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Kennt ihr das Gefühl zu brechen? Wie ein Glas, welches auf dem Boden gefallen ist? Es ist komisch, eine Bezeichnung zu finden. Es gibt keine Worte dafür.

Als wär man gefallen. Tief gefallen. Man ist unten, aber noch oben. Tod, aber noch am Leben. Im inneren Dunkel, aber im Äußeren hell. Im inneren Gebrochen, aber im äußeren Heil.

Die Schreie, die nach Hilfe rufen. Aber nur in Gedanken. Wer würde schon einem Menschen vertrauen, wenn man sich selbst nicht vertraut?
Ich vertraue niemanden. Mich eingeschlossen.
Ich werde nie jemanden vertrauen.
Meine Mutter hab ich mein Leben anvertraut.
Jetzt aber verletzt sie mich.

Tag für Tag.
Minute für Minute.
Sekunde für Sekunde.

Die Worte, die sie über die Lippen spricht, brechen mich. Im Inneren. Tief in meinem Herzen.

Sie hasst mich?
Ja, Mama. Ich mich auch. Ich hasse mich.
Aber weißt du was?

Ich hasse dich auch. Aber auch lieben tue ich dich. Ich wünschte, du wärst nicht gestorben. Ich wünschte, ich hätte dich retten können. Aber im Moment hasse ich dich. Ich hasse dich mehr als jemand anderes je zuvor.

Ich hasse dein Gesicht. Dein Herz. Dein Aussehen, aber am meisten deine Seele. Sie spricht Sachen, aus, die mich auseinander nehmen.

Stück für Stück nimmst du mich mit. Wohin auch immer Tote zurückgehen.

Ich hasse dich.
Ich liebe dich.

Es bringt mich um, darüber nachzudenken.
Warst du nicht die, die mir Liebe geschenkt hat?
Warst du nicht die, die mir ein Küsschen gegeben hat, wenn ich weine?

Warst du nicht die, die mich heil gemacht hat?
Warst du nicht die, die sich umgebracht hat?
Bist du nicht die, die mich bricht?
Bist du nicht die, die mich hasst?
Bist du nicht die, die mich verfolgt? In Gedanken.

Warst du die, Mama? Bist du die, Mama?

Ja.
Warst du.
Ich will dich nicht mehr sehen.
Nie wieder.
Aber trotzdem sehe ich dich.
Jeden Tag dreht sich mein Kopf nur um dich.
Die Erinnerungen existieren noch, du aber nicht.
Du lebst nicht mehr.
Aber trotzdem bist du da.
Ich sehe dich.
Ich höre dich.
Ich spüre dich.

Aber du bist doch Tod, oder?

(—)(—)(—)(—)(—)(—)(—)(—)(—)

„Was willst du" öffnet ein Mann die Tür. Er unterbricht die Gedanken, die mich plagen. Ich seufze. Sie verfolgen mich überall hin. Ich will sie nicht mehr hören. Sie soll verschwinden, wie sie verschwunden ist.

„Bitte, lass mich raus" einfach herauslassen. Bitte. So schnell wie möglich.

Er mustert mich. Guck nicht. Ein Schauer geht mir durch den Rücken. Er soll nicht gucken. Er soll wegsehen.

Guck weg!

„Wie bist du hier hereingekommen?", fragt er kritisch. Ich antworte nicht. Sehe einfach nur in seine braunen Augen. Er runzelt die Stirn und beugt sich zu mir runter. Ich verfolge seine Bewegungen mit ausdruckslosen Augen.

Kann ich nicht einfach gehen? Ich will doch nur weg.

Wie bin ich eigentlich hergekommen? Ich hab den fremden Mann im Büro zuletzt gesehen, bevor ich hier aufgestanden bin. Was hat der Gordo wieder gemacht? Was hat er wieder angestellt?

Der Mann, der die Tür aufgemacht hat, geht zur Seite und guckt mich auffordernd an. Ich gehe mit langsamen Schritten zur Tür und weiche sein Arm aus. Er sieht überrascht aus.

Gefangen in GedankenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt