27. Geisterhafte Töne

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POV: Kuno


Ein Klumpen bohrt sich in meinen Bauch und ich räuspere mich. Was soll ich denn jetzt sagen? 

„Also Anella, darf ich vorstellen. Das sind... also meine Familie... André, Tessa und Ilan." Ich deute auf den Grabstein vor uns. Er sieht noch genauso aus wie damals. Nur ein bisschen verwilderter.

Mein schlechtes Gewissen schwillt an und drückt sich bleischwer auf meine Brust.

In der Mitte erkenne ich vertrocknete Blumen. Hat Ilma diese hierher gebracht?

„Mutter, Vater... Ilan... das ist Anella." Ich schlucke und merke wie es in meinem Bauch merkwürdig anfängt zu kribbeln. Diesmal aber aus dem Grund, dass Anella direkt neben mir steht und tatsächlich mit mir zusammen ist. Immer noch ein Umstand, den ich einfach nicht fassen kann.

„Ach ja und Georg mein Großvater." Ich schweife mit meiner Hand auf das Grab daneben. Wie sie wohl reagieren würden, wenn sie Anella in echt kennenlernten?

Ich will tief durchatmen, um den Knoten in meiner Brust zu lockern, doch es klappt nicht, sodass ich mit kratziger Stimme fortfahre. „Ich hätte sie euch schon viel früher vorstellen sollen... wir sind jetzt zusammen..." Ich merke, wie mir das Blut ins Gesicht schießt, obwohl es doch gerade noch so blass war, als wäre ich selber ein Gespenst.

Mein Blick fällt stolz auf ihr Gesicht. Sie lächelt und drückt meine Hand. „Es ist mir eine Ehre euch endlich... also auch mal kennenzulernen", murmelt sie und knetet mit ihren Füßen verlegen in der Erde herum. 

Gott ist sie süß. Ich könnte schreien.

Stattdessen räuspere ich mich, um meine Stimme wiederzufinden. „Wir hätten... ich hätte schon viel früher kommen sollen, ich weiß. Es... es tut mir leid. Mehr, als ihr euch vorstellen könnt. Ich wollte nie... Es war nie weil... Verdammt, ich..."

Ich schlucke diesen dicken Kloß in meinem Hals hinunter. Wie soll es gehen so eine Entschuldigung auszusprechen? Für das, was ich getan habe, gibt es doch gar keine Worte, die dazu in der Lage wären.

„Ilan, ich hoffe.... ich hoffe, du..." Ich schaffe es nicht den Satz auszusprechen. Ihn darum zu bitten mir zu verzeihen. Das wäre zu viel verlangt. Genau wie bei meinen Eltern.

„Ich liebe euch, das wollte ich euch nur sagen." Zum Ende hin bricht meine Stimme und klingt unnatürlich kratzend. Als hätte man meinen Hals mit Kreide eingerieben und Stacheldraht hineingesteckt, welcher sich darin verkeilt.

Anella schmiegt sich zärtlich an meine Seite und ich spüre, wie mir ganz flau wird. Zugleich aber auch, wie die Trauer über mich hereinbricht und jegliche Kraft aus meinen Beinen zieht, sodass wir beide schließlich kniend auf dem Boden landen.

Ich merke, wie meine Augen zu brennen, beginnen doch blinzele es schnell weg. Ich habe mir vorgenommen wenigstens dieses eine Mal stark zu bleiben.

Anella streckt ihre Hand aus und tanzt mit ihren Fingern durch die vertrockneten Blumen, welche den Flur des Grabes zieren. Ihre Stimme folgt ihren Bewegungen in flüsternden Worten. Eine Symphonie, welche das Hier und die außerweltlichen Sphären vereint.

Ich merke, wie ich eine Gänsehaut bekomme, doch dieses Mal sogar aus Wohlbefinden. Überall, wo Anellas Gesang erklingt, ist mein Zuhause, das habe ich inzwischen tief verinnerlicht. 

Ein Feenzauber, welcher die Ebenen durchdringt und alles miteinander verbindet und so vieles mehr.

Fasziniert verfolge ich, wie winzige Wasserpartikel sich aus der Umgebung schwebend um die Pflanze sammeln. Wie sich die welken Blätter langsam wieder mit Leben volltanken und die erschlafften Blütenköpfchen sich millimeterweise aufrichten.  

Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3Where stories live. Discover now