10| limettengrün

17 4 23
                                    


Seraphin

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Seraphin

Valentin war anstrengend.

„Ich sehe schon, wie das Leben an mir vorbeizieht." Seine Stimme klang theatralischer als sonst. Zum Glück musste ich mir die Vorstellung nicht auch noch anschauen. Hören reichte mir definitiv aus. „Das ist der einzige Tag, an dem ich mir wünschen würde, nicht zu existieren. Oh, grausames Schicksal."

Jemand polterte gewaltsam an die Badezimmertür und riss sie gleich danach auf. „Aus dem Weg, es handelt sich um einen dringenden Notfall. Ich will mich im Waschbecken ertränken."

Verdutzt trat ich einen Schritt vom Waschbecken zurück, ohne das ich den Wasserhahn abdrehen konnte. Wenn die innerliche Dramaqueen bei ihm zum Vorschein kam, konnte man nichts mehr machen, außer abwarten und hoffen.

„Was ist überhaupt los?", fragte ich ihn und musste mich sehr zurückhalten um nicht genervt zu klingen, als ich bemerkte, dass mein Handtuch schon wieder vom Handtuchhalter auf den Boden gefallen war. Blödes Stück.

„Familiendrama", antwortete er lapidar und beäugte den Wasserhahn, als würde er sofort ins Waschbecken springen und im Abfluss verschwinden wollen.

„Also als Fluchtmöglichkeit würde ich dir das Klo mehr ans Herz legen", stellte ich fest. „Oder du machst es auf die gute altmodische Art und benutzt die Tür."

Wie auf Kommando klopfte es auch schon an unsere Zimmertür und Valentin zuckte zusammen. „Das ist es", sagte er dramatisch, „mein Untergang."

Hatte ich schon erwähnt, dass er nervte und anstrengend war?

„Ich bezweifle ziemlich stark, dass dein Untergang einfach so an unsere Zimmertür klopfen wird", meinte ich kopfschüttelnd und überbrückte die kurze Entfernung zur Tür. Wahrscheinlich war es Simon, der wieder einmal seine Zimmerkarte vergessen hatte.

Als ich jedoch die Tür aufriss, blickt mir kein genervter Simon entgegen. Auch niemand sonst aus diesem Gang. Geschweige denn aus dem Internat.

„Danke fürs Aufmachen. Hat nicht einmal so lange gedauert, wie ich gedacht hatte", verkündete Genovefa und schob sich an mir vorbei ins Zimmer.

Ich blinzelte in der Annahme, dass sie eine Halluzination war. Denn wieso sollte sie auf einmal hier auftauchen? Aber trotzdem war sie nach wie vor mitten in unserem Vorraum, den Blick auf unser Badezimmer fokussiert. Oder viel mehr auf Valentin.

„Du kannst mich auf keinen Fall alleine lassen", bestimmte sie wild entschlossen und stapfte auf ihn zu. Er hob ergeben die Hände und lehnte sich gegen das Waschbecken. „Dann halt nicht."

Für einen kurzen Moment bildete ich mir ein so etwas wie Triumph in ihrem Gesicht aufblitzen zu sehen. Hilfesuchend sah ich zwischen Valentin und ihr hin und her, in der Hoffnung, dass das alles auf einmal Sinn ergeben würde.

„Irgendwann gewöhnst du dich noch daran", meldete sich Ethan zu Wort, der von seinem Sessel aufgestanden war und nähergeschlendert kam. Wahrscheinlich wollte er sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. „Ich konnte's am Anfang auch nicht wirklich glauben." Fragend sah ich ihn an, in der Hoffnung, dass er mir erklären würde, was er meinte. Seine dunklen Augen funkelten mich amüsiert an und er lehnte sich lässig gegen die Wand neben dem Badezimmer.

„Ich meine es ist schwer vorstellbar, dass sie verwandt sind. Sieh sie dir doch nur an. Valentin ist dieses unkontrollierbare Chaos und sie ist die Strategie in Person. Auch wenn beide ein unglaublich großes Mundwerk haben." Ethan sah mich erwartungsvoll an und grinste. „Hättest du dir wohl nicht ausmalen können. Aber ja, es ist schwer vorstellbar, das Valentin um ein paar Minuten älter ist."

