KAPITEL 27

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KAPITEL 27


ERLING.


Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Position verblieben sind. Irgendwann merke ich jedoch, dass ihr weinen aufgehört hat und ihr Brustkorb sich regelmäßig hebt und senkt. Vorsichtig bewege ich mich so, um sehen zu können, ob sie noch wach ist.
Ich sehe ihre geschlossenen Augen und ihre getrockneten Tränen auf ihren Wangen.
Ich seufze leise bei diesem Anblick.

So vorsichtig wie es nur geht, erhebe ich mich von der Couch, aber stütze dabei ihren Kopf weiterhin.
Dann umfasse ich mit meinen nackten Armen ihre Taille und Beine und nehme sie hoch.
Wie durch Zauberhand schmiegt sie sich an meine Brust und atmet ruhig weiter.
Bei dem Anblick kann ich nicht anders als zu lächeln, trotz der schrecklichen Situation.
Während ich sie die Treppe hochtrage, merke ich wie meine Brust stark zieht.
Ich unterdrücke den Schmerz und bringe sie nach oben in mein Zimmer.
Dort lege ich sie sanft auf meinem Bett ab und breite meine Decke über ihrem Körper aus.
Sofort kuschelt sie sich in den Stoff und schläft weiter.
Ich lächle sanft bevor mich die Realität wieder packt.
Der einzige Grund wieso sie wieder hier bei mir ist, ist meine Vergangenheit - meine Fehler.
Sie musste für meine Fehler büßen und das werde ich mir niemals verzeihen. Ich werde mir niemals verzeihen, dass die Menschen aus meiner Vergangenheit sie angegriffen und verletzt haben. Und darüber nachzudenken, dass noch viel schlimmeres hätte passieren können, ist für mich wie Folter.
Madelyn wollte mich nie wieder sehen. Ich bin mir sicher, dass sich nicht viel bei dieser Meinung getan hat - verständlicherweise.
Sie ist einfach nur verängstigt, verletzt und braucht jemanden.
Jemanden und nicht mich.

*



Ich habe es mir im Zimmer gegenüber gemütlich gemacht, was eigentlich als Gästezimmer Dient. Ich wollte ihr den Freiraum lassen und sie auf keinen Fall bedrängen.
Vor allem jetzt wo sie weiß was ich alles schreckliche getan habe, ist wahrscheinlich das letzte was sie will, ein Bett mit mir zu teilen.
Und wenn ich ehrlich bin, will ich das gerade genauso wenig. Ich weiß immer noch nicht, inwiefern ich mich unter Kontrolle haben kann.
Die letzten Tage vor unserem Streit, haben wir uns regelmäßig gesehen, Spaß gehabt und ich musste nicht jeden Tag an mein verkorkstes Leben denken, aber wir wissen alle gut genug, dass es dieses Leben gibt.
Das wird es immer geben.

*

"Nein. Nein - Erling - Hilfe."
Schreie reißen mich aus meinem Schlaf. Sofort springe ich auf und stürme aus dem Zimmer direkt in mein eigentliches Zimmer, wo ich Madelyn im Bett hocken sehen. Sie sitzt an das Bett gelehnt und hat ihre Beine angewinkelt. Zitternd umfasst sie ihre Knie und weint stumm.
"Madelyn.", schlucke ich und laufe zu ihr zum Bett. Ich setze mich vorsichtig an die Bettseite und lege ihr meine Hand an den Oberarm.
Sie zuckt zusammen und sieht auf zu mir. Ich nehme sofort meine Hand von ihr und hebe meine Hände ergebend. "Tut mir leid.", schlucke ich.
Der Grund für ihre Angst zu sein, bringt mich um den Verstand.
Ihr laufen Tränen die Wange runter. "W-was - was hatte er mit mir vor?", fragt sie, sichtlich ängstlich vor der Antwort.
Ich schließe für einen Moment meine Augen.
Ich will gar nicht darüber nachdenken.
"Schreckliche - schreckliche Dinge."

