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Die Tage vergehen und Adira geht es wieder besser, nicht zuletzt wegen der Medizin, von der ich in dieser Woche große Mengen kaufen kann. Wie erwartet ist sie überhaupt nicht begeistert davon, dass ihre Tochter ihr Los in den Topf geworfen hat. Galadrielle, die sich ungerecht behandelt fühlt, schmollt einige Tage und geht mir aus dem Weg, weil ich ihrer Ansicht nach Schuld an der ganzen Misere bin. Sie behauptet, ich hätte ihren größten Traum zerstört und dass sie nie wieder mit mir sprechen will. Dabei bin ich einfach nur erleichtert. Adira schafft es, einen Termin bei den Tiefenthronisten zu bekommen und dafür sorgen zu lassen, dass Galadrielles Name wieder gelöscht wird, bevor der Bewerbungszeitraum zuende ist. Um sie ein wenig zu besänftigen, werfe ich mein eigenes Los, das mir wie allen anderen Frauen im gewünschten Alter ebenfalls per Post zugestellt worden ist, mit großer Geste in den Hausmüll, sodass sie es sehen kann. Sie soll nicht denken, dass ich sie belogen habe. Für sie scheint die Einladung zum Mitternachtsball etwas zu sein, von dem alle träumen, und sie soll sehen, dass das definitiv nicht so ist.

Ich gehe tagsüber meiner Arbeit in der Stadt nach und gebe meine Vorführungen. Nach den ersten Tagen der Ballhysterie flaut die Begeisterung und Großzügigkeit der Leute wieder ein wenig ab, alles in allem mache ich aber ein gutes Geschäft. Ich murmle meine ausgedachten Zaubersprüche vor mich hin, lasse meine kleine Sonne entstehen und weit über den Dächern von Tremoris in einer kleinen Explosion zerbersten. Ich lasse die Funken auf meine Zuschauer niederrieseln und genieße die Ahs und Ohs, die mir entgegenfliegen.

Die Mittagspausen verbringe ich meist bei Emeric in seinem Atelier. Ich helfe ihm, glitzernde Stoffe an lebensgroßen Puppen festzustecken und wir reden nicht mehr über den Ball. Wieso sollten wir auch? Es betrifft uns nicht. Die Sache mit meiner Stiefschwester hat sich erledigt, Emeric hat kein Los bekommen und ich habe meins in den Müll geworfen. Bis zum nächsten Jahr ist wieder Ruhe mit dem Theater und das finde ich nur gut.

Die Abende verbringe ich damit, bei einigen reicheren Bewohnern der Stadt zu putzen, um mir ein paar Erdensplitter zusätzlich zu verdienen. Momentan läuft es zwar nicht schlecht, aber da nicht absehbar ist, wann Adira wieder fit genug ist, um als Schaustellerin zu arbeiten und wir wie früher mit unserem Wohnwagen durch Tremoris fahren und jeden Abend woanders auftreten können, ist es kein Fehler, ein bisschen Geld anzusparen.

An den Abenden falle ich todmüde ins Bett und auch wenn ich doch ein wenig traurig darüber bin, dass Galadrielle mich mit Ignoranz straft, bin ich immer noch überzeugt davon, das Richtige getan zu haben. Und ich bin so sehr beschäftigt und in meinem Alltag gefangen, dass ich gar keine Zeit habe, um großartig darüber nachzudenken.

Am Sonntag schließlich ist es so weit und die Frist endet. Hätte ich nicht gerade an unserer kleinen Küchenzeile gestanden und das Frühstück zubereitet, hätte ich es möglicherweise gar nicht mitbekommen. Ich habe mir aber freigenommen, Adira schläft noch, Tristan hat bei einem Freund im Kristallgarten übernachtet und Galadrielle sitzt auf dem Sofa, liest ein Buch und tut dabei so, als wäre ich nicht da. Inzwischen habe ich es aufgegeben, ein Gespräch mit ihr anfangen zu wollen und rede mir ein, dass sie sich schon irgendwann wieder beruhigen wird. Also drehe ich das Radio auf, während ich Zwiebeln und Wurzeln für einen Salat schneide.