Um überhaupt zu verstehen, was er mir soeben eröffnet hatte, ließ ich mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Wie hatte ich das nie mitbekommen? Wobei...

Noch einmal musterte ich Genovefa, wie sie Valentin beruhigend über den Rücken strich. Wenn ich sie noch einmal so ansah, fielen mir langsam immer mehr Ähnlichkeiten auf, die sie sich teilten. Die widerspenstigen Haare, auch wenn ihre rotbraun waren und seine eher von einem dunkleren Braun, dieser überlegene Blick und natürlich dieser amüsierte Zug um den Mundwinkel. Beide hatten diesen eigentümlichen Elan, auch wenn er sich bei beiden unterschiedlich zeigte. Und ihre Angewohnheit die Augen zu verdrehen war auch fast identisch.

Langsam begann ich mich zu fragen, weshalb ich es nie in Erwägung gezogen hatte. Weshalb ich das nicht wusste. Und weshalb mir die Ähnlichkeiten erst aufgefallen waren, als ich es gewusst hatte. Dafür konnte ich jetzt nicht mehr aufhören ihre Verhaltensweisen zu vergleichen und immer mehr Ähnlichkeiten zu erkennen.

Ethan schnippte mit dem Finger und ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn, bevor ich noch mit den Zwillingen überfordert war.

„Ist vielleicht nicht die einfachste Art der Offenbarung", meinte Ethan, „aber wahrscheinlich hättest du es so sowieso nie erfahren."

Empört sah ich ihn an. „Ich bin genauso sein Zimmernachbar wie du. Wieso darfst du es dann wissen und ich nicht?"

Er gab den Halt der Wand auf und trat näher an mich heran. „Nur weil ich es weiß, heißt das nicht, dass ich es auch wissen dürfte, wenn es nach ihm ginge. Ich weiß es nur, weil beide in meine Klasse gehen und das ziemlich offensichtlich war. Allerdings würde ich es mir nicht so sehr zu Herzen nehmen, wenn du es nicht von ihnen erfahren hast. Was auch immer mit ihrer Familie los ist, sie behalten das lieber für sich", raunte er mir zu und warf einen kurzen Blick auf die beiden, bevor er wieder einen Schritt zurücktrat.

Ich wusste nicht wirklich, was ich mit der neuen Information anfangen sollte. Wenn ich noch nicht so fasziniert von ihr gewesen wäre, hätte ich es wahrscheinlich einfach hingenommen und hätte das Zimmer verlassen, genauso wie es Ethan in diesem Moment tat. Was ich erfahren hatte, war aber nicht zufriedenstellend gewesen und deshalb blieb ich. Auch wenn ich sie nicht darauf ansprechen würde. Die Rolle als stiller Beobachter würde mir schon ausreichen.

„Wir ziehen das gemeinsam durch", verkündete Genovefa in diesem Moment und sah ihn aufmunternd an.

„Auch wenn ich ihr Geburtstagsgeschenk vergessen habe?"

Sie seufzte entnervt auf. „Vergessen oder absichtlich nicht gekauft? Ich tippe da eher auf zweiteres."

Valentin nickte zerknirscht. Diese Seite von ihm kannte ich nicht einmal. Schon erstaunlich was sie in dieser Hinsicht bei ihm bewirken konnte.

Ihr Blick fiel auf einmal auf mich und der Ausdruck, der in ihren Augen lag, gefiel mir ganz und gar nicht. „Wie wär's mit einem Ausflug auf eine Geburtstagsfeier?", fragte sie mich.

Valentin wechselte einen verwirrten Blick mit ihr, bis sich sein Gesicht aufhellte und er grinste. „Bitte sag ja", bat er mich fast schon flehend. „Ich habe keine Lust alleine dort zu sein."

Genovefa stieß ihn unsanft in die Rippen. „Und was ist mit mir? Bin ich etwa niemand?"


[1.085 Wörter]

Why not...Where stories live. Discover now