16| azurblau

8 2 11
                                    


Seraphin

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Seraphin

Ich war mir nicht sicher, ob ich schon bereit dafür war in eine Familiendiskussion mitreingezogen zu werden, als ich die hitzige Diskussion zwischen Genovefa und ihrer Mutter hörte. Denn eigentlich hatte mein Plan nur vorgesehen, mich langsam von dem zankenden Ehepaar loszueisen, und nicht geradewegs in ein anderes Familiendrama zu stolpern. Und, dass sie mich darin erwähnten, ließ die Sache nicht besser aussehen.

Allerdings hatte ich auch nicht wirklich große Lust wieder ins Wohnzimmer zurückzukehren. Auch wenn ich Valentin so alleine mit dem zänkischen Ehepaar ließ. Er würde schon klarkommen. Ganz sicher.

Am besten wäre es wahrscheinlich, wenn ich schnellstmöglich Deckung suchen würde. Bloß war dieses Haus nicht im Mindesten dafür geeignet. Wenn ich noch länger auf diesem gefliesten Boden herumstehen müsste, dann würden meine Füße abfrieren.

Suchend sah ich mich in meiner Umgebung um, und schloss die Tür zu meiner Linken einmal aus, da von dort Genovefas Stimme ertönte. Stören würde ich jetzt nicht. Auf der rechten Seite gab es aber auch nicht wirklich was Interessantes zu erkennen, denn dort wurden lediglich die Außenwände durch Glas ersetzt, sodass strahlender Sonnenschein den großen Eingangsbereich erhellte. Und geradeaus gab es nur die Kleiderhaken, und die Haustür und...eine Treppe, die nach oben führte. Wenn das nicht mal der perfekte Fluchtweg sein würde. Andererseits hatte ich keine Ahnung, was mich dort erwartete. Vielleicht wäre es doch klüger von mir, erst einmal im Eingangsbereich zu verweilen.

Bevor ich den Gedanken allerdings richtig zu Ende denken konnte, wurde die schlichte Holztür auf der linken Seite aufgerissen und ich konnte einen kurzen Einblick in das vollgestopfte Zimmer dahinter erhaschen. Genovefas Mutter stand mittendrinnen mit in die Hüfte gestemmten Armen und sah aus, als ob sie am liebsten gleich an die Decke gehen würde. Genovefa selbst, die soeben aus dem Zimmer stürmte, sah nicht besser aus. Sie schien mich nicht einmal zu bemerken, sondern rannte einfach schnurstracks die Treppe nach oben.

Was auch immer zwischen den beiden vorgefallen war, es war nichts Gutes.

Die Tür fiel wieder zurück ins Schloss und ließ ihre Mutter alleine mit dem ganzen Ramsch. Ich wollte wirklich nicht wissen, wie es diese Tante geschafft hatte, so viel davon anzuhäufen.

Aber vielleicht wäre es doch strategisch besser von mir, wenn ich mich wieder zurück ins Wohnzimmer begeben würde. Schließlich wollte ich nicht einer vor wutdampfenden Mutter begegnen und es war wahrscheinlich auch besser Genovefa alleine zu lassen. Außerdem, wie sollte ich ihr überhaupt helfen?

Als ihre Schritte auf der Treppe verklungen waren, und es soweit wieder still war, entschied ich mich doch nach ihr zu sehen.

Bevor ihre Mutter aus dem Zimmer herauskommen konnte, huschte ich zur Treppe und beäugte die hölzernen Stufen misstrauisch. Wer wusste schon, wie laut sie knarrten? Vorsichtig betrat ich die Treppe und die Stufen knarrten nahezu unhörbar. Zumindest etwas, das in diesem Haus einwandfrei zu funktionieren schien.

Die Stufen machten ihre erste Biegung nach rechts und ich wäre am liebsten wieder umgekehrt, als ich erkannte, dass sie sich einfach dort in der Ecke auf den Boden fallen gelassen hatte. Sie hatte sich zusammengekauert und den Kopf in ihren Händen vergraben.