„Heute endet offiziell die Bewerbungsfrist für den diesjährigen Mitternachtsball", schmettert der Moderator gerade. Ich verdrehe die Augen. Hat man nicht mal beim Frühstückmachen seine Ruhe vor diesem Blödsinn? Ich mach echt drei Kreuze, wenn das Spektakel vorbei ist. „Hast du eine Ahnung, wie viele Bewerber es dieses Mal waren, Sylva?"

„O ja, aber eigentlich musst du sagen, Bewerberinnen, Magnus, denn dieses Mal waren wieder nur Frauen gefragt", antwortet die Stimme seiner Co-Moderatorin.

„Ach, stimmt ja!" Der Moderator, Magnus, lässt ein theatralisches Seufzen hören. „Sieht nicht gut aus für uns Männer in den letzten Jahren. Das ist bereits das dritte Jahr in Folge, dass nur Frauen nach Celestria dürfen. Wie viele Bewerberinnen waren es denn nun?"

„Insgesamt sind – nun halte dich fest, Magnus – mehr als fünfhunderttausend Bewerbungen eingegangen! Das sind fast hunderttausend mehr als im letzten Jahr."

„Wow!", stößt Magnus aus. „Das ist eine Menge! Aber ich muss auch zugeben, dass das Ganze wahnsinnig aufregend ist, man muss verrückt sein, wenn man diese Chance bekommt und nicht versucht, sie zu ergreifen."

Bei diesen Worten werfe ich einen raschen Blick auf Galadrielle. Sie funkelt mich bitterböse an und sofort senke ich die Augen wieder auf mein Schneidbrett. Soll sie doch schmollen, sage ich mir. Ich habe das Richtige getan. Ich habe sie beschützt, nicht mehr und nicht weniger.

„Aber es gibt noch mehr Änderungen in diesem Jahr, Magnus", tönt Sylvas Stimme nun aus dem Lautsprecher. „Die Organisatoren des Mitternachtsballs und die Tiefenthronisten haben angeblich beschlossen, dass es keine öffentliche Bekanntgabe mehr geben wird."

Magnus schnappt nach Luft.

„Keine öffentliche Gewinnerparty mehr in Tremoris?", stößt der Moderator mit gespieltem Entsetzen hervor und ich verdrehe erneut die Augen. Von den Änderungen im Benachrichtigungsverfahren reden die Leute schon seit Tagen, das ist nun wirklich keine Neuigkeit mehr. Der ganze Dialog ist dermaßen gestellt, dass ich mich beim Zuhören regelrecht fremdschäme. Am liebsten würde ich den Sender wechseln, aber dann hasst Galadrielle mich vermutlich noch mehr.

„Leider nein, Magnus. Die glücklichen Gewinnerinnen werden morgen früh in ihren Häusern abgeholt und dürfen direkt nach Celestria reisen. Keine Partys mehr, keine Verabschiedungszeremonien, es geht direkt zum Ball."

„Nun, das erhöht definitiv die Spannung", schließt Magnus. „Wir von Radio Schattenfrequenzen drücken natürlich allen Bewerberinnern unsere Daumen und wünschen den glücklichen Gewinnerinnen bereits jetzt die Zeit ihres Lebens auf dem legendären Mitternachtsball! Passend dazu gibt's jetzt was auf die Ohren, nämlich den neuen Rocksong von Luminous Echos: Veil of Shadows!"

Die Klänge des genannten Liedes erfüllen die Küche und ich kann mich wieder darauf konzentrieren, das Frühstück zu machen. Meine Schwester versenkt ihre Nase wieder in ihrem Buch und würdigt mich keines Blickes mehr.

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now