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Wie auf Kommando beginnt das Inferno. Die merkwürdigen Rohre in den Wänden, die ich zu Beginn des Balls entdeckt habe, stoßen Feuerfontänen aus, die alles im Saal in Brand stecken. Es sind Flammenwerfer! Und sie hören nicht mehr auf damit.

Innerhalb weniger Sekunden brennen die zur Seite gezogenen Samtvorhänge lichterloh. Tische brennen, Stühle brennen, Teppiche, in den Spiegeln alles hundertfach wiedergegeben. Eine Skulptur geht mit einem lauten Krachen zu Boden und begräbt ein Mädchen unter sich, Deckenbalken bersten auseinander und stürzen auf die Tanzfläche. Die verbliebenen Frauen rennen in blinder Panik kopflos durch die Gegend, schreiend, kreischend. Sie hasten zu den Türen und reißen an den Knäufen, doch sie sind verschlossen. Kleider fangen Feuer, Menschen gehen zu Boden.

Alles geht dermaßen schnell, dass ich nichts anderes tun kann, als entsetzt dabei zuzuschauen. Es dauert nicht lange, da hat sich der komplette Saal mit dickem grauem Rauch gefüllt, so dicht und undurchdringlich, dass ich nach wenigen Sekunden keinen Meter weit mehr sehen kann. Innerhalb kürzester Zeit hängt der Geruch von verbrannten Haaren und verkohltem Fleisch in der Luft. Übelkeit schnürt mir die Kehle zu.

Ein unmenschlicher Schrei ertönt und fährt mir durch Mark und Bein. Auch wenn es kaum noch nach ihr klingt, erkenne ich, dass es Elysia war, die geschrien hat. Das gibt mir den Schubs, den ich brauche und reißt mich aus meiner Starre.

Verzweifelt rüttle ich ein weiteres Mal an der Tür unter der Bühne, reiße daran, trete dagegen, doch es ist nichts zu machen, sie ist bombenfest verschlossen. Ich atme Rauch ein und huste, die Hitze knistert und flirrt um mich herum, und mir wird klar, dass ich nur noch wenige Sekunden habe. Sekunden, die über Leben und Tod entscheiden.

Ich halte die Hand vor Mund und Nase, lasse mich zu Boden sinken und rutsche in die Ecke, in der ich zuvor war, hinter den umgefallenen Tisch, der mir in der Dunkelheit als Schutz vor der Meute gedient hat. Wie durch ein Wunder brennt er noch nicht, und dann bündle ich all meine Kräfte, konzentriere mich mit aller Macht auf das Feuer und dränge es zurück. Doch all die Schreie brennen sich in meine Seele und machen es mir schwer, bei der Sache zu bleiben.

„Elysia", keuche ich. „Komm hierher, zur Bühne, hier bist du sicher! Und du auch, Sylva. Ihr alle, kommt zur mir!" Ein heftiger Husten schüttelt mich, als ich zu viel Qualm einatme, und als ich erneut rufen will, kommt nur noch ein Krächzen aus meinem Hals. Meine Augen brennen wie verrückt und ich muss sie zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas sehen zu können.

Ich winkle die Beine an und ziehe den Tisch näher zu mir heran, versuche, das Feuer zu löschen, doch ich merke schnell, dass ich keine Chance habe. Es ist einfach zu viel, oder vielleicht fehlt es mir auch an Übung. Ich weiß schon so lange, dass ich diese Gabe habe, aber bisher habe ich sie nur dafür eingesetzt, mal einen Ofen anzufeuern oder winzige Flammenbälle heraufzubeschwören, um meine Zuschauer zu beeindrucken.

Wie dumm ich doch war. Jetzt bereue ich es zutiefst, dass ich mich niemals ausgiebig mit dieser Fähigkeit auseinandergesetzt habe.

Alles, was ich nun schaffe, ist, das Feuer und den Rauch auf Abstand zu halten. Doch das gelingt mir erstaunlich gut. Ich dränge Hitze und Rauch zurück, und dann befinde ich mich in meiner Ecke hinter dem Tisch wie in einer Art Blase, in der mir nichts etwas anhaben kann, während vor meinen Augen der ganze Saal niederbrennt.

Mit einem Mal schält sich ein Gesicht aus dem Rauch, kaum noch wiederzuerkennen. Die Hälfte ist durch das Feuer bereits grauenvoll entstellt, die andere Hälfte zu einer fürchterlichen Fratze verzerrt.

„Cinna", ertönt Sylvas Stimme, die kaum noch mehr als ein Gurgeln ist. Sie streckt eine schwarz verkohlte Hand nach mir aus. „Hilf mir!"

Einen Wimpernschlag später ist sie verschwunden, verschluckt vom Qualm.

Ich springe auf. „Sylva!", keuch ich. „Komm zu mir, hier kommt das Feuer nicht her!", doch sie reagiert nicht mehr, und sobald meine Konzentration nachlässt und mein Schutzschild schwächelt, dringen der Rauch und die Hitze zu mir durch. Ich muss erneut husten, die feinen Härchen auf meinen Armen fangen Feuer, und ich taumle schnell zurück in meine Ecke, wo ich mich wieder auf meine Gabe konzentriere.

„Sylva!", rufe ich noch einmal, doch es klingt erstickt. Tränen laufen mir über die Wangen und verdampfen sofort in der Hitze. „Elysia!"

Doch alles, was ich höre, sind diese furchtbaren, unmenschlichen Schreie, die immer weniger, immer leiser werden.


Ich weiß nicht, wie lange ich so in meiner Ecke kauere und mit panischem Blick in das Feuer starre. Irgendwann höre ich nur noch das Rauschen und Knistern, und dann ziehe ich meine Knie noch näher zu mir heran und vergrabe mein Gesicht dazwischen, lasse die Tränen laufen, während ich mit aller Kraft versuche, die Hitze zurückzudrängen und meinen Schutz aufrechtzuerhalten – und den Gedanken daran zu ignorieren, dass gerade vierundzwanzig Menschen direkt vor meinen Augen bei lebendigem Leibe verbrannt werden, und ich nichts dagegen tun kann.

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now