Schwimmen

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12.9.1003

Ich habe das Gefühl, man hat mir das Herz aus der Brust gerissen. Ich kann, ich will es nicht glauben. Es ist wie ein Alptraum, aus dem ich nicht mehr aufwachen kann. Es ist, als hätte sich unter meinen Füßen ein schwarzes Loch gebildet und ich kann nichts tun, als zu fallen, in eine hoffnungslose Tiefe.
Ich habe Angst.

Angst um Ihn. So lange habe ich versucht, mir einzureden, dass alles vielleicht doch ein Irrtum ist, aber heut hat Helga das Gegenteil bestätigt. Sie hat fast ein Jahr gebraucht, um herauszufinden, was er hat. Es war keine Erkältung. Es war keine kleine Krankheit. Godric ist sterbenskrank und es gibt keine Heilung. Godric leidet daran, dass sein Körper seine Magie abstößt, langsam, aber sicher. Er hat vielleicht noch drei Jahre, meint Helga, aber dann wird er unter Schmerzen sterben, denn wenn wir nicht genug Magie haben, hört unser Körper Stück für Stück auf, zu arbeiten.

Dabei sieht er nicht krank aus, aber auch das wird noch kommen, hat Helga gesagt. Dass er noch so normal wirkt, liegt daran, dass er einen so großen, magischen Kern hat. Er hat, als er davon erfahren hat, nur traurig gelächelt und mit etwas gesagt, was mich noch immer schockiert. Er meinte, es wäre traurig, früher habe er sterben wollen, um zu seiner Familie zurückkehren zu können und jetzt, wo er leben will, würde ihm sein alter Wunsch erfüllt.

Ich konnte nicht viel mehr tun, als ihn in die Arme zu nehmen und zu halten. Er hat nicht geweint, aber ich glaube, er hätte es am liebsten getan. Aber dann hat er sich zusammengerafft und nur gelächelt. Er war mal wieder stark für mich. Er hat gemeint, er habe schon immer gewusst, dass er relativ jung sterben würde und erst da habe ich etwas anderes erfahren - Ric sieht manchmal etwas in die Zukunft.

Er hat gelächelt und gemeint, dass alles vermutlich seinen Sinn hätte und das nichts einfach so geschieht. Er hat aber so traurig ausgesehen! Und... wie kann ich das? Wie kann ich weiter machen, wenn Ric weg ist? Er ist mein Leben! Er ist alles, was ich habe! Ich brauche ihn und seine Eigenarten!

Ich bin der Ordentliche, ich gehe nach ihm ins Bad und räume automatisch hinter ihm auf, er dagegen sorgt dafür, dass ich auch mal hinter meinen Kesseln hervor komme. Wir sind ein eingespieltes Team. Aber wenn einer von uns fehlt... wie soll der Andere dann weiter machen?!

Ich bin immer davon ausgegangen, dass wir gemeinsam alt werden und kurz nacheinander sterben, aber allein Godrics Blick, noch bevor ich von seiner Gabe wusste, sagt mit etwas anderes. Ich bin mir nicht sicher, es gibt keinen Weg, es nachzuweisen, eigentlich ist es auch kaum mehr, als eine Art Legende, die man kleinen Mädchen erzählt, aber ich glaube, dass wir zwei Teile einer Seele sind.

Die wenigen Märchen die es gibt, machen vor allem eines deutlich - wenn einer stirbt, kann der Andere nicht lange weiter leben und ich fühle, dass etwas daran wahr ist. Ich habe solche Angst, ich kann ihn nicht verlieren! Ich muss... ich muss einen Weg finden! Irgendwie! Ein Trank! Eine Heilung! Er will doch leben! Er will bei mir bleiben! Warum sollte er das dann nicht dürfen?! Wo ist da die Gerechtigkeit!? Wir haben doch noch so viele Pläne! Die neue Welt, die ich aufbauen will, erschaffe ich doch nur für ihn! Damit er sich nie, nie wieder einsam fühlen muss!



