Blonder Besuch

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„Nein, er war nicht im Unterricht", wiederholte Minerva ruhig. Sie saß in ihrem üblichen Stuhl im Büro des Direktors, neben ihr hatte Severus Platz genommen und auch Sybill und Hagrid waren da. Es ging - wieder ein Mal - um Harry Potter.

Minerva mochte den Jungen, aber manchmal regte er sie irgendwie auf. Er war wie sein Vater und schien Ärger magisch anzuziehen. Er war wirklich ein gutes Kind, aber manchmal schien ihm sein Ruhm doch zu Kopfe zu steigen. Heute zum Beispiel hatte er einfach geschwänzt! Ohne Grund oder sonst was! Nicht nur das, dazu kam noch, dass Albus das als Grund zu sehen schien, ihnen allen das Abendessen vorzuenthalten. Warum ließ er den Jungen nicht einfach einen Tag schmollen und nahm ihn sich dann am nächsten Tag zur Brust? Es ging sicher wieder um die leidige Angelegenheit, wo er die Ferien zu verbringen hatte, denn der Direktor hatte gesagt, dass er Harry gestern mitgeteilt habe, dass er zu Weihnachten zu seinen Verwandten zu gehen habe.

Albus schloss kurz die Augen. Er war stinksauer. Hatte er nicht klipp und klar zum Ausdruck gebracht, was den Bengel erwarten würde, wenn der sich nicht künftig an jedes verdammte Wort halten würde, was er sagen würde?! Na, wenn er den kleinen Bastard zwischen seine Finger bekommen würde, sollte der sich warm, sehr warm anziehen! Dann würde es Ärger setzen! Aber so richtig! Er sah zu Severus, der mit seiner üblichen, kalten Mine da saß. Was er dachte, war unmöglich auch nur zu erkennen. „Hast du ihn gesehen?"

„Nein", gab Severus nur knapp und eisig zurück. Oh, wie er diesen Mann hasste, der vor allen so tat als wäre er der wohlwollende Großvater, der nur das Beste für seine Schützlinge wollte. Von Wegen! Er selbst ertrug es immer weniger, seine Rolle zu spielen, aber er hielt eisern durch. Nicht für sich, sondern für das, an das er einmal geglaubt, für das er gekämpft hatte. Warum er es inzwischen machte, wusste er nicht. Vielleicht, damit es niemandem mehr so erging, wie ihm, seiner amaligen Geliebten und seinen Freunden.

„Wo bitte soll er sein?! Ich habe ihn überall gesucht, die Geister und Gemälde versuchen, ihn zu finden und niemand will ihn gesehen haben! Seit gestern Nachmittag!!"

Der Tränkemeister hob nur eine Augenbraue, der Ausbruch beeindruckte ihn nur wenig. Potter war so eine Sache. Er hasste den Jungen nicht, er hatte in dessen viertem Schuljahr begriffen, dass der Junge nur eine Maske trug, so, wie er auch und das der fröhliche, abenteuerlustige Junge, der das Ebenbild seines bekloppten Vaters war, nur eine Illusion war, die von allen erwartet wurde. Sein wahres Gesicht hatte Potter vermutlich nur ein Mal gezeigt, als er den Direktor angeschrien und ihm die Schuld an Blacks Tod gegeben hatte. Tscha - wenn der nur wirklich Geschichte sein würde....

„Irgendwo wird der Junge sicher sein", beruhigte Minerva ihren Vorgesetzten. Sie verstand nicht, was all das sollte, denn immerhin schwänzte immer mal wieder ein Kind für einen Tag den Unterricht. In der Regel wurde ein Auge zugedrückt. Allerdings beunruhigte es sie etwas, dass angeblich nicht mal die Geister ihn hatten finden können. Andererseits - wenn Harry wirklich nicht gefunden werden wollte, war es schon immer schwer gewesen, ihn wieder aufzuspüren. „Morgen ist er sicher wieder da."

‚Nicht, wenn er nur eine Spur Verstand besitzt', dachte Severus ruhig. ‚Wenn er eine Möglichkeit gefunden hat, dem Alten zu entkommen, sollte er bleiben, wo er ist und seinen Kopf nirgends mehr sehen lassen!' Der Tränkemeister massierte sich seine Nasenwurzel. Die Abwesenheit des Jungen befreite ihn von der Pflicht, ihn im Auge zu behalten. Denn das war wirklich anstrengend geworden. Dummerweise war Potter nicht so dumm, wie er immer tat. Im Gegenteil, manchmal hatte Severus den Bengel in der Bücherei gefunden, weit nach der Zeit, in der man auf dem Gang zu sein hatte, mit komplizierten Büchern auf dem Schoß und einem traurigen Blick, oft hatte er geweint. Nicht mal er hatte es dann über sich gebracht, Harry Punkte abzuziehen. Im Gegenteil, oft hatte er das irrwitzige Bedürfnis den Jungen zu trösten, mit aller Macht unterdrücken müssen.

Durch die ZeitenWhere stories live. Discover now