26. Ungebetenes Erbe

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Sobald wir den Raum seiner Großmutter verlassen haben, kann Kuno seine Emotionen nicht länger zurückhalten und sackt mitten im Gang zusammen. All diese Themen scheinen ihm wortwörtlich den Boden unter den Füßen wegzureißen.

Ich setze mich zu ihm und halte ihn fest in meinen Armen. In letzter Zeit scheint wirklich so einiges bei ihm hochzukommen und das in recht kurzen Abständen. Ich hoffe, dass er bald mal wieder zum Durchatmen kommt. 

Ich habe das Gefühl, dass ihm gerade alles, was er die Jahre zuvor in sich vergraben hatte überwältigt, genau wie die Dinge, die bedrohlich vor uns liegen und kann nichts weiter tun, als für ihn da zu sein, soweit es mir möglich ist. 

Keiner der Ärzte stoppt, als sie an uns vorbeilaufen. Vermutlich gehören Nervenzusammenbrüche und trauernde Menschen zu ihrem täglich Brot.

„Es tut mir leid, Anella", keucht er und versucht nach Atem zu ringen. „Das braucht es nicht", flüstere ich und krabbele auf seinen Schoß. Mir egal, was die anderen darüber denken.

Kuno blinzelt. Tränen verfangen sich glitzernd in seinen Wimpern und reflektieren das Licht, wie die funkelnden Sterne am Nachthimmel. Seine Augen sind so dunkel. So wunderschön.

„Anella..." Er presst seine Lippen zusammen und weicht meinem Blick aus, ehe er weiterspricht. „Es... tut mir aber leid. Dass du dich immer mit so einem emotionalen Wrack wie mir abgeben musst. Ich kann wohl nichts anderes, als die Menschen mit mir in den Abgrund ziehen." 

Sein Kiefer ist angespannt und ich sehe, wie sich die negativen Gefühle schon wieder gegen ihn selbst richten, was mir ganz und gar nicht gefällt. Hasst er sich etwa dafür? 

„Kuno, das stimmt doch gar nicht." Ich umfasse mit beiden Händen sein Gesicht und drehe es so, dass er mich wieder ansehen muss.

„Du bist nicht schuld an dem ganzen. Wieso denkst du das immer wieder?" Er verspannt sich. „Weil ich es eben doch bin. Auf irgendeine Weise ist es immer so."

„Weißt du noch, wie du zu mir gesagt hast, dass du aufhören willst dir das immer einzureden?" 

Er verzieht schmollend das Gesicht und erinnert mich jetzt irgendwie an einen bockigen Jungen. Kuno trägt so verdammt viele Seiten in sich und es wird höchste Zeit, dass er sie alle miteinander vereint und nicht mehr voneinander abspaltet, sodass er mit ihnen weiterwachsen kann. So ist es zumindest das, was ich empfinde.

„Ich habe sie weggestoßen... Ich habe einfach alle ausgeschlossen. Mein Leben lang." 

Ein verbitterter Ausdruck mischt sich mit der Trauer darüber in sein Gesicht. „Du hattest deine Gründe. Und all das hatte seine Berechtigung. Manchmal können wir eben nicht ‚perfekt' handeln."

Er schluckt und hebt jetzt auch eine Hand, um gedankenverloren an einer Haarsträhne von mir zu spielen. 

„Alle Gefühle, die wir haben dürfen sein und wenn wir manchmal nur auf eine bestimmte Weise handeln können, um uns beispielsweise zu schützen, oder nicht wissen anders damit umzugehen, dann ist das eben so. Ich denke, wir sollten das nicht verurteilen."

Anstatt zu antworten, senkt Kuno sein Gesicht nun so, dass unsere beiden Stirne aneinanderlegen, ehe er seine Lider hebt und mir direkt in die Augen sieht.

„Für mich war immer klar, dass ich das Grundstück meiner Eltern nie wieder betreten werde. Wieso mussten sie es ausgerechnet mir vererben?"

Ich erwidere seinen Blick, ohne etwas zu sagen. Stattdessen beobachte ich, wie es in seinem Kopf arbeitet.

„Möchtest du, dass wir mal vorbeifahren?" Kunos Augen weiten sich erschrocken und plötzlich erinnert er mich an einen vereisten Schraubstock, welcher fest mit der Erde verbunden wurde und sich jetzt keinen Millimeter mehr bewegt.

Tanz mit dem Morgentau - Das Geheimnis der Tränen ~ Band 3Where stories live. Discover now