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Verschwinden ist leichter gesagt als getan. Ich führe Kaida als erstes zur Bühne, immerhin weiß ich nun von dem geheimen Ausgang, den Kael mir gezeigt hat – doch wie zu erwarten war, stehen direkt an der Tür zwei bullige Securitys, an denen wir unmöglich ungesehen vorbeikommen.

„Die Tür, durch die wir am Anfang gekommen sind, ist abgesperrt", erzähle ich ihr. „Ich hab es vorhin gesehen."

„Dann lass uns die Spiegeltüren probieren", schlägt Kaida vor.

„Eine hab ich schon angetestet, die war ebenfalls abgeschlossen."

Sie nickt. „Ja, ich auch. Aber nicht alle, oder? Irgendwo muss es rausgehen, diese Wachleute müssen ja auch irgendwo rein und raus."

Ich gebe ihr recht. Während wir uns möglichst unauffällig an der Spiegelwand entlangschieben und die Türen testen, halte ich Ausschau nach Lu und Elysia, die ich gerne mitnehmen würde. Die Frage ist zwar, ob sie uns überhaupt folgen würden, doch ich bringe es nicht über mich, es nicht wenigstens zu versuchen. Leider kann ich sie jedoch im Halbdunkel nicht entdecken und nach einiger Zeit stellen wir auch fest, dass die Türen ebenfalls alle fest verschlossen sind.

„Das gibt's doch nicht!", stößt Kaida aus, als wir alle Türen ausprobiert und nun die Gewissheit haben. Sie lehnt sich gegen den Spiegel und wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Sperren die uns ernsthaft hier ein?"

Mein Herz klopft schneller. Der Gedanke daran, hier in diesem Saal tatsächlich eingesperrt zu sein, bereitet mir mehr Unbehagen, als ich dachte. Fieberhaft überlege ich, ob wir nicht irgendwas übersehen haben. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

„Die Toiletten!", stoße ich hervor. „Warst du schon auf dem Klo?"

Kaida schüttelt den Kopf.

„Lass uns mal nachsehen, vielleicht gibt's da ein Fenster!"



Auf der Toilette erwartet uns eine Überraschung: Lu und Elysia stehen vor einer breiten Spiegelfront am hinteren Ende des Raumes und richten sich kichernd und giggelnd ihre Frisuren.

„Ich wünschte, ich hätte ein Täschchen mitnehmen können", jammert Elysia.

„Warum, vermisst du deinen Schmusestern?", stichelt Lu.

Elysia boxt sie in die Seite. „Nein, du Nudel! Ich hätte gerne Make-up zum Auffrischen dabei, schau mal, alles ist verschmiert!"

„Ach was, du siehst super aus!", sagt Lu, schnappt sich ein Stück Klopapier und wischt damit in Elysias Gesicht herum. „Ein paar schwarze Streifen hast du da auf der Wange, die sind gleich weg."

In diesem Moment sehen sie mich und Kaida im Spiegel. Beide wirbeln zu uns herum. Ihre Wangen sind gerötet, die Augen leuchten. Sie sehen aus, als hätten sie die Zeit ihres Lebens.

„Cinna!", stößt Elysia aus und fällt mir um den Hals. Überrumpelt schlinge ich meine Arme um sie und halte sie, da sie gefährlich strauchelt und das Gleichgewicht zu verlieren scheint. Sie riecht nach süßlichem Parfüm – und sehr viel Rotwein.

„Ups", kichert sie. „Entschuldige. Hab ein bisschen zu tief ins Glas geschaut."

„Sie hat mit dem Prinzen getanzt!", schreit Lu. Viel zu laut, außerdem lallt sie; offensichtlich ist auch sie ordentlich betrunken. „Könnt ihr euch das vorstellen? Der Mitternachtsprinz!"

Elysia kichert. „Der ist süß, oder? Er war sooo höflich! Ich hätte mir echt denken können, dass es der Prinz war, aber natürlich habe ich es erst kapiert, als er auf der Bühne vorgestellt wurde, so ärgerlich. Ich hoffe, ich habe einen guten Eindruck hinterlassen! Und wer bist du eigentlich?" Ihr Blick fällt auf Kaida.

Die runzelt die Stirn. „Ihr zwei seht besser mal zu, dass ihr wieder nüchtern werdet, wir müssen abhauen. Los, klatscht euch ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht und dann helft uns, einen Ausweg aus dieser Hölle zu finden."

