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Mit einem Schlag gehen im gesamten Saal sämtliche Lichter aus. Nicht so wie vorhin, als es lediglich abgedunkelt wurde und wir aber dennoch Schatten und Schemen erkennen konnten, sondern komplett. Alles ist stockfinster. Mein Herz hämmert wie verrückt. Um mich herum bricht Unruhe aus. Ich höre ängstliches Geflüster und Gemurmel, ein paar Frauen lachen, aber es klingt eher unsicher. Irgendjemand macht einen flachen Witz über die Stromrechnung.

„Sylva? Elysia?", sage ich in die Dunkelheit. Doch niemand reagiert, sie sind noch immer weg, zu weit, als dass sie mich hören könnten.

Ich versuche, mich langsam in die Richtung vorzubewegen, in der ich den geheimen Ausgang vermute, aber mit einem Mal verstärkt sich das Chaos. Die Leute geraten in Bewegung, und weil man nichts sieht, werde ich immer wieder angerempelt und geschubst.

„Hey, passt doch auf!", beschwere ich mich, aber das interessiert niemanden und mit einem Mal ist um mich herum die Hölle los. Alles rennt durcheinander, das Gemurmel schwillt an und wird zu ängstlichen Schreien. Mein Herz rast, Schweiß bildet sich auf meiner Stirn.

„Verdammt nochmal, beruhigt euch", rufe ich in die Finsternis, „bleibt einfach stehen, wo ihr seid! Ihr trampelt euch noch gegenseitig tot!"

In diesem Moment trifft mich ein so heftiger Stoß, dass ich fast zu Boden gehe. Ich habe jedoch Glück im Unglück und lande mit dem Oberkörper auf einem Tisch. Ein lautes Klirren ertönt, als ich Gläser und Teller dabei zu Boden stoße.

Die Menge kennt jetzt kein Halten mehr. Alles scheint in eine Richtung zu strömen. Die Schreie werden lauter, klingen jetzt nicht mehr ängstlich, sondern regelrecht panisch. Ich rapple mich wieder auf und klammere mich mit den Händen an der Tischkante fest. Ich muss etwas tun, jetzt, sonst bringen die Leute sich wirklich noch gegenseitig um. Gerade will ich meine Flamme heraufbeschwören, um wieder Licht in den Saal zu bringen, da trifft mich ein so heftiger Stoß in den Rücken, dass ich erneut stürze. Diesmal allerdings mit so viel Wucht, dass der kleine Tisch es nicht schafft, mich zu halten. Ich stürze in hohem Bogen darüber und reiße ihn dabei mit mir.

Schmerzhaft komme ich auf dem Boden auf und der Tisch landet auf mir, wobei ich seine Kante gegen die Schläfe bekomme. Ich schnappe nach Luft und für einen kurzen Augenblick sehe ich Sterne in der Dunkelheit tanzen.

Ich rapple mich schließlich wieder auf und rutsche mit dem Hintern ganz nach hinten, bis ich die Wand im Rücken spüre, raus aus dem Chaos. Den Tisch ziehe ich dabei mit mir wie einen schützenden Schild, die Beine winkle ich an. Dann erst habe ich genug Kraft, um es anzugehen. Ich brauche mehrere Versuche, bis ich es schaffe. Aber dann endlich schwebt die kleine Flamme in der Luft über mir. Mein Kopf dröhnt und es kostet mich enorme Anstrengung, aber ich lasse sie nach ganz oben schweben, von wo aus sie den kompletten Saal schwach erleuchten kann.

Ich stehe auf und blicke mich um. Was sich mir bietet, ist ein Bild der Zerstörung. Sämtliche Tische und Stühle wurden umgeworfen, mehrere Frauen liegen am Boden und krümmen sich vor Schmerz, weil sie offensichtlich umgerannt worden sind. Ein paar andere kauern in irgendwelchen Ecken, andere stehen mitten im Saal und richten ihren Blick nun staunend nach oben. Immerhin, auf den ersten Blick kann ich keine Schwerverletzten entdecken.

Ich stelle jedoch fest, dass die Männer alle verschwunden sind. Automatisch fliegt mein Blick nach vorne zur Bühne, doch auch die ganzen Wachmänner sind weg. Nur noch wir Frauen sind im Saal.

Ein ungutes Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, während ich ein paar Schritte in den Raum hineingehe und den Blick schweifen lasse, auf der Suche nach meinen neuen Freundinnen. Kaida und Lu kann ich nirgends entdecken, aber Elysia steht mitten auf der Tanzfläche und sieht über alle Maßen verstört aus – verständlich. Auch Sylva sehe ich, sie sitzt in einer Ecke am Boden und hält sich ihr offensichtlich verletztes Knie, blanke Wut spiegelt sich in ihrem Gesicht.

Allgemein kommt es mir so vor, als wären es weniger Frauen als zu Beginn. Dann fällt es mir wie Schuppen vor die Augen: Offensichtlich sind nur noch diejenigen im Saal, die keinen Schlüssel bekommen haben.

Was zur Hölle geht hier vor sich?

Das Licht flackert gefährlich und sofort sehe ich nach oben, um den Blickkontakt wieder zu halten. Es kostet mich enorme Anstrengung, vor allem, wenn ich die Flamme nicht die ganze Zeit im Fokus habe, und ich kann erkennen, dass sie bereits kleiner geworden ist und kurz davor ist, zu erlöschen.

Im nächsten Augenblick jedoch brauche ich sie gar nicht mehr, denn die Digitalanzeige über der Bühne ist wieder angesprungen und taucht den Saal in grünliches Zwielicht. Dieses Mal zeigt sie keinen Countdown an, sondern eine Uhrzeit: 23.59 Uhr.

Ich überlege nicht mehr lange.

„Kommt mit!", rufe ich in den Saal. Jetzt, wo all die anderen Menschen weg sind und es so still ist, hallt meine zitternde Stimme merkwürdig laut und dumpf von den Wänden wider. „Folgt mir, ich weiß, wo es rausgeht!"

Ich stürme vor zur Bühne, wo die versteckte Tür ist, die Kael mir vor einer halben Ewigkeit gezeigt hat. Nun, wo all die Wachleute weg sind, kommen wir durch sie vielleicht nach draußen.

Niemand folgt mir, aber ich hoffe, dass sie es kapieren, wenn ich durch die Plattform einmal verschwunden bin. Als ich die Tür jedoch erreicht habe und an der Klinke ziehe, möchte ich in Tränen ausbrechen. Sie ist abgeschlossen.

Und im selben Moment springt die Digitalanzeige der Uhr auf Mitternacht.

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now