Möglicherweise war das doch nicht meine beste Idee gewesen.

Als sie jedoch langsam ihren Kopf hob und mich mit einem mörderischen Blick ansah, wusste ich, dass es zu spät war um umzukehren.

„Was willst du?" Ihre Stimme klang rau und sie schien mich nicht einmal wirklich anzusehen. Stattdessen blickte sie neben mich und strich sich eine Strähne ihres widerspenstigen rotbraunen Haares aus dem Gesicht. Bei genauerem Hinsehen konnte ich feine Tränenspuren auf ihren Wangen ausmachen.

„Würde es dir was ausmachen, wenn ich dir Gesellschaft leisten würde?", fragte ich sie vorsichtig, ohne auf ihre Frage einzugehen. Schließlich wusste ich selber nicht genau, was ich eigentlich hier wollte.

Ihr Blick schwenkte zu mir und ihre graugrünen Augen sahen mich für einen Moment schweigend an, bevor sie mir antwortete. „Wie du willst. Was ich will, ist eigentlich egal", ihre Stimme brach für einen Moment und sie senkte den Blick, „das war es schon immer."

Ich näherte mich ihr langsam und ließ mich dann neben ihr, an der Wand entlang, zu Boden gleiten. Sie sah mich nicht an, sondern vergrub ihren Kopf wieder in ihren Händen. Ihr Körper zitterte leicht, als sie ihren Tränen freien Lauf ließ.

Wenn ich ehrlich mit mir war, dann hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte. Aber wenn wir schon dabei waren, vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn ich nicht mitgekommen wäre.

„Es ist nicht egal, was du willst", sagte ich in die Stille hinein, die nur hin und wieder von einem leisen Schluchzen ihrerseits durchbrochen wurde. „Es ist dein Leben und es sind deine Entscheidungen. Und die kann dir niemand nehmen, denn wer sollte schon für dich entscheiden, wenn es dein Leben ist? Niemand, denn niemand kann wissen, wie du ganz tief im Inneren tickst." Meine Stimme war zum Ende hin immer leiser geworden, meine Zweifel dafür immer größer. Vielleicht brauchte sie einfach Zeit alleine. Ohne jemandem, der lästig war und den sie sowieso nicht leiden konnte. Ohne mir.

Entgegen meinen Erwartungen hob sie ihren Kopf und sah mich an. Ihre graugrünen Augen waren gerötet und auf ihren Wangen waren die Tränenspuren deutlich sichtbar. „Trotzdem ist es jedem egal. Nur weil ich ein Mädchen bin, glaubt jeder sofort, dass ich in den Kunstzweig gehöre. Und ich habe das so satt. Ich werde wohl selber wissen, wo ich hingehöre." Sie klang verbittert, aber auch resigniert. Als hätte sie sich damit schon abgefunden.

Vorsichtig berührte ich sie an der Schulter. Sie wich nicht zurück.

„Vielleicht kann ich es nicht wirklich verstehen", fing ich an, und suchte nach den passenden Worten, „aber ich kann versuchen es zu verstehen." Mehr konnte ich ihr nicht versprechen.

Sie nickte zögernd, während sie ein Stück näher zu mir rutschte. Und dann umarmte ich sie. Ich wusste nicht einmal wieso, aber ich hatte das Gefühl, dass sie mich dafür nicht schlagen würde. Nicht jetzt.


Aber seltsam war es auf alle Fälle. Ich saß in einem fremden Treppenhaus neben dem Mädchen, das ich noch vor fast einer Woche um einen Gefallen gebeten hatte, und umarmte sie. Auch, wenn ich das niemals gedacht hätte. Aber das Schicksal ging verschlungene Wege.


[1009 Wörter]

Why not...Where stories live. Discover now