"E-er hat gesagt, dass er das tun muss - dass du ihm keine a-andere Wahl gelassen h-hast."

Seufzend drehe ich meinen Kopf zu ihr.
"Es tut mir so leid, Madelyn. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen."

Sie schaut mich traurig an, dann greift sie sanft nach meiner Hand und hält sie fest. "Danke, Erling. Du hast mich gerettet."

"Nein.", sage ich und entziehe ihr schweren Herzens meine Hand und stehe auf. Verwirrt blickt sie hoch. "Nur wegen mir bist du in diese Situation gekommen. Ohne mich wäre das nie passiert."

Sie schluckt sichtlich. "Trotzdem, Erling. Es hätte dir auch egal sein können."

"Wie könnte es mir egal sein, wenn es um dich geht?", frage ich sie rein rhetorisch. Bei diesen Worten sieht sie mich leicht perplex an.
Sie steht zögernd auf und macht einen Schritt auf mich zu.
Ihre Augen sind müde und gerötet, doch strahlen immer noch heller als die Laternen draußen.
"Er hat gesagt, er nimmt dir das Wichtigste. In dem Moment habe ich es nicht verstanden, aber jetzt ...", sagt sie und sieht mich dabei in dem dunklen, bloß durch die Lichter von draußen, erhellten Zimmer an.
"Empfindest du etwas für mich?"

Ich spanne meinen Kiefer bei der Frage an.
Auf diese Frage gibt es bloß eine Antwort, aber diese Antwort kann so viel auslösen, so viel verändern.
"Erling?", haucht sie leise.
Ich sehe zu ihr hinab und spüre dieses dringende Bedürfnis, sie zu packen und zu küssen.
"Ja.", hauche ich leise.
"Was?", fragt sie.
Ich atme tief durch. "Natürlich empfinde ich was für dich. Ich liebe dich, Madelyn. Und hätte Eric das getan, was er vorgehabt hat, wäre ich durchgedreht und hätte ihn und alles in meinem Weg zur Tode geprügelt."
Sie sieht mich geschockt an. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Für einen Moment ist es still.
"Dann sag mir, dass das eine Lüge war. Sag mir, dass Eric gelogen hat und du seine Freundin nicht ... - dass du sie nicht missbraucht hast."
In ihrer Stimme höre ich Verzweiflung und ein klein wenig Hoffnung.
"Das kann ich nicht.", schäme ich mich innerlich für die Aussage.
Sie sieht mich wortlos an und dann rollt ihr eine Träne über die Wange.

"Ich verstehe das nicht ...", flüstert sie fast schon.
"Das - das hört sich nicht nach dir an. Das bist nicht du ...-"

"Du kennst mich nicht. Du kennst mein altes Ich nicht.", erkläre ich ihr frustriert.
"W-was soll das heißen? Bitte, hilf mir es zu verstehen."

"Es ist ne Menge, Madelyn. Das ist ne lange Geschichte."

"Ich bin bereit sie zu hören.", sagt sie sanft.
Überrascht sehe ich sie an.

Alle anderen wären weggerannt, hätten mich nie wieder bloß angesehen.
Sie nicht. Sie will hören, was ich zu sagen habe.

Sie nimmt meine Hand vorsichtig und zieht mich sanft mit sich zum Bett. Dort setzt sie sich an das Bettende und lehnt sich an die wand. Ich sitze neben ihr während sie weiterhin meine Hand hält.
Erwartungsvoll sieht sie mich an.

Ich atme tief durch.
"Bist du sicher, dass du das hören willst?"

Sie nickt. "Hundertprozentig." Sanft streichelt sie meinen Handrücken mit ihrem Daumen.
In meinem Körper spüre ich Schmetterlinge - bloß durch ihre Berührung.
Dann verändert sich aber alles in mir, als ich an die Zeit zurückdenke.
Jetzt oder nie.
Sie gibt mir die Chance zuzuhören, das sollte ich nutzen.
Egal was was für uns am Ende bedeuten wird.

HEART LIKE YOURS  - EIN HERZ WIE DEINES Where stories live. Discover now