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Genovefa

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Genovefa

„Was wollte Mum eigentlich von dir?" Selbst durch die Telefonleitung konnte ich den besorgten Ton in Valentins Stimme heraushören. Es hatte mich schon gewundert, dass er mich nicht schon früher darauf angesprochen hatte.

„Das übliche", antwortete ich und versuchte die Erinnerungen an unseren Streit zu verdrängen. Wahrscheinlich war das einer der Gründe gewesen, warum unser Aufenthalt danach abrupt geendet hatte. Das und die Tatsache, dass Valentin wieder eingefallen war, dass er noch dringend etwas für die Schule erledigen musste. „Aber es war nicht wirklich schlimm."

Ich war mir nicht sicher, ob diese Worte als Lüge eingestuft werden konnten. Wenn ich jedoch weiter darüber nachdenken würde, würde ich nur wieder zu derselben Stelle gelangen. Zu dem Moment, als Seraphin mir erklärt hatte, was es wirklich bedeutete zu leben. Oder zu unserer Umarmung. Ich spürte wie meine Wangen heiß wurden und war froh, dass mich mein idiotischer Bruder nicht sehen konnte.

„Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?", hakte Valentin zweifelnd nach.

Ich murmelte zustimmend, während ich versuchte die Umarmung genauso zu verdrängen wie den ganzen erbärmlichen Rest. Aber es ging nicht. Er war netter, als ich erwartet hatte.

„Du kennst mich schlecht, wenn du denkst, dass ich so leicht unterzukriegen bin", fügte ich noch hinzu, um meine Worte überzeugender klingen zu lassen.

Für einen Moment herrschte Stille, dann hörte ich ihn leise seufzen. „Heißt das, dass ich dich umsonst angerufen habe?"

Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, während ich das Wasser aufsetzte und den Wasserkocher einschaltete. Das war mal wieder typisch Valentin.

„Nicht wirklich, schließlich weißt du genau, dass ich um diese Zeit längst nicht mehr schlafe. Immerhin habe ich einen längeren Fußweg wie du und ich muss mich noch um drei andere Quälgeister kümmern", entgegnete ich. „Außerdem ist es schön von dir zu hören, auch wenn wir uns in ein paar Stunden sowieso in der Klasse sehen."

Er seufzte erneut. „Dir ist schon klar, dass es extrem peinlich für mich ist, wenn ich um fünf Uhr morgens im Badezimmer bin, weil ich mit meiner Zwillingsschwester telefoniere?"

Ich schnaubte belustigt und wandte mich unseren Vorräten zu. Wenn ich Glück hatte würde das Müsli heute noch für die anderen reichen, dann konnte ich mir noch Butterbrote schmieren. „Wieso sollte es dir peinlich sein? Davon einmal abgesehen, dass du normalerweise nie so früh auf bist." Leider war im Kühlschrank nicht mehr genug Milch. Also würden die anderen auch das Brot brauchen.

„Um diese Zeit kann mich eh keiner sehen, weil die anderen noch schlafen, aber trotzdem. Es ist verdammt weird", beschwerte er sich.

Ich zuckte mit den Schultern. „Was ist heutzutage schon normal? Außerdem bist du generell weird. Falls es dir also um dein Image geht, da muss ich dich leider enttäuschen, der Zug ist schon lange abgefahren." Energisch stieß ich die Kühlschranktür wieder zu und holte mir die Kamillenteebeutel aus dem Schrank darüber. Sollte angeblich gut für die Nerven sein. Schaden konnte es wohl nicht, also hängte ich den Teebeutel in die gläserne Teekanne, die ich von zuhause mitgehen hatte lassen. Mutter würde sie ohnehin nicht vermissen.

„Gen", seine Stimme klang mahnend, aber gleichzeitig auch so, als könnte er sich nur schwer davon abhalten loszuprusten, „du hast mein Ego sehr stark beschädigt. Ich glaube das überlebe ich nicht." Er röchelte lebensbedrohlich.

„Hast du verdient", kommentierte ich nur und goss das, inzwischen heiße, Wasser in die Teekanne. „Manchmal benimmst du dich nämlich echt unerträglich."

Fast konnte ich mir vorstellen, wie er jetzt mit den Augen rollen und mich genervt ansehen würde, während ihm die nächste Bemerkung schon auf der Zunge lag. Dann sagte er allerdings etwas, das mich aus dem Konzept brachte. „Was ist das eigentlich zwischen dir und Seraphin?"

Hastig stellte ich den Wasserkocher wieder ab, aus lauter Angst den Rest des heißen Wassers zu verschütten. Was wollte er damit ausdrücken?

„Wie meinst du?", fragte ich und versuchte meine Stimme möglichst normal klingen zu lassen. Und dabei möglichst nicht an Seraphins Worte von gestern zu denken. Oder an seine Telefonnummer, als wir beschlossen hatten Nummern zu tauschen.

Für einen Moment herrschte Stille und ich konnte mir gut vorstellen, dass er überlegte, wie er das am besten in Worte fassen sollte.

„Du kannst Künstler normalerweise nicht leiden", rief er mir ins Gedächtnis. „Abgesehen davon interessiert es mich einfach, weil er mein Zimmernachbar ist."

Ein guter Einwand. Ein wirklich guter Einwand. Und einer, von dem ich keine Ahnung hatte, wie ich ihn erklären sollte. „Ich war ziemlich voreilig", sagte ich dann, „es ist unfair von mir Vorurteile gegenüber von Menschen zu haben, die ich nicht mal kenne. Und das habe ich eingesehen. Seraphin ist okay."

„Natürlich ist er das", meinte Valentin komplett ernst. „Er ist mein Zimmernachbar. Glaubst du etwa, dass ich mit lauter unsympathischen Menschen im Zimmer liege?" Ich konnte hören, dass er sich wirklich sehr bemühte nicht allzu laut zu reden, um die anderen nicht aufzuwecken. Tja, das Problem hatte ich nicht, denn meine Mitbewohner mussten sowieso ständig unsanft aus den Federn gerissen werden.

„Nun sagen wir es einmal so", antwortete ich gedehnt, „Ethan ist in Ordnung, aber auch nur ganz knapp. Und was Simon angeht, den kenne ich nicht mal."

In der Leitung herrschte wieder Stille, bis sich Valentin erneut zu Wort meldete: „Okay, gut. Aber ich kann dir versichern er ist auch nicht unsympathisch."

Ich zuckte mit den Schultern. Das würde ich schon noch herausfinden. „Wo wir schon von deinen Zimmerkollegen sprechen", wechselte ich gekonnt das Thema, „solltest du nicht langsam wieder ins Bett gehen? Ansonsten zahlt es sich gar nicht mehr aus weiterzuschlafen und du wirst unter entsetzlichem Schlafmangel leiden. Wie sonst auch."

„Dann eben nicht. Wir werden schon noch ausgiebig über das Thema meiner Wahl reden", kündigte er mir an und legte auf.

Immerhin war ich nun vorgewarnt. Also brauchte ich nur noch irgendeine halbwegs plausible Erklärung dafür, was das zwischen uns war. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer davon hatte.


[957 Wörter]


Why not...Where stories live. Discover now