5. Größte Angst

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Kuno löst sich keuchend von mir, um dafür in meine Augen sehen zu können. 

„Was ist es, was du in der Höhle erfahren hast und was du mir nicht sagen willst? Ich habe gesehen, dass da etwas war, was dir Angst bereitet. Und ich will nicht, dass du vor irgendetwas Angst haben musst. Bitte, Anella, lass mich dir helfen. Bitte!"

Zur Bestärkung seiner Worte bekommt sein Ausdruck eine Ernsthaftigkeit, während sein Daumen weiter über meine Lippen gleitet.

Ich blinzele. Natürlich hatte er das wieder gemerkt. Verdammt...

„Kuno, ich habe keine Angst!"

„Ich kenne dich, Anella, ich weiß, wie du aussiehst, wenn du am liebsten vor etwas davonlaufen würdest. Weißt du noch, was du mir diesbezüglich mal gesagt hast?"

Ich knabbere nervös an meiner Unterlippe, bis sein Finger mich davon abbringt.

„Was denn?", hauche ich, da ich nicht genau weiß, was er meint.

„Dass du nicht mehr weglaufen willst. Du hattest gemeint, dass ich ein Teil deines Lebens bin. Gehört dafür nicht auch dazu, dass man sich solche Dinge erzählt?"

Ich schlucke. „Ja, eigentlich schon, aber... das... das ist etwas anderes. Ich kann es dir nicht genau erklären, warum. Vertrau mir bitte einfach, okay?"

Er verzieht intervenierend das Gesicht. „Anella, ich weiß doch schon so viel. Meinst du nicht, du könntest mir den Rest auch noch verraten? Ich will doch nur wissen, was mit dir los ist. Ich möchte dich unterstützen und das geht eben nur, wenn du es auch zulässt."

Plötzlich sammeln sich Tränen in meinen Augen. Er hat recht. Ich weiß es...

„Es stimmt, ich habe Angst, Kuno."

Meine Zehen graben sich in die Erde, während ich weiterspreche. „Ich bin nur nicht so stark wie du und bereit mich dieser zu stellen." Bei diesen Worten presst er seine Lippen zusammen. 

„Das stimmt nicht. Außerdem sagt sich das natürlich sehr leicht, aber ich weiß, dass das nicht wahr ist. Du bist stark, Anella. Stärker, als dir in diesem Zusammenhang wahrscheinlich gelegen kommt. Stärker als so einige, die ich bisher kennengelernt habe, aber du musst nicht mehr alleine stark sein, verstehst du?"

Mein Herz flackert bei seinen Worten und ich merke, wie sich etwas in mir regt und es ihm endlich sagen will. Alles. Die ganze Wahrheit. Mein Mund öffnet sich, um die Worte, welche das trennende Band, das sich bisher noch zwischen uns befindet und alles auflösen würde, auszusprechen. 

Im selben Moment jedoch durchfährt mich ein eiskalter, stechender Blitz, dessen Abstammung und Ursache mir gänzlich ungewiss ist. 

Er fährt über meinen Kopf, meine Wirbelsäule hinunter und sammelt sich dann in meinen Zehenspitzen, welche daraufhin wieder mal ihren berüchtigt wilden Tanz vollführen.

War das eine Warnung? Ich sehe ihn aus großen Augen an.

„Ich kann nicht", verlassen stattdessen die Worte meinen Mund und ich kann sehen, wie sie in Kuno eine tiefe Verletztheit schüren.

„Es... es tut mir leid. Ich würde es dir wirklich so gerne sagen." Der Kloß in meinem Hals macht sich wieder einmal bemerkbar. „Es ist nur... Ich weiß es selber noch nicht einmal so genau. Irgendwas ist da, was mir sagt, dass ich es nicht tun sollte. Es liegt aber überhaupt nicht an dir, sondern es ist für dich. Ich weiß, im Moment kannst du es nicht verstehen, doch ich bin mir sicher, dass du es verstehen würdest, wenn du wüsstest wieso."

Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt