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In einem ersten Impuls möchte ich ablehnen. Nicht, weil mir der Mann unsympathisch wäre – das kann ich nicht beurteilen, wenn ich ihn nicht richtig sehe –, sondern weil da immer noch dieser Teil in mir steckt, der voller Misstrauen und Widerstand ist. Ich rufe mich jedoch zur Vernunft. Der Ball hat gerade erst begonnen, die nächsten sechs Stunden muss ich durchhalten. Ich kann diese Zeit nun entweder schmollend an einem der Tische verbringen, oder versuchen, Spaß zu haben und etwas herauszufinden – was ungleich einfacher sein wird, wenn ich jemanden aus Celestria bei mir habe, den ich ausfragen kann. Hinzu kommt, dass ich mich unauffällig verhalten sollte. Nicht jeder muss mir wie Kaida direkt an der Nasenspitze ansehen können, dass ich dem ganzen Theater extrem skeptisch gegenüberstehe.

Deswegen erhebe ich mich und nicke. Allerdings schaffe ich es nicht, zu lächeln. Zu viele Zweifel toben in meiner Brust.

Der Fremde führt mich zur Tanzfläche. Er legt seine rechte Hand an meinen oberen Rücken, sein Daumen berührt dabei die nackte Haut an meinem Schulterblatt, dort wo der Stoff des Kleides endet. Seine Hand ist warm, trotzdem breitet sich bei der Berührung eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen aus. Mit der anderen Hand greift er nach meiner, und nur Sekunden später drehen wir uns über die Tanzfläche, scheinbar fröhlich und losgelöst wie all die anderen. Nur ich selbst weiß, welcher Sturm in meinem Inneren tobt.

Ich muss zugeben, dass der Tanz schön ist. Der Fremde weiß, was er tut, seine Bewegungen sind elegant und flüssig, er führt geübt und sicher. Der Druck seiner Finger ist angenehm, genau richtig. Außerdem muss ich feststellen, dass auch sein Anblick nicht gerade unerfreulich ist, obwohl ich nur die Hälfte seines Gesichts erkennen kann. Der Blick aus seinen dunklen Augen ist wach und klug, ich erkenne lange Wimpern und schön geschwungene Brauen, und auch was ich vom Rest sehen und erahnen kann, lässt auf einen attraktiven Mann schließen. Außerdem zeichnen sich beachtliche Muskeln unter seinem Hemd ab, die auf eine gewisse Sportlichkeit hindeuten.

Trotzdem kann ich die Situation nicht richtig genießen. Alles in mir ist in Alarmbereitschaft, dabei kann ich nicht genau sagen, wieso.

„Wie heißt du?", fragt der Fremde und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Seine Stimme ist tief und warm, angenehm.

„Cinna", sage ich. „Und du?"

„Kael."

Die Musik setzt zu einer Ballade an und unsere Bewegungen werden langsamer, was mir hilft, mich mehr auf Kael und das Gespräch zu konzentrieren. Ich muss diese Chance nutzen, solange ich sie habe. Es wird das einzige Mal sein, dass ich hier oben bin, das weiß ich. Wenn ich jemals eine Möglichkeit habe, herauszufinden, was mit meinem Vater geschehen ist, dann jetzt. Dann hier.

„Warum tragt ihr Masken?", frage ich geradeheraus.

Kael zuckt die Achseln. „So ist die Tradition", sagt er, und lässt mich eine Drehung vollführen. Dann zieht er mich zu sich heran, so nah an seine Brust, dass mir sein Duft in die Nase steigt, dunkle, holzige Noten, die ich nicht kenne, gepaart mit frischer Seife. Mein Herz schlägt schneller. „Aber die Masken haben einen Vorteil. Wer unerkannt bleibt, hat es nicht so schwer damit, verbotene Dinge zu tun."

Er grinst, während er mich wieder loslässt, und ein feines Grübchen bildet sich dabei auf seiner Wange, direkt dort, wo die Maske beginnt. Ich runzle die Stirn und frage mich, was er mir damit sagen will. Ist das ein billiger Anmachversuch oder steckt mehr dahinter?

„Und es ist leichter für den Prinzen", erklärt Kael, während wir uns nun wieder sanfter zur Musik wiegen. Sein Blick bohrt sich in meinen und ich werde das Gefühl nicht los, dass mehr hinter seinen Worten steckt, dass er sie genau abwägt – dass er mit seinem Blick versucht, mir etwas mitzuteilen. Für einen kurzen Augenblick bringt er mich damit vollkommen aus dem Konzept, doch dann spricht er auch schon weiter. „Er mischt sich verkleidet unter das Volk und kann sich seine zukünftige Braut ansehen, ohne dabei erkannt zu werden."

Täusche ich mich, oder schwingt Abscheu in seiner Stimme?

„Dann stimmt es also?", hake ich nach, während wir weiter unsere langsamen Runden über das Parkett drehen. „Was unter den Frauen geredet wird, es gibt einen Prinzen hier? Und der sucht sich heute Abend eine Partnerin?"

Kael nickt, dann schüttelt er den Kopf. Seine Augen verfinstern sich dabei. „So ähnlich", murmelt er.

Bevor ich länger darüber nachdenken kann, wechselt er das Thema. „Warum hast du dich beworben? Was weißt du über den Ball?"

Die Musik setzt zu einem schnelleren Lied an und die Tanzenden um uns herum beginnen zu hüpfen und wild umherzuwirbeln, ausgelassenes Gelächter dringt an mein Ohr, doch der Fremde und ich tanzen noch immer langsam, konzentriert auf unser Gespräch.

„Ich habe mich nicht beworben", platzt es aus mir heraus, bevor ich noch länger nachdenken kann. Kaels Gesichtsausdruck unter der Maske ist schwer zu deuten und sofort ärgere ich mich über meine unbedachten Worte und versuche, sie abzuschwächen. „Ich meine ... es war eher Zufall."

Einen kurzen Augenblick lang sagt er nichts, dann: „Verstehe."

„Und über den Ball weiß ich ... nun ja, das, was alle wissen, nehme ich an. Dass es ein großes Glück ist, daran teilzunehmen, dass nur wenige die Chance dazu bekommen und dass sie einmalig ist ..."

Er stößt ein kurzes, doch humorloses Lachen aus. „Einmalig", stößt er hervor. „Das ist gut, wirklich gut."

„Stimmt es etwa nicht?" Ein wenig beleidigt es mich, dass er mich so unverhohlen auslacht. Woher soll ich denn wissen, was auf dem Ball passiert, wenn niemand offen mit uns spricht? Ich kann nur das wissen, was uns in Tremoris, von Dianne, Lucien und Isadora erzählt wurde, oder? Mich nun fühlen zu lassen, als wäre ich ein dummes Kind, ist nicht nur unverschämt, sondern auch unfair. Unwillkürlich recke ich das Kinn.

„Doch, es stimmt", sagt er. „Entschuldige. Es ist nur ..." Er sieht sich nach links und nach rechts um, als hätte er Angst, dass uns jemand beobachtet oder belauscht. Dann zieht er mich näher zu sich heran, ganz nah an seine Brust. „Hör zu, ich kann hier nicht offen reden", raunt er in mein Ohr. Sein warmer Atem streift meinen Nacken und mein Herz rast, doch das hängt eher mit den Worten zusammen, die seinen Mund verlassen: „Du bist in großer Gefahr, Cinna. Ihr alle seid das."

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now