Tom lächelte, als er am nächsten Morgen erwachte. Er fühlte sich gut, so, wie früher. Nein, noch besser. Es war nicht etwas kleines, Schwarzes, das sich gegen ihn kuschelte, sondern es war ein Mensch, der perfekt in seine Arme zu passen schien. Zwar hatte Harry in der Nacht einen Alptraum gehabt, aber er hatte sich schnell beruhigt und schließlich weiter geschlafen, er schlief immer noch, vollkommen friedlich, halb auf ihm liegend, mit manchmal zuckenden Ohren. Sein Schwanz war einmal mehr um eines von Toms Beinen gewickelt.

Am Vortag hatte Tom noch schnell einige der Dokumente überarbeitet, wesentlich erfolgreicher, als er das die letzten Tage und Wochen getan hatte. Harry hatte in der Zeit still gelesen, ein Mal war er auch an ihn gelehnt eingedöst. Anschließend hatten sie zu Abend gegessen, zusammen, mit Sirius, Lupin und Greyback, was erstaunlich friedlich verlaufen war, abgesehen von einigen bösen Blicken.

Danach hatte Tom die Wunden des Jüngeren frisch versorgt, wobei die auf dem Bauch nur noch etwas rot war und auch die übel mitgenommenen Ohren waren bis auf zwei Stellen vollkommen verheilt gewesen. Also hatte er auf einen frischen Verband verzichtet. Harry war dann ins Bad gegangen und kurz danach wieder aufgetaucht, frisch geduscht und in einem drolligen Schlafanzug. Vollkommen erschlagen war er dann ins Bett gekrabbelt. Er würde wohl noch ein, zwei Wochen brauchen, um wieder ganz auf der Höhe zu sein. Auf jeden Fall hatte er sich sofort an den Älteren gekuschelt, als der schließlich auch gekommen war.

Bei der Erinnerung huschte ein Lächeln über Toms Gesicht. Er strich über die Haare des Jüngeren, dessen Kopf unter seinem Kinn lag. Noch wollte er ihn nicht wecken, aber in spätestens einer halben Stunde sollte er es tun. Dann war es Zeit zum Frühstück und anschließend musste er Lucius instruieren, wegen dem Ministerium. Der Mann sollte auch die wichtigsten Leute, so es nötig werden sollte, zu ihm hierher schicken, aber er würde Harry sicher für den Rest der Woche nicht allein lassen.

Und danach - er musste mit Severus reden, dass Harry morgens zum Unterricht erscheinen und dann wieder gehen würde und er musste mit dem Tränkemeister reden, dass der aufhören würde, dem Jungen so mitzuspielen. Das würde der, trotz seinem Versuch, es zu erklären, nicht wirklich lange aushalten. Harry war mitfühlend, er war jemand, der positive Emotionen um sich herum brauchte. Vor allem, da sie ihm offensichtlich so lange verweigert worden waren. Kurz ballte Tom seine Fäuste.

Das war noch so eine Sache. Er hatte es damals Shadow versprochen und jetzt, wo er wusste, wer dahinter stand, war sein Bedürfnis nach Rache noch wesentlich größer. Nein, nicht Rache, Gerechtigkeit! Dafür, dass man Harry die Kindheit genommen hatte! Name und Adresse hatte er gefunden. Doch er wollte noch warten. Er würde diese netten Leute holen, wenn Harry wieder im Unterricht war, so, dass der das nicht mitbekommen würde. Der Junge hatte so schon genug zu Verdauen, da brauchte er nicht auch noch das zu wissen. Veritasserum würde seine Aussagen auch unnötig machen und es würden ein paar vollkommen Irre aus dem Verkehr gezogen werden.


Hmmm, es war toll, aufzuwachen, stellte Harry fest. Zumindest, wenn man gehalten wurde. Er merkte, der Andere musste wach sein, da der ihn streichelte und es fühlte sich toll an. Er spürte, wie er schnurrte.

„Guten Morgen", lächelte Tom nur, als er merkte, wie der Andere aufwachte. Er drängte die dunklen Gedanken beiseite. „Gut geschlafen?"

„Ja", nuschelte Harry nur, ohne sich wirklich groß zu bewegen.

