05| narzissengelb

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Seraphin

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Seraphin

„Ich habe gehört, dass die anderen gestern ziemlich gefeiert haben."

Müde unterdrückte ich ein Gähnen und drehte mich zu dem blondhaarigen Mädchen hinter mir in der Essensausgabe um. Für einen Moment fiel mir nicht einmal ihr Name ein und das, obwohl sie jeder kannte und auch jeder wusste, dass er sich vor ihr in Acht nehmen sollte. Immerhin war ihr Vater der Heimleiter und sie seine Informationsquelle. Etwas, das sie nicht unbedingt bei jedem beliebt machte.

„Wer hat dir das erzählt?", fragte ich und versuchte möglichst neutral auszusehen. Ihre Informationen waren schon richtig, dennoch sollten sie nicht die Runde machen. Nicht auszudenken was passieren würde, wenn es ihr Vater erfahren würde. Und sie würde uns mit Sicherheit bei ihrem Vater verpetzen, wenn sie auch nur irgendeine genauere Vorstellung hatte, was gestern los gewesen war.

Chiara verzog das Gesicht zu einem falschen Lächeln. „Also stimmt es."

Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es nur eine reine Vermutung war. Soweit ich es beurteilen konnte, wollte sie mich bloß aus der Reserve locken, um bestätigt zu bekommen, was sie wissen wollte. Nicht mit mir.

„Natürlich nicht", entgegnete ich möglichst gelassen und platzierte eine einsame Brotscheibe auf meinem Teller, „die anderen haben heute wichtige Überprüfungen." In diesem Fall konnte ich einfach nur hoffen, dass sie es mir abkaufen würde. Aber um es wirklich glaubhaft zu machen, musste ich mir wahrscheinlich mehr aus dem Ärmel ziehen als das.

Ihr skeptischer Blick, mit dem sie mich musterte, ließ mich vermuten, dass sie damit noch nicht zufrieden war. Was ich schon angenommen hatte. „Tobias hat es mir erzählt", stellte sie unbeeindruckt fest. „Anscheinend war es gestern noch ziemlich laut in eurem Zimmer und ich zweifle sehr daran, dass sie laute Musik abspielen würden, wenn sie heute wichtige Überprüfungen haben."

Tja, da kannte Chiara unser Zimmer und unsere Lernmethoden ziemlich schlecht. Auch wenn sie schon irgendwie recht hatte. Aber es war erleichternd zu wissen, dass sie ihre Vermutung auf der Basis dieser Informationen traf. Das machte mir die Sache wirklich einfacher, denn aus unserem Zimmer war die Musik nicht gekommen.

„Da muss sich Tobias aber gewaltig vertan haben", meinte ich nebenbei und machte mich daran mein Brot mit Butter zu bestreichen. Sie stellte ihr Tablett direkt neben meinem ab und begann Fruchtjoghurt leicht aggressiv in ihre Schale zu füllen. Chiara hasste es, wenn sie die falschen Infos bekommen hatte.

„Weshalb sollte er sich gewaltig vertan haben? Es wird wohl nicht so schwer sein zuzuordnen aus welchem Zimmer die Musik kommt", erwiderte sie patzig und kleckste etwas von dem Joghurt neben die Schale.

Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Wenn sie wüsste, dass Tobias gestern wahrscheinlich auch gefeiert hatte, und wahrscheinlich deswegen die Zimmer vertauscht hatte, dann wäre sie sich nicht mehr so sicher bei der Richtigkeit seiner Aussagen. Allerdings konnte ich ihr das schlecht unter die Nase reiben. Lieber erzählte ich ihr die schlichte Wahrheit. Eine ziemlich ungefährliche Taktik. „Wenn du es wirklich wissen willst, die Musik kam von den Berufsschülern neben uns. Wahrscheinlich hat Tobias die Zimmer verwechselt, das kann jedem einmal passieren."

Chiara hielt mitten in der Bewegung inne; der Schöpfer schwebte mitten über ihrer Schüssel. „War das nicht unglaublich störend für euch?", fragte sie mitfühlend. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ehrlich sie das meinte. Es konnte auch gut sein, dass es sich hierbei um eine Fangfrage handelte. Egal was es auch war, ich beschloss es einfach wahrheitsgemäß zu beantworten. Zumindest so gut es mir möglich war.

„Du hast recht. Es war unglaublich störend", empörte ich mich, auch wenn ich erst wieder ins Zimmer gekommen war, nachdem die Musik schon längst verstummt war. Aber manchmal musste man eben etwas in die Trickkiste greifen und Dinge so hindrehen, dass sie passend erschienen. „Valentin konnte sich schlussendlich gar nicht mehr konzentrieren und seine Kopfschmerzen sind dadurch auch nicht besser geworden. Beschweren wollten wir uns aber nicht, weil wir Angst hatten, dass dein Vater den Berufsschülern eher glauben würde als uns."

Ich war ziemlich zufrieden mit meiner Erklärung. Vor allem, weil die Halbwahrheiten einander relativ gut ergänzten. Es war nicht meine beste Ausrede, aber es war auch nicht gerade die schlechteste.

Sie reagierte wie erwartet darauf. Ihre Augen bekamen diesen besorgten Ausdruck, den sie nur bei einer ganz bestimmten Person aufsetzte. „Geht es Valentin inzwischen besser?" Das Grinsen, das sich schon auf mein Gesicht legen wollte, musste ich unterdrücken. Es war wieder einmal sonnenklar gewesen, dass sie auf die bloße Erwähnung von Valentin anspringen würde. Nicht umsonst wusste jeder, dass sie auf ihn stand. Und das Ganze hatte meine Ansammlung an Halbwahrheiten umso genialer gemacht.

„Er hatte glücklicherweise Tabletten gegen Kopfschmerzen zur Hand, danach war es erträglicher. Außerdem haben die Berufsschüler dann auch wieder aufgehört", beendete ich meine Erklärung und musste kurz schmunzeln. Wenn Chiara doch bloß wissen würde, was wirklich vorgefallen war.


[814 Wörter]

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