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Am Abend erwartet mich eine unangenehme Überraschung. Ich weiß nicht genau, was es ist, möglicherweise habe ich mir den Magen verdorben, vielleicht habe ich mir auch einen Virus eingefangen – jedenfalls schaffe ich es vor dem Abendessen gerade noch ins Bad, wo ich meinen Kopf über die Kloschüssel hänge und mich erbreche.

Ich schaffe es vorher nicht einmal mehr, die Tür zu schließen, und so dauert es nicht lange, bis Tristan vorsichtig um die Ecke linst und mir mitleidige Blicke zuwirft. Mein Mageninhalt ist bereits verschwunden, doch ich knie noch immer vor der Schüssel und fühle mich hundeelend.

„Bist du vielleicht schwanger?", fragt er zaghaft und ich verschlucke mich fast an meiner eigenen Spucke.

„Was? Wie kommst du denn darauf?" Mühsam hebe ich den Kopf und werfe ihm einen irritierten Blick zu. Er zuckt die Achseln.

„Galadrielle hat das gesagt."

„Deine Schwester hat gesagt, dass ich schwanger bin?"

„Nein, dass man sich oft übergeben muss, wenn man ein Baby bekommt."

Ich schüttle den Kopf. „Nein, ich bin nicht schwanger."

Ich sehe die Enttäuschung in seinem Blick. „Schade", sagt er und obwohl mir immer noch schlecht ist, muss ich lachen.

„Du findest das schade?"

„Ja, also ich hätte es irgendwie toll gefunden, noch einen Bruder oder eine Schwester zu kriegen", sagt er.

„Also erstens", erkläre ich ihm, „wärst du nicht der Bruder meines Kindes, sondern der Onkel. Zweitens braucht man zum Kinderkriegen einen Mann oder wenigstens einen Freund, und das habe ich nicht. Drittens –" Doch ich vergesse, was ich sagen wollte. Erneut schüttelt es mich und ich erbreche eine zweite Ladung in die Kloschüssel.

„Bei allen Tiefen", stöhne ich, „was ist denn da los?"

Tristan beobachtet mich interessiert. „Dein Gesicht ist ganz bleich."

„Das wundert mich nicht, so fühle ich mich auch."

Einen Moment später streckt Adira ihren Kopf herein. „Was ist los mit dir, Cinna? Bist du krank? Soll ich dich zum Arzt bringen?" Ihr Tonfall ist besorgt.

„Nein, kein Arzt", würge ich hervor. „Ich glaube, ich hab mir nur den Magen verdorben. Heute Nachmittag war ich mit Emeric bei diesem Imbiss im Schattenwald, ihr wisst schon, der, bei dem schon zweimal das Gesundheitsamt war, es ist ... ich hätte vermutlich nicht ..." Erneut schüttelt es mich. Adira wendet höflich den Blick ab, während Tristan einen Schritt näherkommt und fasziniert dabei zusieht, wie der Abyssal-Wrap vom Nachmittag in seinen halbverdauten Einzelteilen wieder aus mir herausschießt.

„Das war vermutlich nicht deine beste Idee", stimmt meine Stiefmutter mir trocken zu. „Ich koch dir einen Ingwertee, Liebes."

Ich gebe ein würgendes Geräusch von mir, das diesmal nichts mit dem Wrap und meiner Übelkeit zu hat; ich hasse Ingwertee. Adira grinst. „Das ist gut für den Magen und das weißt du, ich tue es nur zu deinem besten."

„Aber sicher doch", würge ich hervor. „Kein Wunder, dass Stiefmütter in den Geschichten immer die Bösen sind. Sadistin."

„Das habe ich gehört", ruft sie lachend, doch sie ist längst wieder in der Küche verschwunden. Kurz darauf höre ich auf dem Herd Wasser blubbern. Obwohl es mir so schlecht geht, fühle ich einen kurzen Moment Erleichterung. Adira sieht gut aus. Sie hat frische Sachen angezogen, ihr braunes Haar glänzt wieder und sie hat ein wenig Farbe im Gesicht. Dass sie sich in die Küche gestellt und etwas gekocht hat, ist schon einige Zeit her und obwohl es nur ein Tee ist, halte ich das für ein gutes Zeichen.

„Ich glaube, ich bleibe morgen zuhause", stöhne ich, mehr zu mir selbst als zu Tristan, der noch immer in der geöffneten Tür steht und mich interessiert beobachtet. Keine Sekunde später steht auch Galadrielle dort.

„Wie, du bleibst zuhause?", stößt sie entsetzt aus. Langsam bin ich ein wenig gereizt. Ich weiß, dass unser Schaustellerwagen verdammt klein und eigentlich nicht dafür geeignet ist, vier Menschen zu beherbergen, aber meine Güte, kann man hier nicht einmal in Ruhe kotzen?

„Ach, du redest wieder mit mir?", frage ich giftig. Eigentlich wollte ich das gar nicht sagen; die Übelkeit macht mich offensichtlich zickig. Dabei bin ich ja froh, wenn sie wieder mit mir spricht.

„Du kannst morgen nicht zuhause bleiben!", sagt sie nur.

„Ich hab dich auch lieb", stöhne ich, noch immer die Schüssel umklammernd.

„Im Ernst, du kannst dir doch nicht einfach freinehmen!", sagt sie. „Du weißt doch, meine Mutter ... Adira ... sie braucht ihre Medizin, und ... wir sind momentan auf dein Einkommen angewiesen." Sie verschränkt die Arme vor der Brust und funkelt mich an. In ihrem Blick flackert jedoch auch Unsicherheit.

Kurz stocke ich. Ich liebe Galadrielle, aber um ehrlich zu sein, hat sie sich noch nie besonders viele Sorgen um unsere finanzielle Situation oder die Erkrankung ihrer Mutter gemacht. Meine Schwester ist es gewöhnt, dass alles immer irgendwie funktioniert und dass die Dinge schon wieder irgendwie in Ordnung kommen. Bisher haben Adira und ich auch dafür gesorgt, dass das stimmt. Das Verschwinden meines Vaters hat Galadrielle natürlich auch getroffen, aber davon abgesehen, lief ihr Leben bisher ziemlich gut und behütet ab.

Du kannst dir ja auch einen Job suchen, denke ich mir. Immerhin bist du jetzt sechzehn.

Aber ich fühle mich zu schwach, um mich mit ihr herumzustreiten, außerdem bin ich froh, wenn das Kriegsbeil begraben wird. Deswegen spreche ich meine Gedanken nicht aus.

„Ich habe letzte Woche gut verdient", sage ich stattdessen, „es ist nicht schlimm, wenn ich mal eine Pause mache. Bitte geh und mach die Tür zu. Ich komm gleich wieder in die Küche, aber gerade brauche ich ein paar Minuten Ruhe, ja?"

Einen Augenblick bleibt sie noch stehen. Sie scheint mit sich zu ringen, will noch irgendwas sagen, tritt von einem Bein auf das andere. Dann jedoch scheint sie es sich anders zu überlegen und verlässt das Badezimmer. Keine Sekunde zu früh – kurz darauf übergebe ich mich erneut.

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now