„Freut mich, dass ich ein gutes Kissen abgebe", lachte Tom nur und setzte sich etwas auf, hob das Kinn des Anderen an und küsste ihn erst mal. „So, wie wäre es, wenn wir uns anziehen dann zum Essen gehen? Ich bin mir sicher, dass Lucius auch wieder am Tisch schläft. Und ich habe nichts dagegen, wenn du ihn weiterhin beklaust..."

Harry lachte leise, nickte aber dann und richtete sich langsam und ein wenig unwillig auf. Es war so schön warm hier! Aber er konnte Tom schlecht den ganzen Tag in Beschlag nehmen! Der Mann hatte auch andere Dinge zu tun! Sicher musste er wieder arbeiten...

Tom lächelte nur und stand vorsichtig auf und half auch Harry aus dem Bett, gab ihm im Bad den Vortritt, während er schnell durchsah, was heute anstand - und einen Entschluss fasste. Die Arbeit würde schnell erledigt sein und anschließend würde er mit Harry etwas unternehmen. Und er hatte eine Idee. Fast jeder liebte Schwimmbäder und er wusste von einer tollen Freizeitanlage, zu der auch Draco immer gern mit seinen Freunden ging. Das würde Harry sicher gefallen.

Als der Jüngere wieder raus kam, verschwand Tom selbst im Bad, war aber sehr schnell wieder draußen. „So, fertig", lächelte er dann und griff nach Harrys Hand, brachte ihn runter in den großen Speisesaal. Remus, Sirius und Fenrir waren bereits wieder in Hogwarts und machten vermutlich gerade Severus das Leben sehr, sehr schwer, doch er war nicht bereit, dem Anderen in der Beziehung zu helfen. Severus hatte es sich mit seiner Dickköpfigkeit eingebrockt und nun sollte er sehen, wie er da wieder raus kam.

Halb hinter dem Anderen versteckt betrat Harry den Speisesaal, den er ja nur zu gut kannte. Er betrachtete die Leute, die da saßen. Bill, hinter einer Zeitung versteckt, Lucius, mit leerem, noch schlafendem Gesicht, Bella, die überrascht eine Augenbraue hob, aber wohl wusste, was gut für sie war und schwieg.

„Na los", lächelte Tom nur. Und lief zu seinem Platz. Harry dagegen fixierte Lucius. Er wusste, eigentlich sollte er es nicht tun, doch er konnte nicht anders. Rasch trat er zu dem Älteren - und klaute sich dessen Teller mit dem Pancakes, tauschte dann Salz und Zuckerstreuer aus und flüchtete eiligst zu Tom, setzte sich auf dessen Schoß.

Tom lachte nur leise, legte eine Hand um die Taille des Jüngeren: „Du bist schrecklich", stellte er dabei nur fest, küsste Harry und schlug dann seine eigene Zeitung auf, so, dass diese sie Beide verdeckte, er sah, wie Harry mit einem kleinen Schneidezauber ein Fenster hinein schnitt und grinste, tat aber dann dasselbe, beobachtete dann, wie Lucius das Salz in seinen Kaffee schüttete und den Zucker über seine Eier. Das Prusten sorgte dafür, dass Bill fragend von seiner Zeitung aufsah, doch der bekam nicht mehr zu sehen, als eine verdächtig zitternde Zeitung - und eine grölende Bella, die verzweifelt etwas gestikulierte und versuchte, ihm zu erklären was gerade geschehen war - erfolglos.

Zumindest, bis auf ein Mal ein Aufschrei ertönte und Lucius ihm gegenüber den Kaffee quer über den Tisch prustete. Bill schaffte es nur im letzten Moment, sich mit seiner Zeitung abzudecken. Er war allerdings erstaunt, als er ein recht bekanntes Kichern hörte, etwas höher, als das der Anderen. Na ja, abgesehen von Bella, aber die schien ihm ohnehin gerade nicht mehr zurechnungsfähig.

„Kleiner, du bist schrecklich!", lachte Tom, küsste den Jüngeren und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen - ein fruchtloser Versuch, denn als Lucius wütend etwas Ei in seinen Mund schob, spuckte er gleich noch mal.

