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Eine ganze Weile stehe ich unschlüssig am Rand und beobachte die anderen dabei, wie sie dieses sogenannte Spiel spielen. Die Männer scheinen es sichtlich zu genießen, die Kontrolle über das Ganze zu haben und viele machen sich einen Spaß daraus, irgendwelchen Frauen zunächst Hoffnungen zu machen und sie dann in letzter Sekunde doch noch abblitzen zu lassen. Entsetzt stelle ich fest, dass in einigen Ecken bereits nach wenigen Minuten geknutscht und gefummelt wird. Aus dem Augenwinkel beobachte ich ein Paar, das hinter der Toilettentür verschwindet. Angeekelt wende ich mich ab. Nicht das Küssen oder der Sex an sich ist es, was mir aufstößt – sondern die Tatsache, dass es für die Frauen unter einer Art Zwang oder mindestens Druck geschieht. Unwillkürlich balle ich meine Hände zu Fäusten, so wütend macht mich dieses Spektakel.

Ich ringe mit mir. Alles in mir sträubt sich dagegen, dieses Spiel mitzuspielen, und doch weiß ich, dass Kaida recht hat. Wir sollten uns anpassen, nicht auffallen, so gut es geht mitspielen. Doch gleichzeitig habe ich das Gefühl, bereits jetzt schon keine Chance mehr zu haben, wenn ich mir ansehe, was für Geschütze so manch andere Frau auffährt.

Unbewusst halte ich Ausschau nach Kael. Ein kleiner Teil in mir hofft, dass er es nach seiner Flucht irgendwie wieder aufs Fest geschafft hat, aber ich finde ihn nicht. Natürlich nicht. Und es ist auch albern. Niemand wird kommen und mich hier herausholen, ich muss mir selbst helfen. Ich bin auf mich allein gestellt.

Ein kurzer hoffnungsvoller Blick zurück in Richtung Bühne zeigt mir, dass die Wachmänner vor dem verborgenen Ausgang nicht verschwunden sind. Im Gegenteil, es sind noch mehr geworden. Ich seufze, wende mich ab und bahne mir einen Weg durch die Massen.

Im Augenwinkel sehe ich Kaida, die mit einem großen, muskulösen Mann mit Glatze tanzt. Eine dunkelgrüne Maske bedeckt seine obere Gesichtshälfte. Auch Lu und Elysia haben männliche Begleitung gefunden. Lu tanzt mit einem kleinen, stämmigen Mann, dessen Gesicht komplett hinter einer schlichten weißen Maske verborgen liegt, während Elysia an einem der Tische sitzt und sich angeregt mit ihrem neuen Bekannten unterhält, der lediglich ein dünnes schwarzes Band mit feinen Schlitzen über seine Augen gezogen hat.

Schließlich gebe ich mir einen Schubs und stürze mich ins Getümmel – allerdings mehr als unmotiviert.

Ich schiebe mich durch die Menschenmassen und sehe mich um. Das Gute ist, da es weit mehr Männer als Frauen hier gibt, ist die Auswahl groß. Jetzt muss ich nur noch über meinen Schatten springen und einen der Typen ansprechen. Ich überlege nicht lange und gehe auf den erstbesten Kerl zu, der mir ins Auge springt. Er sitzt allein an einem der Tische und nippt an einem Glas Wein. Über den Augen trägt er eine goldene Maske, die perfekt zu dem Goldbraun seiner kurzen Haare passt. Dazu trägt er einen weißen Anzug. Es ist schwer, das Alter der Männer zu schätzen, da man zu wenig von ihren Gesichtern sieht, aber ich nehme an, dass er nicht viel älter ist als ich. Dass er sich aus der ganzen Sache so ausklinkt, macht ihn mir fast ein wenig sympathisch. Andererseits kann er es sich im Gegensatz zu den Frauen natürlich auch leisten, sich auszuklinken – oder es sich gemütlich zu machen und abzuwarten.

Während ich auf ihn zugehe, nehme ich mir fest vor, das Ganze irgendwie über die Bühne zu bringen, ohne mich dabei selbst verraten zu müssen oder meinen Stolz zu verlieren. Vielleicht haben wir Zeitdruck, aber ich werde mich ganz sicher niemandem an den Hals werfen, mich verstellen oder mir nach zwei Sätzen eine Zunge in den Hals stecken lassen. Ich werde mich zu ihm setzen, ein Gespräch mit ihm anfangen. Vielleicht kann ich ihm ein wenig von meinem Leben in Tremoris erzählen, vielleicht interessiert ihn das. Ich nehme an, dass Tremoris für die Bewohner Celestrias genauso fremd und spannend sein muss, wie es andersherum der Fall ist. Und vielleicht kann er mir von sich und seinem Leben in Celestria erzählen. Wir werden uns kennenlernen, so gut es uns in der kurzen Zeit möglich ist, und ich werde auf Sympathie und Freundschaft setzen, nicht auf Äußerlichkeiten. Möglicherweise wird es ja sogar ganz nett, sich ein wenig zu unterhalten und etwas mehr über die Gläserne Stadt zu erfahren.

Ich bleibe vor dem Tisch stehen und öffne den Mund, doch noch bevor ich den Satz sagen kann, den ich mir vorher zurechtgelegt habe, kommt mir der Kerl zuvor.

„Vergiss es", sagt er nur, während er mich von Kopf bis Fuß mustert. Seine Stimme klingt träge, schleppend, und ein harter Zug spielt um seinen Mund, während er spricht.

„Wie ... wie bitte?", frage ich verdattert.

„Nix für Ungut, aber du bist nicht mein Fall", sagt er. „Sorry, aber was ist das für ein Kleid? Hast du das aus dem Müll gefischt? Und überhaupt, ich stehe nicht auf Seniorinnen."

Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. „Ich bin neunzehn", bringe ich nur irritiert hervor. Ich weiß, dass ich mich nicht rechtfertigen muss, aber angesichts dieser Unverschämtheit bleiben mir sämtliche bissige Erwiderungen im Hals stecken.

„Ach ja?" Erneut mustert er mich, dann deutet er auf meine Haare. „Bei uns haben nur Senioren weißes Haar", informiert er mich. „Vielleicht solltest du es mal mit Farbe probieren, sieht nämlich echt scheiße aus. Und nun mach'n Abflug."

Einen kurzen Augenblick noch starre ich ihn an. Dann mache ich auf dem Absatz kehrt und bahne mir einen Weg zurück auf die andere Seite der Tanzfläche, dorthin, wo sich der geheime Ausgang befindet – und von wo aus ich keinen Blick mehr auf dieses Arschloch habe.

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now