„Abhauen?" Elysia schiebt schmollend die Unterlippe vor und verschränkt die Arme vor der Brust, wobei sie wieder gefährlich ins Straucheln gerät und sich dann am Waschbecken festhalten muss. „Ich denke ja gar nicht dran! Wir haben sooo viel Spaß!"

„Ja", sagt Lu und tritt einen Schritt vor. „Wieso sollten wir abhauen? Wie kommt ihr denn auf sowas?" Sie wirkt immerhin noch ein bisschen nüchterner als ihre Freundin.

Kaida wirft mir einen fragenden Blick zu. Auch sie scheint an der Antwort interessiert, bisher habe ich ihr nämlich nicht von meiner Begegnung mit Kael erzählt. Also berichte im Schnelldurchlauf alles, was ich erlebt habe, beginnend bei dem Tanz bis hin zu den Schüssen und Kaels Flucht. Kaidas Augen werden bei meiner Erzählung immer größer, aber Elysia und Lu geben sich unbeeindruckt, bis ich zu der Stelle mit dem Labyrinth komme.

„Es gibt ein Heckenlabyrinth?", quietscht Elysia. Sie hüpft ein paar Mal auf und ab und klatscht in die Hände. „Wie aufregend! Das ist ja wie in einem Märchen!"

„Hast du nicht zugehört?", unterbricht Kaida scharf. „Der Kerl hat gesagt, dass wir in Gefahr sind!"

Lu winkt ab. „Das war bestimmt nur Show, Cinna", beruhigt sie mich. „Das Ganze hier ist ein riesen Spektakel, alles wird im Fernsehen übertragen, weißt du? Es ist das Ereignis des Jahres. Das waren wahrscheinlich Schauspieler, die dir ein bisschen Angst machen wollten, und du bist darauf reingefallen. Mach dir keine Sorgen, wir sind hier in Sicherheit."

Das sind wir nicht!, will ich schreien.

Aber mit einem Mal bin ich mir nicht mehr sicher. Haben die beiden vielleicht recht? Bin ich auf ein Schauspiel reingefallen, habe ich mich reinlegen und mir Angst machen lassen wie ein kleines Kind? Mit einem Mal fühle ich mich unglaublich müde. Ich will nur noch nach Hause. Alles hier strengt mich an.

„Ich glaube dem Fremden", sagt Kaida nun ruhig. „Alle Türen sind verschlossen, überall stehen Wachleute. Irgendwas ist hier im Gang, auch wenn ich nicht weiß, was. Wir sollten auf ihn hören und zusehen, dass wir uns aus dem Staub machen."

Elysia wendet sich demonstrativ ab, betrachtet ihr Spiegelbild und widmet sich wieder ihren Haaren. „Das ist Unsinn, ihr zwei. Wenn ihr euch Angst machen und den Spaß verderben lassen wollt, dann nur zu. Wir bleiben jedenfalls hier." Sie wirft einen Blick auf ihr Handgelenk und erst jetzt registriere ich, dass sie eine Uhr trägt. „Es ist eh gleich elf. Jetzt findet dann bald das große Spiel statt und in einer Stunde ist der Ball sowieso beendet. Diese eine Stunde werdet ihr ja wohl noch durchhalten, ohne euch ins Kleid zu machen. Komm, Lu. Lass uns tanzen gehen."

Sie packt Lu an der Hand, die uns einen leicht mitleidigen Blick zuwirft, und die beiden gehen zur Tür. Dort angekommen dreht sich Elysia noch einmal zu uns um. Sie lächelt. „Hör zu, Cinna. Ich finde dich echt nett, aber mir ist vorhin schon aufgefallen, dass du zu verkopft bist und dir zu viele Sorgen machst. Versuch einfach mal, dich auf das alles einzulassen. Das Ganze hier kann einen riesigen Spaß machen, wenn man nicht an jeder Ecke Gefahren und Verschwörungen riecht, weißt du? Das ist ein einmaliges Ding, davon wirst du deinen Enkelkindern noch erzählen. Genieß es doch einfach! Wir sehen uns später."

Sie zwinkert uns zu und die beiden verlassen die Toilette. Kaida wirft mir einen ratlosen Blick zu, dann zuckt sie die Achseln. „Das hat ja nicht besonders gut funktioniert", seufzt sie. „Hoffen wir, dass die beiden recht haben."

Keine Sorge, wir sind hier in Sicherheit.

„Das hoffe ich wirklich", presse ich hervor. „Denn hier gibt es keine Fenster."

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now