dass sie zusammen mit ihr ins Zimmer gegangen ist und sie dann für ein paar Minuten alleine lassen musste, da sie kurz auf Toilette musste, als sie wieder da war, war Grace weg. Nicht weg im Sinne von gegangen, dass Zimmer war vollkommen demoliert." Julies Stimme zitterte leicht während sie uns das erzählte. Noah dahingegen schaute immer noch gespannt auf Julie.

Grace musste etwas schlimmes zu gestoßen sein, eine andere Begründung gab es nicht. Mein Blick wanderte durch den Speisesaal und über die Schülermenge, die fröhlich dabei waren ihr essen zu verzehren. Hinten, einsam in der Ecke entdeckte ich Joanna. Sie saß alleine am Tisch, stocherte in ihrem Essen und schluchzte leise vor sich hin. Niemand schien ihr Weinen zu bemerken beziehungsweise sich überhaupt um sie zu kümmern. Ich hielt es nicht länger aus. Entschlossen stand ich wortlos von meinem Sitz und sprintete in ihre Richtung. Noah und Julie wussten, dass ich vorhatte mit Joanna zu reden und entschieden sich mich deshalb alleine gehen zu lassen.

"Hey." flüsterte ich zu Joanna und setzte mich neben sie.

"Ich hab gehört was passiert ist. Keine Sorge, ihr ist bestimmt nichts passiert. Grace ist ein starkes Mädchen und weiß wie sie sich wehren muss. Du wirst sehen, bald wird sie durch die Tür kommen und wütend auf dich werden, weshalb du dich so fertig gemacht hast." versuchte ich sie aufzumuntern, doch auch mir blieb ein Kloß im Hals hängen als ich daran dachte, was passieren würde, wenn dies nicht geschah.

"Ich hoffe nur, dass du Recht hast,...a-aber...du hättest mal das Zimmer sehen sollen. Ihr ist auf jeden Fall was schlimmes zu gestoßen. Es sah einfach nur schrecklich aus Amber. Ich bin eine schlechte Freundin. Was auch immer geschehen ist, es hätte mir passieren müssen." Joanna ließ ihren Tränen freien Lauf. Vorsichtig umarmte ich sie bis sie sich beruhigt hatte.

"Joanna, hör mir zu, ich werde mein bestes versuchen, um Grace zu finden. Sie war auch eine Freundin von mir und ich kann den Schmerz, den du verspürst nur zu gut nachvollziehen. Als erstes brauche ich einen Schlüssel zu eurem alten Zimmer. Frag nicht wieso. Ich muss gleich schnell los. Und du musst mir sagen, was für eine Erklärung dir aufgetischt wurde"

"Mir wurde von Mr.Ashton gesagt, dass Grace durch drei bis vier Personen entführt wurde. Das Chaos haben sie anscheinend absichtlich verursacht und sind dann mit meiner Freundin durch die Tür vom Gebäude geschlichen. Sie gehen davon aus, dass sie nur entführt wurde, um ihre Eltern zu erpressen." Ohne ein weiteres Wort zu sagen, überreichte sie mir mit zittriger Hand den Schlüssel und schaute mich dankend an.

"Ich muss jetzt gehen, aber ich komme dich später wieder besuchen und erzähle dir alles, was ich erfahren habe. Eine Bitte hätte ich aber noch an dich. Könntest du meine Freunde Julie und Noah ablenken. Sie würden mir nicht erlauben rumzuschnüffeln, da sie sich zu große Sorgen machen. Sag ihnen ich bin kurz auf Toilette, wenn sie fragen sollten." Joanna nickte leicht und ging zu meinen Freunden über, währenddessen verließ ich den Speisesaal und ging zum ersten Stock hinauf. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Na ja, jeder hielt sich ja momentan im Speisesaal auf. Ich schob schnell den Schlüssel in das Türschloss, öffnete den Raum und ging schnell rein, damit mich niemand auch erwischte. Erst nachdem ich die Tür hinter mich geschlossen hatte, bemerkte ich das Chaos, das mich umgab. Die Möbel waren nur noch ein Splitterhaufen, Bettlaken und Kleidung zerfetzt und alles war durcheinander geworfen. Ich streifte mir ein paar Handschuhe über, um nicht grundlos verdächtigt zu werden. Ich hatte immer ein paar Handschuhe dabei, für den Fall der Fälle. Ich spürte, wie das Blut in mir erstarrte. Ich kniete mich auf den Boden und betrachtete die nahezu winzigen Blutstropfen, die in großen Abständen in Richtung Fensters führten. Sie waren so klein, dass man sie hätte leicht übersehen können.

Ich suchte nach weiteren Indizien und fand den nächsten schon an einem Holzsplitter. Es waren tiefe Kratzer auf dem Splitter, die von einer Kralle stammen mussten. Mit jedem weiteren Beweis wurde mir mulmig. Nicht eine Gruppe von Menschen hatte Grace entführt...ein Wolf war hier gewesen. Ich ging wieder zur Tür über, doch bevor ich das Zimmer verließ, drehte ich mich noch einmal um.

Sonnenstrahlen fielen in den Raum und ich erstarrte, als ich sah, dass etwas das Licht der Sonne reflektierte. Eilig rannte ich zur Quelle und hockte mich daneben. Eine Kette lag in den Trümmern des Bettes. Ich hob sie auf und steckte sie in meine Tasche. Jetzt hatte ich keine Zeit mehr diese zu betrachten. Ich verließ den Raum und schloss die Tür wieder zu. Tief durchatmend ging ich unauffällig den Gang hinunter und setzte mich draußen unter einen Baum. Was hatte es bloß mit den Wölfen auf sich? Und wieso passiert alles so kurz vor meinem Geburtstag. Ich glaubte nicht an Magie oder etwas ähnliches.

Ich war immer die Person, die Geschehnisse rational betrachtete, aber hierzu gab es keine Antwort, die hätte plausibel sein können. Und außerdem, wie hätte ich das Gespräch mit dem Wolf erläutern können? Gar nicht. Es war nicht möglich eine Antwort auf all diese Fragen zu finden. Es ergab alles keinen Sinn mehr.

Ich schaute tatenlos zu, während sich mein Leben in ein unlösbares Rätsel verwandelte.

Hunted || #Wattys2015-WinnerWhere stories live. Discover now