„Ich?!", fragte Harry empört. „Ich hab doch gar nichts getan! Das war er doch ganz allein!"

„Er?!", fragte Tom lachend.

„Na, ich hab ihm nicht das Salz in den Kaffee geschüttet! Oder den Zucker über die Eier!"

Erst diese Stimme ließ sowohl Bill als auch Lucius herumzucken. Und es fehlte wohl nicht mehr viel, um die Augen des Blonden feuerrot werden zu lassen. „Raaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! Du schon wieder!"

Harry sah den Mann vollkommen unschuldig an, bevor er einen der Pancakes zusammenrollte und ein Stück davon abbiss. Dann kuschelte er sich, fast schon etwas demonstrativ, an den Älteren.

„H...Ha.. Harry?!"

"Jap", lächelte der Angesprochene etwas.

„Ich bring dich uuuuuuuuuuum!"

„Lucius, wir haben es gesehen, du hast dir das Salz in den Kaffee gestreut, Harry hatte damit nichts zu tun. Und das mit dem Zucker warst auch ganz allein du."

Lucius schnaufte, wie ein gestrandetes Walross, doch er wusste, er hatte keine Chance, was das anging. An Tom kam er nicht vorbei. Und obwohl er eigentlich nicht dazu neigte, stellte er sich gerade vor, wie er den dürren Hals des Jugendlichen um dreihundertsechzig Grad wenden würde.

„Ich kann nur wiederholen, es würde dir gut tun, nicht schlafend hier runter zu kommen, das habe ich dir, glaube ich, auch schon mehrfach gesagt."

Lucius knurrte nur, er wollte nach seinen Pancakes greifen, aber die waren... „Weg!"

Bill lachte nur, vor allem, als er Harry hinter der Zeitung des anderen auftauchen sah. Merlin, der Junge war genial! Was hatte seinen bekloppten Bruder eigentlich geritten, diese Freundschaft zu verraten? Etwas Besseres hätte er nie finden können! Dieser Junge war eine so gute Seele! Und offensichtlich wirklich immer für einen Lacher gut! Nicht zu vergessen, dass der mies gelaunte, kaum zu ertragende Tom auf einmal zahm und harmlos wie ein Kätzchen wirkte.

„Harry!", lächelte er dann. „Schön, dich endlich mal wieder zu sehen... und was hat es mit diesen Ohren auf sich?"

Überrascht sah Harry ihn an, lächelte dann aber etwas und legte seinen Kopf auf die Schulter des Anderen. „Das ist eine... lange Geschichte...."

„Und ich wette, sie ist richtig gut!"

Tom lachte darüber nur. „Allerdings - und sie ist vermutlich wesentlich länger, als du es dir auch nur denken kannst", fügte er dann an. Er sah auf Harry und lächelte. Ja, wesentlich länger. Über tausend Jahre lang... „Aber definitiv zu lang für ein Frühstücksgespräch", fügte er rasch an. „Ich will erledigen, was zu erledigen ist, dann habe ich was mit ihm vor."

„Hast du?", fragte Harry überrascht.

„Hab ich, " gab Tom nur zurück. Dann wandte er sich an Lucius. „Also, steht was Wichtiges an?"

Lucius starrte den Mann sekundenlang empört an, doch dann riss er sich zusammen. „Eine Konferenz mit dem französischen und dem deutschen Minister, nicht verschiebbar."

„Gut", nickte Tom ruhig. „Dann werde ich nach dieser Sitzung mit dir was machen", lächelte Tom. „Und ich habe auch schon einen Plan..." Er küsste Harry vor den Augen aller, um erst gar keinen Zweifel daran zu lassen, wie sie zueinander standen.

Harry lächelte nur und nickte, schloss die Augen. Er fühlte sich gerade verdammt wohl und ruhig. Ganz anders, als die letzten Wochen, es war, als wäre diese schreckliche Spannung, die ihn in Schach gehalten hatte, endlich von ihm gefallen.

Durch die ZeitenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant