06| lindgrün

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Genovefa

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Genovefa

Mechanik zog sich bis in alle Ewigkeit. Grau-en-voll. Absolut grässlich.

Ich hatte schlecht geschlafen und daran trug er die Schuld. Mit ziemlicher Sicherheit.

Seit er mit dem dämlichen Raumspray, das garantiert schon Abermillionen von Jahren alt war, und der Aspirin-Packung verschwunden war, hatte ich mir konstant die Frage gestellt, was er damit anfangen wollte. Deswegen war es in gewisser Weise seine Schuld, dass ich so gut wie nichts geschlafen hatte.

Verdammte Künstler.

Bevor ich mich wieder auf die Tafel konzentrieren konnte, auf der die mit Tafelkreide geschriebenen Zahlen und Wörter förmlich explodierten, rammte mir jemand unsanft den Ellbogen in die Seite.

Ich unterdrückte einen Fluch und wandte meine Aufmerksamkeit Saskia, meiner Sitznachbarin, zu. „Ausnahmsweise wollte ich mich einmal auf den Unterricht konzentrieren", beschwerte ich mich im Flüsterton bei ihr und hoffte, dass sich der Weichofen nicht umdrehen würde. In der ersten Reihe zu sitzen war nicht immer ein Premium-Angebot. Zumindest nicht, wenn es sich um Mechanik handelte.

Saskia verdrehte übertrieben die Augen. „Gen, es ist Montag in der Früh, ich kann dir versichern, dass die Hälfte der Klasse nicht aufpasst. Wahrscheinlich sogar noch mehr." Ihr Flüstern klang sogar lauter als ihre normale Stimme. Oder es kam nur mir so vor. Weichofen jedenfalls kritzelte munter weiter auf der Tafel herum. Vielleicht hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass irgendjemand aufpassen würde. Allerdings musste ich kein Mathelehrer sein, um ihm sagen zu können, dass die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse kontinuierlich sank.

„Mag schon sein, aber ich bräuchte eine gute Note in diesem Fach", entgegnete ich, die Tafel immer noch halb im Blick. Meine Entschlossenheit dieses Mal aufzupassen, war noch nicht gänzlich verschwunden.

„Mach dir keinen Stress, bis zum nächsten Test sind es noch locker drei Wochen", beschwichtigte mich Saskia und lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück. Wider Erwarten knarrte die hölzerne Lehne nicht einmal. „Was ich dich eigentlich fragen wollte, kommst du in der Pause mit zum Kakaoautomaten?"

Jetzt lag es an mir die Augen übertrieben zu verdrehen. Das war wieder einmal klar gewesen. Es drehte sich alles nur um diesen Kakaoautomaten. „Was findest du daran so super?", hakte ich nach, auch wenn ich nicht besonders scharf auf die Antwort war. Allerdings war das immer noch besser als sich wieder auf die Tafel zu fokussieren und zu bemerken, dass das alles keinen Sinn ergab. Meine Motivation hatte doch schneller ein Ende gefunden als gedacht. „Es ist einfach ein stinknormaler Kakaoautomat."

Saskia zuckte mit den Schultern. „Du hast es erfasst. Es ist ein gewöhnlicher Kakaoautomat. Aber das ist das Tolle daran. Kakao macht das Leben gleich viel besser. Vor allem wenn man nichts von allem versteht, das der Weichofen einem erklären will."

Zwar konnte ich immer noch nichts damit anfangen, aber das lag wohl einfach daran, dass ich Kakao nicht so vergötterte, wie praktisch jeder hier.

„Von mir aus, ich habe sowieso nichts Besseres zu tun. Und wenn du mich wieder alleine in der Klasse lässt, besteht die Chance, dass ich Paul wirklich eine kleben will", gab ich mich geschlagen, „und das will ich eigentlich vermeiden. Eine Betragensnote will ich mir doch lieber ersparen."

Saskia betrachtete mich irritiert und hob die perfekt gezupften Augenbrauen. „Ich verstehe nicht, was dich an Paul so aufregt. Klar, er ist nervig und unausstehlich, aber er ist trotzdem irgendwie hot." Als ob.

„Wer's glaubt wird selig", entgegnete ich. „Wenn ich mir noch einmal anhören muss, wie er davon schwärmt, wie ihm alle zu Füßen liegen, weil er so unglaublich krass ist, werde ich noch wahnsinnig."

Meine Sitznachbarin sieht mich verwundert an und dreht ihren Kopf dann wieder, um den Lehrer dabei zu beobachten, wie er die Tafel bis zu ihrem Limit ausnützt. Natürlich. Sie ist absolut in Ordnung, aber sobald es um Paul geht, lebt sie irgendwie in ihrer Fantasiewelt. Dabei sieht doch jeder mit gesundem Menschenverstand sofort, dass er ein Arschloch ist. Zumindest nachdem man ihn das erste Mal reden gehört hat, sollte diese Tatsache doch bewiesen sein. Aber gut, solange sie mich da nicht mitreinzog, konnte sie von mir aus ruhig denken, was sie wollte.

Das hieß also, dass ich doch einen Plan für die Pause hatte. Mit Saskia zum Automaten zu gehen. Wenn ich Glück hatte, konnte ich Seraphin noch irgendwo ausfindig machen. Er schuldete mir immer noch das Geld für die Packung Aspirin. Beim Raumspray konnte ich noch gnädig sein und darüber hinwegsehen, denn schließlich war er sowieso schon uralt gewesen. Aber das war's auch schon. Noch mehr würde ich ihm nicht entgegenkommen.

Ich konnte nur hoffen, dass er sein Versprechen halten würde. Denn wenn nicht, würde er Probleme bekommen. Zwar wusste ich noch nicht welche, aber ich konnte die verbleibende Zeit im Unterricht dafür nutzen mir Konsequenzen auszudenken. Das war mit großer Sicherheit besser als zu versuchen Mechanik zu verstehen. Was sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen war.


[782 Wörter]

Why not...Where stories live. Discover now